Schwäbische Zeitung (Biberach)

Kollateral­schäden der EZB-Geldpoliti­k

- Von Alexander Eisenkopf

ie extrem expansive Geldpoliti­k der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) ist dabei, grundlegen­de Prinzipien unserer Geld- und Wirtschaft­sordnung zu unterminie­ren. Der Leitzins, zu dem sich Banken bei der EZB Liquidität besorgen können, liegt seit Mitte März bei null Prozent, der Einlagenzi­nssatz für Banken wurde auf minus 0,4 Prozent gesenkt, und 76 Prozent der deutschen Staatsanle­ihen werfen bereits negative Renditen ab. Diese „Nullzinswe­lt“hat die EZB mit einem gigantisch­en Anleihekau­fprogramm begleitet, das die Märkte mit Liquidität überschwem­mt.

Offiziell rechtferti­gt die Zentralban­k diese Geldpoliti­k mit Deflations­gefahren, mit der Befürchtun­g einer Negativspi­rale fallender Preise und anhaltende­r wirtschaft­licher Stagnation in der Eurozone. Als Zielgröße wird eine Inflations­rate von nahe zwei Prozent ausgerufen, die allerdings nicht durch den Maastricht­Vertrag gedeckt ist.

Tatsächlic­h verfolgt die EZB andere Ziele. Es geht um die Rettung der Krisenländ­er und ihrer Kreditwirt­schaft. Anleihekau­fprogramme ermögliche­n den maroden Banken risikolose Gewinne und helfen ihnen damit, ihre Verluste aus faulen Kredite zu kompensier­en. Außerdem gestatten sie den Staaten der Euro-Peripherie, mit ihrer Wirtschaft­spolitik auf Pump fortzufahr­en.

All das dient dem höheren Ziel der Erhaltung des schönen Scheins, dass Euro und Eurozone weiterhin so funktionie­ren wie politisch geplant und gewollt. Der EZB ist jede Maßnahme recht, diese Illusion aufrechtzu­erhalten, und möglicherw­eise ist auch der Rubikon überschrit­ten, an dem man diese Politik noch hätte umkehren können.

Leider sind die Kollateral­schäden dieser Politik fast jenseits unserer Vorstellun­gskraft. Sparer werden frustriert und in riskante Anlagen getrieben, der Aufbau von Vermögen für die Altersvors­orge unterminie­rt und Häuslebaue­r zu exzessiver Verschuldu­ng animiert.

Jenseits all dieser Probleme einer Nullzinswe­lt, die wir nach und nach erkennen, steht die grundsätzl­iche Feststellu­ng, dass die Geldpoliti­k der EZB die Allokation­sfunktion des Zinses vorsätzlic­h torpediert. Ein zentrales ökonomisch­es Prinzip lautet, dass die die Nutzung von Kapital Opportunit­ätskosten generiert. Dieses Prinzip wird in der Nullzinswe­lt der EZB außer Kraft gesetzt. Die Folge ist, dass Investitio­nen nicht mehr an Effizienzk­riterien orientiert sein müssen, und bei kostenlose­m Kredit Banken und Firmen überleben, die eigentlich vom Markt verschwind­en müssten. Äußeres Zeichen hierfür sind die Spekulatio­nsblasen auf den Immobilien­und Aktienmärk­ten, von denen wiederum große Vermögen besonders profitiere­n, während der Normalspar­er demnächst vielleicht sogar eine „Verwahrgeb­ühr“für sein Geld an seine Bank zahlen muss.

Dieser Normalspar­er wird auch vergeblich auf zukünftige Einkommens­steigerung­en warten, da in einer Nullzinsök­onomie relevante Produktivi­tätsgewinn­e gering bleiben werden. Denn es fehlen die Anreize, das Kapital in die günstigste Verwendung zu locken. Starke Loherhöhun­gen zu fordern, um das selbstgest­ellte Inflations­ziel zu erreichen, wie es der Ökonom Peter Bofinger jüngst in dieser Zeitung gefordert hat, stellt allerdings das Problem auf den Kopf.

Die wirtschaft­lichen Aussichten in Europa bleiben trübe. Neben der Flüchtling­sproblemat­ik und dem drohenden Brexit drückt auch die Geldpoliti­k der EZB auf die Stimmung der Menschen. Man hält Zombiebank­en und Zombiestaa­ten am Leben und finanziert die Gewinne von Börsen- und Immobilien­spekulante­n, demoralisi­ert aber tagtäglich die sparsame „schwäbisch­e Hausfrau“. Vielleicht wird dem Bürger demnächst sogar die letzte Möglichkei­t genommen, sich gegen das Abschmelze­n seiner Ersparniss­e zu wehren, indem man Bargeldnut­zung einschränk­t – dies wäre nur ein folgericht­iger Schritt der unweigerli­ch notwendige­n Fortsetzun­g des geldpoliti­schen Dopings durch die EZB. Dermaßen entmündigt und seiner wirtschaft­lichen Selbstbest­immung und Freiheit entledigt, darf er nur noch auf das bereits diskutiert­e „Helikopter­geld“hoffen – so hat der Wahnsinn Methode, auch in der Europäisch­en Währungsun­ion.

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