Schwäbische Zeitung (Biberach)
Die Trompete ist ihre Stimme
Tine Thing Helseth ist „Artist in Residence“beim Bodenseefestival
- Sie ist jung und blond, gut vernetzt und aktiv in den sozialen Medien, moderiert eine eigene Radio- und Fernsehsendung und sie spielt Trompete, als sei es das Leichteste auf der Welt: die 28-jährige Norwegerin Tine Thing Helseth vertritt die junge Generation von Musikerinnen und Musikern, die nicht nur geografisch, sondern auch stilistisch kaum Grenzen kennen.
Als Artist in Residence des Bodenseefestivals wird sie in den kommenden Wochen ihre viel gerühmte Vielseitigkeit unter Beweis stellen. Sie wirkt nicht nur als Solistin in klassischen Trompetenkonzerten von Haydn und Hummel – an diesen Werken kommt schließlich kein Trompeter vorbei – sie stellt auch zwei zeitgenössische Konzerte vor, die ihr auf den Leib geschrieben sind. Dazu kommen zwei Kammermusikabende auf Schloss Achberg und in Meersburg, ein Konzert mit ihrem Brass-Ensemble und schließlich am Pfingstmontag ein Open-Air-Konzert mit dem Jazzquintett.
RAVENSBURG Ensemble nur mit Bläserinnen
Blechbläserinnen, die sich als Solistinnen im Konzertleben durchsetzen, sind immer noch selten: Die Amerikanerin Carol Dawn Reinhart war eine Vorreiterin, die Engländerin Alison Balsom, zehn Jahre älter als Tine Thing Helseth, wurde berühmt, beide werden als blonde Engel mit Trompete inszeniert. Doch in Norwegen scheint die Geschlechtertrennung in der Musik nicht so ausgeprägt zu sein: Schon Tines Mutter spielte Trompete für den Hausgebrauch, im zarten Alter von sieben Jahren erhielt sie den ersten Unterricht und gab rund drei Jahre später ihr erstes Konzert mit Orchester. Zu Hause hörte die Familie viel Musik, aufgewachsen ist Tine ebenso mit der Musik der Blaskapellen wie mit Volksmusik, Jazz und Pop.
In ihrer Klasse an der Schule gab es allein vier Trompeterinnen, und als Tine ein eigenes Ensemble gründen wollte, lud sie noch sechs weitere junge Frauen an Horn, Posaunen und Tuba ein – nicht aus „politischen“Gründen, sondern weil zehn Bläserinnen viel Spaß miteinander haben. Das erste Konzert gab die Band an Tines 20. Geburtstag, seither gehen die zehn Ladies ungefähr zweimal pro Jahr auf Tournee und präsentieren pfiffige Arrangements von Weills „Dreigroschenoper“, Bizets „Carmen“in sechseinhalb Minuten, Tangos von Piazzolla oder Mozarts „Türkischem Marsch“. Zu erleben ist dieses Frauenpower-Ensemble am 26. April im Konzerthaus Ravensburg. Die Arrangements stammen übrigens von einem Mann, Jarle Storløkken. Da immer wieder mal eine aus der Gruppe schwanger ist, ist für den musikalischen Nachwuchs auch gesorgt. Tine Thing Helseth hat also Erfahrung, wenn sie am 8. Mai beim Kinderkonzert der Kammerphilharmonie Bodensee-Oberschwaben in Tettnang auftritt und vielleicht etwas über ihren Landsmann Edvard Grieg erzählt.
Etwas erzählen will Tine Thing Helseth mit ihrem Trompetenspiel immer, denn das Instrument ist ihre Stimme, ihr Werkzeug, etwas auszudrücken. „Storyteller“heißt denn auch eine ihrer CDs mit Liedmelodien oder Arien, auf der sie die Trompete zum Singen bringt: „Mein Klang ist meine Stimme. Ich will, dass das Publikum das hört und empfindet, nicht meine Trompete. Eine schöne Melodie zu spielen ist eine der schwierigsten Herausforderungen für einen Trompeter.“Sehnsucht, Emotionen, Temperament, auch Verletzlichkeit kommen da zum Ausdruck und berühren das Publikum – nicht nur, als sie nach dem schrecklichen Attentat auf der norwegischen Insel Utøya ein Gedenkkonzert vor 300 000 trauernden Menschen gab. Da stellte sie sich ganz in den Dienst der Musik, sagte sich: „Weinen kannst du später,“und ließ sich davontragen von „Vita lux“.
Bodenseefestival
Informationen: Olgastraße 21, 88045 Friedrichshafen, Telefon (07541) 203-3300 info@bodenseefestival.de www.bodenseefestival.de.