Schwäbische Zeitung (Biberach)
Der große Adler geht an Kamil Stoch
Kamil Stoch gewinnt in Bischofshofen und die Vierschanzentournee – Tande hat Pech
Skisprung-Olympiasieger Kamil Stoch (Polen) hat das Springen in Bischofshofen gewonnen und sich den Sieg bei der Vierschanzentournee gesi- chert (Foto: Imago). Zweiter wurde sein Lands- mann Piotr Zyla. Dritter der Norweger DanielAndré Tande.
BISCHOFSHOFEN - Der Satz liest sich etwas unbescheiden, gesagt allerdings hat ihn Kamil Stoch eher erstaunt, ungläubig fast: „Ich bin auf meinem höchsten Niveau.“Widerspruch hätte der Sieger der 65. Vierschanzentournee wohl von niemandem gehört, der den Polen von Bischofshofens Paul-AußerleitnerSchanze hat springen sehen am Dreikönigstag. Bei 134,5 und 138,5 Metern erst hatte der 29-Jährige Bodenkontakt, gewann mit 289,2 Punkten den Wettbewerb – und mit 997,8 Zählern die Tournee. Auf den Plätzen bei Etappe vier der genesene Österreicher Michael Hayböck (130,5 und 142 Meter/283,3 Punkte) als Zweiter und Kamil Stochs Landsmann Piotr Zyla (131 und 137 Meter/275,8 Punkte) als Dritter. Im Gesamtklassement konnte der Mann aus Wisla (962,5 Punkte) somit noch Daniel-André Tande (941,8 Punkte) überholen. Der Norweger hatte bei seinem zweiten Versuch Pech – der rechte Bindungsstab verlor in der Luft den Kontakt zum Schuh – und doch Glück, weil er sich akrobatisch an Fatalerem vorbeibalancierte. Nur: Tagesrang 26 (135 und 117 Meter/231,5 Punkte) bedeutete das Ende aller Tourneesiegträume.
„Ich lebe diesen Moment“
Die historische Dimension seines Triumphs war Kamil Stoch nach seinem Sprung ins Glück – naturgemäß – nicht bewusst: Der Fünfte seiner Zunft ist der Mann aus Zakopane erst, der sowohl Olympiasieger als auch Weltmeister, Gesamt-Weltcupsieger und Tourneebester ist. Das Vorgänger-Quartett ist illuster: Matti Nykänen, Jens Weißflog, Espen Bredesen und Thomas Morgenstern. Doch das war weit weg, als Kamil Stoch um 18.41 Uhr die Lufthoheit über Bischofshofen ersprungen hatte, als sogleich klar war, dass sich die 1,7 Punkte Rückstand auf DanielAndré Tande nach Innsbruck – auf der Paul-Außerleitner-Schanze weniger als ein Meter! – in einen riesigen Vorsprung verwandeln würden. „Ich lebe einfach diesen Moment“, sagte Kamil Stoch vor der Siegerehrung, „es sind so unglaublich viele Dinge in meinem Kopf – so unterschiedliche Gefühle, was alles passiert ist während dieser neun Tage. Das Finale war wunderbar, es ist ein Wahnsinn, wie gut diese vier Wettbewerbe waren, auf welchem Level.“
Dann, ganz fairer Sportsmann, ließ der Tourneesieger 2016/17 ein Wort an den zweifachen Tagessieger (von Garmisch-Partenkirchen und Innsbruck) folgen: „Daniel-André war ein sehr starker Gegner, es war ein wirklich harter Kampf. Am Ende war es sehr, sehr traurig, ich wollte ein rein sportliches Duell haben.“Die Voraussetzungen dafür wären übrigens sehr gut gewesen: Die linke Schulter, auf die Kamil Stoch im Probedurchgang am Bergisel gefallen war, war mehr oder weniger schmerzfrei; Entwarnung hatten die Ärzte im Krankenhaus vorab gegeben. Ein kleines Hämatom noch, nichts, was behindert hätte.
Nicht einmal ein Bluterguss wird dagegen bei Daniel-André Tande zurückbleiben. Der 22-Jährige trug sein Los lakonisch-gefasst, kommentierte es mit einem – treffenden – „shit happens“und beschloss, sich (zumindest öffentlich) lieber über seine sonst so feine Vorstellung bei der Tournee zu freuen.
Wellinger mit Schanzenrekord
Das hätte aus dem deutschen Springer-Quintett (den erkrankten Severin Freund hatte Bundestrainer Werner Schuster nicht ersetzt) auch gerne einer getan: Andreas Wellinger. Der Ruhpoldinger hatte, nach stetiger Steigerung, sein Tournee-AhaErlebnis schon am Donnerstag gehabt: In der Qualifikation mied der 21-Jährige längstmöglich den Schnee, landete bei 144,5 Metern. Schanzenrekord ist das seither in Bischofshofen, Platz eins war es im Quali-Klassement und – mehr noch: die größte jemals gesprungene Weite in 65 Jahren Tournee. Ein „geiles Gefühl“, befand Andreas Wellinger, „cool“. Ein sporthistorischer Augenblick zudem (noch einer!), aber eben nur ein Augenblick. 24 Stunden später verlor Andreas Wellinger nicht nur das deutsche K.o.-Duell gegen Markus Eisenbichler, er verpasste mit seinen 123 Metern auch den Finaldurchgang. Rang 31 war überaus ernüchternd: „Mit diesem Anlauf und diesem Rückenwind ist es extrem schwierig zu springen. Da braucht man schon einen perfekten Sprung – und den hab’ ich nicht gehabt.“Den hat auch Markus Eisenbichler nicht mehr; die Tournee hat gezehrt, angeschlagen war der Siegsdorfer, 13. dennoch am Freitag. Vor ihm: seine Teamkollegen Richard Freitag als Sechster, Stephan Leyhe als Achter und Karl Geiger als Neunter. Drei unter den Top Ten, ein noch besseres Resultat vom Spiel der Lüfte und einem Fehler (Andreas Wellinger war zu früh) vereitelt – der Bundestrainer nahm’s, wie die gesamte Tournee, mit gemischten Gefühlen: „Wir sind nicht eingebrochen. Aber wir haben keinen Siegspringer.“
Den hatte Polen. Und was für einen.