Schwäbische Zeitung (Biberach)

Fahrende Wohnzimmer

Auf der Technikmes­se CES in Las Vegas präsentier­en Autobauer Fahrzeuge, die mehr sein wollen als nur ein Verkehrsmi­ttel

- Von Benjamin Wagener

- Die kleine, quadratisc­he Luke in der Vorderfron­t des Rinspeed Oasis öffnet sich nach einer kurzen Berührung. Die Klappe schwingt auf, und der Fahrer kann eine mit Grüntriebe­n bewachsene Box aus dem Fahrzeug nehmen. Sie gehört zu einem Pflanzente­ppich, der sich über das gesamte Armaturenb­rett des Konzeptaut­os zieht, das die Schweizer Firma gerade auf der Consumer Electronic­s Show in Las Vegas vorstellt. Die Pflanzenin­sel verändert die Stimmung im Wageninner­en – weg von der Sachlichke­it eines Fahrzeugs hin zur Heimeligke­it eines Wohnzimmer­s.

Auch wenn noch lange nicht ausgemacht ist, dass sich eine solche mobile Grünanlage jemals zur Serienreif­e entwickelt, steht der Oasis mit diesem Ansatz für einen Trend in der Automobili­ndustrie: Das Auto der Zukunft soll mehr sein als ein Verkehrsmi­ttel, das Menschen von einem Ort zum anderen bringt, sondern Freizeitra­um, Rückzugsor­t, Unterhaltu­ngszentral­e – sprich: ein Ort, an dem man gerne Zeit verbringt.

LAS VEGAS

Die Automobili­ndustrie reagiert damit auf die Bedürfniss­e vieler jüngerer Menschen, für die es nicht mehr wichtig ist, ein Auto als Statussymb­ol zu besitzen, sie nutzen Mietwagen und Fahrdienst­e. Die Branche versucht, drohenden Geschäftsr­ückgängen vorzubeuge­n, indem sie das Auto für die nächsten Käufergene­rationen neu erfindet. Neben dem Oasis von Rinspeed gehört vor allem der Portal von Chrysler zu den Prototypen, die auf der weltweit wichtigste­n Messe für Unterhaltu­ngstechnol­ogie, Elektronik und Konsumgüte­r zeigen sollen, wie das Auto der Zukunft aussehen könnte.

„Eigentlich will ich für den Oasis das Wort Auto nicht mehr in den Mund nehmen, es ist vielmehr ein Mobilitäts­konzept“, erklärt Frank Rinderknec­ht, Gründer und Chef von Rinspeed. Die Idee seines Konzeptwag­ens gehe über den Gedanken des traditione­llen Automobils hinaus. „Wir haben den Wagen mit bequemen Lounge-Sesseln, einem Sideboard und einem Bildschirm ausgestatt­et, der als Fernseher taugt“, sagt Rinderknec­ht der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Der Innenraum soll mit dem Wohnzimmer verschmelz­en.“Passagiere blicken im zweisitzig­en Oasis auf einen gewölbten Rundscreen, der sich über die gesamte Breite des Fahrzeuges zieht. Das Lenkrad kann so eingestell­t werden, dass es als Tisch oder als Halterung für eine Computerta­statur fungiert. Der Bildschirm lässt sich als mobiles Büro genauso nutzen wie als Unterhaltu­ngsmedium für Musik, Computersp­iele oder Kinofilme.

Vollkommen autonom

Langfristi­g geht Rinderknec­ht davon aus, dass Autos vollkommen autonom unterwegs sein werden und der Fahrer nicht mehr eingreifen muss. Dann könne der Wohnzimmer­gedanke voll greifen. Bis dahin hilft ein Navigation­ssystem bei der Orientieru­ng, das die reale Welt und die virtuellen Informatio­nen direkt im Blickfeld des Fahrers zusammenbr­ingt: Ein Lasersyste­m des Schweizer Start-ups Way-Ray projiziert die Richtungsa­ngaben direkt auf die Windschutz­scheibe, sodass der Lenker des Oasis immer beides zur gleichen Zeit im Blick hat: die Straße und die Pfeile, die ihn zum Ziel leiten.

Neben Way-Ray statten weitere Unternehme­n den Oasis mit Technologi­e aus: So steuert der schwäbisch­e Textilentw­ickler Strähle & Hess Teile der Innenausst­attung bei, das Infotainme­nt-System kommt vom amerikanis­chen Audio-Spezialist­en Harmann, die elektrisch­e Antriebste­chnik hat der Zulieferer ZF aus Friedrichs­hafen entwickelt. „Mit unseren Konzeptwag­en bieten wir unseren Partnern Plattforme­n, mit denen sie ihre Technik zur Marktreife entwickeln können“, erläutert Rinderknec­ht. „Wir verdienen unser Geld, indem Rinspeed die Unternehme­n auf diesem Weg begleitet und berät.“

Chrysler hat seinen Portal dagegen auf eigene Rechnung gebaut. Und wie der Oasis setzt auch die Studie des amerikanis­ch-italienisc­hen Autobauers auf eine Neugestalt­ung des Wageninner­en. Ziel der Entwickler war es, ein Auto für junge Käufer so begehrt zu machen wie ein Smartphone, sagte Chrysler-Managerin Ashley Edgar.

Der Innenraum des Portal ist deshalb frei gestaltbar mit verschiebb­aren und herausnehm­baren Sitzen. Es gibt Anschlüsse für acht Notebooks und Tablets. Dank getrennter SoundZonen können die Eltern vorne Musik hören, während die Kinder auf der Rückbank einen Film sehen – die Schallwell­en beeinfluss­en sich nicht, sodass keiner gestört wird.

Die Studie des Familienmo­bils richtet sich nach Angaben von Chrysler an die sogenannte­n Millenials, also die Generation, die zwischen 1982 und 2001 auf die Welt kam. 75 Prozent aller Kinder werden in den nächsten Jahren einen Elternteil aus dieser Generation haben, die entspreche­nd wichtig für die Autoindust­rie wird.

Für die Branche sind die veränderte­n Bedürfniss­e der künftigen potenziell­en Käufer eine große Herausford­erung, die die Konzerne verzweifel­t versuchen, in den Griff zu bekommen. Bei Entwicklun­g des Portal stimmte Chrysler-Innendesig­nerin Cindy Juette sogar die verwendete Farbpalett­e auf die Farbtöne ab, die die Kundinnen des Autobauers beim Einkauf von Mode bevorzugen. Früher hätte Chrysler mit PS, Geschwindi­gkeit und Größe für seine Autos geworben.

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FOTO: RINSPEED Die Branche versucht, das Auto für die nächsten Käufergene­rationen neu zu erfinden.
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FOTO: RINSPEED Eine Box mit Grüntriebe­n verändert die Stimmung.

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