Schwäbische Zeitung (Biberach)
Fahrende Wohnzimmer
Auf der Technikmesse CES in Las Vegas präsentieren Autobauer Fahrzeuge, die mehr sein wollen als nur ein Verkehrsmittel
- Die kleine, quadratische Luke in der Vorderfront des Rinspeed Oasis öffnet sich nach einer kurzen Berührung. Die Klappe schwingt auf, und der Fahrer kann eine mit Grüntrieben bewachsene Box aus dem Fahrzeug nehmen. Sie gehört zu einem Pflanzenteppich, der sich über das gesamte Armaturenbrett des Konzeptautos zieht, das die Schweizer Firma gerade auf der Consumer Electronics Show in Las Vegas vorstellt. Die Pflanzeninsel verändert die Stimmung im Wageninneren – weg von der Sachlichkeit eines Fahrzeugs hin zur Heimeligkeit eines Wohnzimmers.
Auch wenn noch lange nicht ausgemacht ist, dass sich eine solche mobile Grünanlage jemals zur Serienreife entwickelt, steht der Oasis mit diesem Ansatz für einen Trend in der Automobilindustrie: Das Auto der Zukunft soll mehr sein als ein Verkehrsmittel, das Menschen von einem Ort zum anderen bringt, sondern Freizeitraum, Rückzugsort, Unterhaltungszentrale – sprich: ein Ort, an dem man gerne Zeit verbringt.
LAS VEGAS
Die Automobilindustrie reagiert damit auf die Bedürfnisse vieler jüngerer Menschen, für die es nicht mehr wichtig ist, ein Auto als Statussymbol zu besitzen, sie nutzen Mietwagen und Fahrdienste. Die Branche versucht, drohenden Geschäftsrückgängen vorzubeugen, indem sie das Auto für die nächsten Käufergenerationen neu erfindet. Neben dem Oasis von Rinspeed gehört vor allem der Portal von Chrysler zu den Prototypen, die auf der weltweit wichtigsten Messe für Unterhaltungstechnologie, Elektronik und Konsumgüter zeigen sollen, wie das Auto der Zukunft aussehen könnte.
„Eigentlich will ich für den Oasis das Wort Auto nicht mehr in den Mund nehmen, es ist vielmehr ein Mobilitätskonzept“, erklärt Frank Rinderknecht, Gründer und Chef von Rinspeed. Die Idee seines Konzeptwagens gehe über den Gedanken des traditionellen Automobils hinaus. „Wir haben den Wagen mit bequemen Lounge-Sesseln, einem Sideboard und einem Bildschirm ausgestattet, der als Fernseher taugt“, sagt Rinderknecht der „Schwäbischen Zeitung“. „Der Innenraum soll mit dem Wohnzimmer verschmelzen.“Passagiere blicken im zweisitzigen Oasis auf einen gewölbten Rundscreen, der sich über die gesamte Breite des Fahrzeuges zieht. Das Lenkrad kann so eingestellt werden, dass es als Tisch oder als Halterung für eine Computertastatur fungiert. Der Bildschirm lässt sich als mobiles Büro genauso nutzen wie als Unterhaltungsmedium für Musik, Computerspiele oder Kinofilme.
Vollkommen autonom
Langfristig geht Rinderknecht davon aus, dass Autos vollkommen autonom unterwegs sein werden und der Fahrer nicht mehr eingreifen muss. Dann könne der Wohnzimmergedanke voll greifen. Bis dahin hilft ein Navigationssystem bei der Orientierung, das die reale Welt und die virtuellen Informationen direkt im Blickfeld des Fahrers zusammenbringt: Ein Lasersystem des Schweizer Start-ups Way-Ray projiziert die Richtungsangaben direkt auf die Windschutzscheibe, sodass der Lenker des Oasis immer beides zur gleichen Zeit im Blick hat: die Straße und die Pfeile, die ihn zum Ziel leiten.
Neben Way-Ray statten weitere Unternehmen den Oasis mit Technologie aus: So steuert der schwäbische Textilentwickler Strähle & Hess Teile der Innenausstattung bei, das Infotainment-System kommt vom amerikanischen Audio-Spezialisten Harmann, die elektrische Antriebstechnik hat der Zulieferer ZF aus Friedrichshafen entwickelt. „Mit unseren Konzeptwagen bieten wir unseren Partnern Plattformen, mit denen sie ihre Technik zur Marktreife entwickeln können“, erläutert Rinderknecht. „Wir verdienen unser Geld, indem Rinspeed die Unternehmen auf diesem Weg begleitet und berät.“
Chrysler hat seinen Portal dagegen auf eigene Rechnung gebaut. Und wie der Oasis setzt auch die Studie des amerikanisch-italienischen Autobauers auf eine Neugestaltung des Wageninneren. Ziel der Entwickler war es, ein Auto für junge Käufer so begehrt zu machen wie ein Smartphone, sagte Chrysler-Managerin Ashley Edgar.
Der Innenraum des Portal ist deshalb frei gestaltbar mit verschiebbaren und herausnehmbaren Sitzen. Es gibt Anschlüsse für acht Notebooks und Tablets. Dank getrennter SoundZonen können die Eltern vorne Musik hören, während die Kinder auf der Rückbank einen Film sehen – die Schallwellen beeinflussen sich nicht, sodass keiner gestört wird.
Die Studie des Familienmobils richtet sich nach Angaben von Chrysler an die sogenannten Millenials, also die Generation, die zwischen 1982 und 2001 auf die Welt kam. 75 Prozent aller Kinder werden in den nächsten Jahren einen Elternteil aus dieser Generation haben, die entsprechend wichtig für die Autoindustrie wird.
Für die Branche sind die veränderten Bedürfnisse der künftigen potenziellen Käufer eine große Herausforderung, die die Konzerne verzweifelt versuchen, in den Griff zu bekommen. Bei Entwicklung des Portal stimmte Chrysler-Innendesignerin Cindy Juette sogar die verwendete Farbpalette auf die Farbtöne ab, die die Kundinnen des Autobauers beim Einkauf von Mode bevorzugen. Früher hätte Chrysler mit PS, Geschwindigkeit und Größe für seine Autos geworben.