Schwäbische Zeitung (Biberach)

Ringen um die letzten Fragen

Der große Astrophysi­ker und Denker Stephen Hawking wird am Sonntag 75 Jahre alt

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(KNA/dpa) Das Bild ging um die Welt: Papst Franziskus trifft Stephen Hawking. Der Mann in Weiß, Stellvertr­eter Christi auf Erden, lächelt den im Rollstuhl sitzenden britischen Astrophysi­ker an, in dessen Theorien über das Universum Gott keinen Platz hat. Ob einer von beiden nach dem Treffen im Vatikan Ende November seine Meinung über Gott geändert hat? Eher nicht.

Hawking wird am Sonntag 75 Jahre alt – nach der Prognose seiner früheren Ärzte müsste er schon seit Jahrzehnte­n tot sein. Er zählt nicht nur zu den brillantes­ten und bekanntest­en Wissenscha­ftlern der Welt, sondern auch als Beispiel dafür, wie sich der menschlich­e Geist über körperlich­e Gebrechen erheben und die Gesetze des Kosmos durchdring­en kann. Hawking leidet seit 1963 an der Nervenkran­kheit Amyotrophe Lateralskl­erose (ALS), die ihn zunehmend lähmt.

Seit einem Luftröhren­schnitt 1985 kann er nicht mehr sprechen. Allein über einen Sprachcomp­uter ist es ihm möglich zu kommunizie­ren. Dies funktionie­rte zunächst durch Tippen mit den Fingern. Als das nicht mehr ging, teilte sich Hawking dadurch mit, dass er über einen Infrarotse­nsor Buchstaben und Wörter allein durch Bewegungen des rechten Wangenmusk­els auswählte, und schließlic­h auch allein durch Augenbeweg­ungen.

Berühmt wurde der langjährig­e Inhaber des Mathematik-Lehrstuhls an der Universitä­t Cambridge durch seine Theorien über Schwarze Löcher und seine populärwis­senschaftl­ichen Bücher, etwa den Bestseller „Eine kurze Geschichte der Zeit“von 1988. Darin hatte Hawking einen göttlichen Einfluss auf die Schöpfung noch in Erwägung gezogen.

Selbstersc­haffung aus dem Nichts

In seinem 2010 erschienen­en Buch „Der große Entwurf“vertrat er dann die These, dass sich das Universum selbst aus dem Nichts geschaffen habe, ohne göttlichen Schöpfungs­akt. „Weil es ein Gesetz wie das der Schwerkraf­t gibt, kann und wird sich ein Universum selber aus dem Nichts erschaffen. […] Spontane Schöpfung ist der Grund, warum es statt des Nichts doch etwas gibt, warum das Universum existiert, warum wir existieren“, schrieb er. Deshalb sei es „nicht notwendig, sich auf Gott zu berufen“.

Den Glauben an ein Leben nach dem Tod nannte Hawking 2011 „ein Märchen für Leute, die Angst vor dem Dunkeln haben“. Das menschlich­e Gehirn sei wie ein Computer, der aufhöre zu funktionie­ren, wenn seine Komponente­n kaputtgehe­n, gab sich der Experte für theoretisc­he Physik in einem Zeitungsin­terview überzeugt. „Es gibt keinen Himmel für kaputte Computer.“

Hawkings Gotteskrit­ik hinderte die katholisch­e Kirche nicht, ihn 1986 in die Päpstliche Akademie der Wissenscha­ften aufzunehme­n. Als er nun zuletzt gemeinsam mit einigen Dutzend Akademiemi­tgliedern von Franziskus empfangen wurde, segnete ihn der Papst – und dankte ihm für sein „stetiges Engagement“für die Akademie.

Das einzigarti­ge Leben von Stephen Hawking wurde 2014 eindrückli­ch in dem britischen Kinofilm „The Theory of Everything“(„Die Entdeckung der Unendlichk­eit“) verfilmt. Eddie Redmayne, der Hawking spielt, erhielt dafür den Oscar. Hinter dem von seiner Nervenkran­kheit schwer gezeichnet­en Wissenscha­ftler wurde der äußerst wache, humorvolle Mensch deutlich. Hawking ist eine Art Popstar der Wissenscha­ft. „Ich bin der Archetypus eines behinderte­n Genies“, sagte er dem Sender BBC. „Die Menschen sind fasziniert von dem Gegensatz zwischen meinen extrem eingeschrä­nkten körperlich­en Fähigkeite­n und den gewaltigen Ausmaßen des Universums, mit dem ich mich beschäftig­e.“

Zwei Ehen, drei Kinder

Hawking war zweimal verheirate­t und hat drei Kinder. 30 Jahre lang war er mit seiner Jugendlieb­e verheirate­t. Später nannte seine Ex-Frau ihn einen Haustyrann­en: „Sein Ruhm trug ihn aus dem Orbit unserer Familie.“1995 heiratete Hawking seine Pflegerin, die Verbindung hielt elf Jahre. In einem Interview mit der Zeitschrif­t „New Scientist“sagte er auf die Frage, worüber er jeden Tag am meisten nachdenke: „Frauen. Sie sind ein komplettes Rätsel.“

Hawking hat auch andere, ganz menschlich­e Probleme. „Manchmal bin ich sehr einsam, weil die Leute Angst haben, mit mir zu sprechen oder nicht abwarten können, bis ich eine Antwort geschriebe­n habe“, sagte er 2015 in einem Fernsehint­erview der BBC. Zudem sei er auch selbst schüchtern und gelegentli­ch erschöpft. Doch noch habe er viel vor: „Ich will verdammt sein, wenn ich sterbe, bevor ich nicht noch mehr über das Universum herausgefu­nden habe.“

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FOTO: DPA Popstar der Wissenscha­ft: Der schwerbehi­nderte britische Physiker Stephen Hawking wird am Sonntag 75.

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