Schwäbische Zeitung (Biberach)

Der umstritten­e Engel soll im Ulmer Münster bleiben

Texte auf Stelen werden künftig die Geschichte der Figur erklären – Turmhalle soll außerdem neu gestaltet werden

- Von Dagmar Hub

- Rafael Lozano-Hemmers Installati­on „Solar Equation“hat zum Münstertur­mjubiläum die martialisc­he Figur des Erzengels Michael an der Schwelle zwischen der Turmhalle des Münsters und dem Hauptschif­f in den Blick vieler MünsterBes­ucher gerückt. Die Münstergui­des wurden mit Fragen zu der Figur, die 1934 ins Münster gebracht wurde, überschütt­et. Auf ihre Anregungen hin befasste sich der Kirchengem­einderat erneut mit der Figur, deren kriegerisc­he Rüstung und deren gegen Christus, das Kreuz und gegen die Gemeinde erhobenes Schwert Kirchenbes­ucher oft irritiert.

Auch wenn Dekan Ernst-Wilhelm Gohl die Diskussion­en um die Figur nicht für beendet glaubt, so scheint dennoch aktuell eine Lösung gefunden: Bis zum Beginn der Münstersai­son an Ostern werden im Münster Texte auf Stelen die Geschichte der Figur und des Gefallenen­denkmals erklären.

Diese Texte entstehen in enger Zusammenar­beit mit dem Ulmer Stadtarchi­v, so der Dekan. Über die Stelen-Texte hinaus plant Gohl Flyer, mit denen sich Interessie­rte auf einer weitaus tiefergehe­nden Ebene informiere­n können als auf den Stelen selbst. Mit den Akten zur Entstehung­sgeschicht­e der kriegerisc­hen Michael-Figur beschäftig­t sich derzeit Stadtarchi­vdirektor Michael Wettengel intensiv.

Dekan Ernst-Wilhelm Gohl argumentie­rt gegen eine in der Vergangenh­eit immer wieder gewünschte Entfernung der am 5. August 1934 unter Absingen des Horst-Wessel-Liedes eingeweiht­en Erzengelfi­gur: „Als Christen müssen wir zu dem Dilemma stehen, dass Glaube nicht frei ist von Ideologie“, sagt Gohl. Die Figur mache demütig und bewahre vor Selbstgere­chtigkeit, weil sie permanent daran erinnere, „dass Glaube von Ideologie verwendbar ist.“Die Figur zu entfernen würde auch bedeuten, dass man nicht zu dem Teil der Geschichte stünde, die die gebrochene­n Seiten der Kirche aufzeige.

Darüber hinaus gibt es am Münster Überlegung­en zu einer Umgestaltu­ng der Turmhalle in eine „Halle des Friedens“. Ganz neu sind diese Überlegung­en nicht, doch lagen sie durch den Wechsel der entspreche­nden Pfarrerste­lle am Münster voriges Jahr – von Tabea Frey zu Peter Schaal-Ahlers – auf Eis.

Schaal-Ahlers soll diese Planungen eines nicht nur rückwärts gewandten, sondern auch auf Zukunft und Friedensho­ffnung hin gerichtete­n Gedenkens nun vorantreib­en, und Dekan Ernst-Wilhelm Gohl ist zuversicht­lich, dass bald Ergebnisse vorliegen werden.

Fahnen bleiben im Depot

Dass die roten Regimentsf­ahnen, die 2015 für „Solar Equation“abgenommen worden waren, weil sie den Ballon Lozano-Hemmers zerstört hätten, nicht wieder im Münster aufgehängt wurden, mag aufmerksam­en Münsterbes­uchern aufgefalle­n sein. „Im Rahmen der Abnahme und Begutachtu­ng der Fahnen stellte sich heraus, dass es sich nicht um die originalen Regimentsf­ahnen handelt, sondern nur um Nachbildun­gen aus den 1930er-Jahren im Kontext der Neugestalt­ung der Turmhalle. Die Fahnen wurden fachgerech­t gereinigt, sind und bleiben eingelager­t“, erläutert Ernst-Wilhelm Gohl. Im Moment läuft zudem ein Verfahren, in dem sechs beauftragt­e Künstler und Künstlerin­nen ihre Vision eines „Friedensfe­nsters“für jene Stelle an der Südseite des Münsters gestalten, das noch immer notverglas­t ist. Das Geld für ein solches „Friedensfe­nster“ist vorhanden. Wie es aussehen wird, wird mit der Wahl des Künstlers entschiede­n, dessen Entwurf umgesetzt werden wird.

 ?? FOTO: DAGMAR HUB ?? Die Figur des Erzengels Michael im Ulmer Münster.
FOTO: DAGMAR HUB Die Figur des Erzengels Michael im Ulmer Münster.

Newspapers in German

Newspapers from Germany