Schwäbische Zeitung (Biberach)
Der Stratege und sein Kronprinz
Xabi Alonso und Joshua Kimmich sind Rivalen – verstehen sich aber dennoch gut
(dpa/SID/sz) - Joshua Kimmich lachte, als Xabi Alonso die große Lobeshymne auf ihn anstimmte. „Josh ist fantastisch. Er ist ein Typ, der das Spiel im Blick hat, spielt auf jeder Position sehr gut. Er wird sicher eine große Zukunft in diesem Club für viele, viele Jahre haben“, sagte der 35-Jährige, der im Trainingslager des FC Bayern München in Katar gerade seine x-te Vorbereitung absolviert. X-te, weil: „Ich habe nicht gezählt – wahrscheinlich zu viele“, wie der Baske auf die entsprechende Frage antwortete. Allzu viele Winter wird Alonso nicht mehr im ganz großen Fußball erleben, der Mittelfeldstratege kann zwar trotz einiger Tempo-Defizite vor allem dank seiner überragenden Übersicht und Technik noch immer Spiele dirigieren wie wenige andere, doch er spürt langsam das Alter. Der Vertrag des Welt- und Europameisters bei den Münchnern läuft im Sommer aus, kann sein, dass er bleibt, kann sein, dass er geht. „Es gibt keine Deadline. Ich entscheide nach meinem Gefühl, wir haben Zeit, kein Stress“, sagte er.
Womöglich wären Alonso – und auch Bayerns Verantwortliche, die ebenfalls keine Eile zu haben scheinen, Alonsos Zukunft zu klären – etwas nervöser, wenn da nicht dieser Joshua Kimmich aus Bösingen bei Rottweil wäre. Der 21-Jährige gilt nicht erst seit gestern als Alonsos Kronprinz, auch wenn er sich auch auf anderen Positionen wohlfühlt, rechts hinten in der Viererkette etwa. Doch Kimmichs Zukunft soll und wird in der Schaltzentrale liegen. „Klar ist es langfristig mein Ziel, bei Bayern im Mittelfeld meine Spiele zu bekommen. Beim DFB spiele ich aber auch sehr gerne rechts hinten“, sagte Kimmich, „ich spiele jede Position gerne, solange ich auf dem Platz stehe.“Eine Antwort, die braver klingt, als sie war, denn in den letzten Wochen vor der Winterpause stand Kimmich nicht mehr ganz so oft auf dem Platz, wie man nach seinem starken Start in die Sauison vermutet und wie er vielleicht auch verdient hätte.
In den letzten Wochen vor der Winterpause spielte nämlich meist Alonso von Anfang an. Seit Trainer Carlo Ancelotti – auch auf Wunsch der Spieler – seine Grundformation von einem klassischen 4-3-3 auf ein variables 4-2-3-1 umstellte, gab Alonso meist, flankiert von seinem Bodyguard Arturo Vidal, eine Art Quarterback. Vor den beiden wirbelte als Spielmacher Thiago. Das funktionierte gut, so gut, dass für Kimmich, der über eine ähnliche Übersicht wie Alonso verfügt, aber noch nicht ganz so akkurate lange Pässe am Stück spielt wie der Altmeister, plötzlich weniger Platz war in der Startelf. Die letzten drei Spiele, unter anderem beim famosen 3:0 gegen Leipzig, kam Kimmich jeweils nur von der Bank.
Kimmich wurmt das, natürlich. Aber er nimmt die Situation vor allem sportlich. Er hat sich vorgenommen, Alonso nicht zur Ruhe kommen zu lassen – und sich gleichzeitig vom Altmeister ein paar Tricks abzuschauen. „Man kann sehr viel von ihm lernen“, sagte Kimmich. Und weiter: „Das ist der einzige Vorteil, wenn man auf der Bank sitzt. Man sieht, wie er sich nach Fehlern verhält. Er kann das sofort abhaken und spielt den nächsten Ball wieder als Risikopass. Er ist jederzeit in der Lage, einen tödlichen Pass zu spielen.“Ein junger Spieler hole sich da dann doch eher wieder Vertrauen durch ein paar Sicherheitsbälle.
Kimmichs Einsatzbilanz ist aber auch unter Carlo Ancelotti beachtlich: In 20 von 25 Spielen durfte er bis zur Winterpause ran. In der Vorsaison waren es nach damals Spieltag mehr 17 Partien. Dazu durfte Kimmich sich endlich als Münchner Torschütze feiern lassen. „Ich freue mich, wie das letzte Jahr verlaufen ist. Daran möchte ich anknüpfen und jeden Tag Vollgas geben“, sagte der beim VfB Stuttgart ausgebildete, bei RB Leipzig zum Profi gewordene und unter Pep Guardiola letzte Saison zum Überallspieler zum Star gewordene Kimmich. Guardiola ließ seinen Lieblingsschüler bei Bayern letzte Saison sogar im Abwehrzentrum spielen. „Heutzutage sind die Fußballspieler ganzheitlicher ausgebildet, nicht so spezifisch“, sagt Alonso und weiß: In Sachen Vielseitigkeit schlägt sein Kronprinz ihn schon.