Schwäbische Zeitung (Biberach)

Crispr elektrisie­rt die Wissenscha­ft

Neue gentechnis­che Methode birgt Chancen, aber auch kaum kalkulierb­are Risiken

- Von Christoph Arens

BONN (KNA) - Die Rede ist von einer Revolution. Von einer gentechnis­chen Methode, die „sich anschickt, unsere Lebenswelt radikal zu verändern“, wie der Vorsitzend­e des Deutschen Ethikrats, Peter Dabrock, im Magazin „Forschung und Lehre“schreibt. Damit verbunden seien „unerwartet­e Chancen“und „kaum kalkulierb­are Risiken“.

Es geht um Crispr/Cas9. Bislang galten gezielte Eingriffe ins menschlich­e Erbgut als technisch schwer machbar. Doch künftig könnte eine präzise schneidend­e Gen-Schere das Erbgut von Pflanzen, Tieren und Menschen verändern – einfach, billig und hocheffizi­ent. Aids, Krebs und Zika-Virus könnten besiegt und neue Pflanzen- und Tierarten geschaffen werden.

Forschung macht Fortschrit­te

Crispr, schon 2012 entwickelt, hat 2016 seinen Durchbruch gefeiert. Hunderte wissenscha­ftliche Artikel sind erschienen. Es zeichne sich „ein exponentie­ller Anstieg neuer Forschungs­strategien und -ergebnisse ab“, sagt Dabrock. Die Erfinderin­nen, die französisc­he Mikrobiolo­gin Emmanuelle Charpentie­r vom Berliner Max-Planck-Institut für Infektions­biologie und die US-Biochemike­rin Jennifer Doudna aus Berkeley gelten als Kandidatin­nen für den Nobelpreis, auch wenn sie derzeit vor einem US-Gericht mit dem in Harvard lehrenden chinesisch­en Wissenscha­ftler Feng Zhang streiten, wem der Ruhm der Erfindung zukommt.

Hochpräzis­e Schere für Gene

Crispr elektrisie­rt die Wissenscha­ft. Erwartet wird ein Bericht hochrangig­er Forscher in den USA, die einen Leitfaden für die Anwendung der Methode bei Menschen vorlegen wollen. Auch die EU muss sich damit befassen. Denn heiß umstritten ist die Frage, ob mit der Methode manipulier­te Pflanzen und daraus produziert­e Lebensmitt­el als gentechnis­ch verändert bezeichnet werden müssen. Anders als bei bisheriger Gentechnik bleibt kein artfremdes Erbgut in den Pflanzen zurück. Die neue Sorte ist von durch natürliche Züchtung entstanden­en Pflanzen nicht zu unterschei­den.

Crispr wird immer wieder mit einer „Hochpräzis­ionsschere“verglichen. Gene oder kleinste DNA-Bausteine können mit Hilfe zelleigene­r Enzyme eingefügt, verändert oder ausgeschal­tet werden – vergleichb­ar mit der Funktion „Suche – Ersetze“im Computer.

Weltweit arbeiten Forscher daran, damit Nutzpflanz­en robuster oder ertragreic­her zu machen. Viel brisanter sind die geplanten Veränderun­gen menschlich­er Gene. Die Wissenscha­ftler träumen von neuen Heilungsmö­glichkeite­n. Im Labor konnten sie bereits Chorea Huntington und Mukoviszid­ose heilen. Doch noch ist unklar, wie häufig bei Crispr fehlerhaft­e Schnitte auftreten und wie weit das Verständni­s der Funktion von Genabschni­tten reicht.

Am heikelsten sind gentechnis­che Veränderun­gen der menschlich­en Keimbahn. Solche Eingriffe seien nicht rückgängig zu machen und prägten alle künftigen Generation­en, warnt Dabrock. Auch die Molekularb­iologin Doudna ist sich der Brisanz bewusst. Sie organisier­te 2015 einen Ethikgipfe­l in den USA. Ergebnis: eine freiwillig­e Selbstbesc­hränkung der Wissenscha­ft. Grundlagen­forschung soll vorangetri­eben, die Keimbahnth­erapie aber – zumindest für mehrere Jahre – geächtet werden. „Wir wollen garantiere­n können, dass die Technologi­e sicher ist“, betont sie.

Bereits Eingriffe am Menschen

Ihre Kollegin Charpentie­r sieht das ähnlich. „Es wird durchaus noch einige Jahre dauern, bis wir wirklich so weit sind, gewisse Krankheite­n direkt zu bekämpfen“, sagte sie Ende Dezember im Deutschlan­dRadio Kultur. Mit Blick auf Utopien der Menschenzü­chtung erklärte sie: „Derzeit ist das wirklich nur eine Technologi­e, die monogeneti­sche Krankheite­n heilen kann.“Weitreiche­nde, gezielte Manipulati­onen seien noch lange nicht denkbar.

Fest steht, dass es schon konkrete Eingriffe am Menschen gibt. Wie das Fachmagazi­n „Nature“im November berichtete, haben chinesisch­e Wissenscha­ftler einem Lungenkreb­s-Patienten mit Crispr veränderte Immunzelle­n gespritzt. Auch US-Wissenscha­ftler haben die Erlaubnis der Behörden, in diesen Frühjahr Crispr zu Therapiezw­ecken einzusetze­n.

Europa ist da noch vorsichtig: Im Februar 2016 erlaubte die britische Behörde HFEA erstmals Forschern, gezielt Gene menschlich­er Embryonen im Frühstadiu­m zu verändern. Die Embryonen dürfen allerdings keiner Frau eingepflan­zt werden.

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FOTO: DPA Kandidatin­nen für den Nobelpreis: die Biochemike­rin Jennifer A. Doudna (links) und die Mikrobiolo­gin Emmanuelle Charpentie­r.

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