Schwäbische Zeitung (Biberach)
Schwergewicht mit Doppelherz
Kias neuer Crossover-Hybrid Niro im Test
Das Beste aus zwei Welten – mit diesem Anspruch will der koreanische Autobauer Kia Käufer für seinen komplett neu entwickelten Kompakt-SUV Niro gewinnen. Man ahnt es: Unter der Motorhaube des seit September 2016 erhältlichen Modells werkelt ein Hybridantrieb. Gewissheit geben das kleine Label am Heck des Wagens und das lautlose Anfahren. Ein 105 PS starker 1,6-Liter-Benziner wird von einem Elektromotor mit 44 PS unterstützt.
Das ist auch nötig, denn der Benziner arbeitet im auf Sparsamkeit ausgelegten Atkinson-Zyklus – eine spezielle Ventilsteuerung, bei der die Verbrennungsenergie besser ausgenutzt und die Schadstoffemissionen reduziert werden sollen. Erkauft wird das mit einer niedrigeren Leistung, was einen Einsatz als ausschließlicher Antrieb in einem Auto nahezu ausschließt. Der E-Motor im Niro soll diese Schwäche ausgleichen, beim Anfahren und auch sonst immer, wenn es das System für richtig hält.
Unauffälliger Parallelhybrid
Spüren kann man das kaum. Die Motoren arbeiten harmonisch zusammen, der Verbrenner sogar angenehm leise. Für den Kräftesplit wurde ein konventioneller SechsgangDoppelkuppler verbaut, und der Elektromotor ist im Getriebe untergebracht. Der Vorteil: Das DSG verbindet den Motor direkt mit den Vorderrädern, was das Beschleunigungsempfinden spürbar verbessert.
Aufschluss darüber, welche Antriebsform gerade gefordert wird, gibt eine Energieflussanzeige im TFT-Display des Cockpits. Zur Steuerung der verschiedenen Antriebsmodi nutzt Kia auch Navigationsdaten. Kurven, Steigungen und Gefälle werden berücksichtigt. In Erwartung einer Steigung lädt die Technik den Akku vorsorglich stärker, damit der E-Motor am Berg helfen kann. Vor der Abfahrt wird der Akku stärker geleert – schließlich steht eine schöne Strecke zum Aufladen der Batterie an.
Die beim Rekuperieren gewonnene elektrische Energie wird in einem Lithium-Ionen-Polymer-Akku gespeichert, der mit einer Kapazität von 1,56 Kilowattstunden rein rechnerisch für zwei Kilometer Fahrt reicht. Selbstbewusst gibt sich Kia in Sachen Haltbarkeit der Speicherzelle: Die Herstellergarantie von sieben Jahren gilt auch für den Akku.
Und der Verbrauch? Angesichts so aufwändiger Technik macht sich Ernüchterung breit. 3,8 Liter gibt Kia im Kombinationsbetrieb an. Doch in der Praxis ist dies ein kaum zu erreichender Wert. Normal bewegt schluckt der Kia Niro um die sechs Liter – für einen Hybriden kein Traumergebnis. Sonderlich flott fährt man dabei auch nicht: 11,5 Sekunden von Null auf 100 und eine Höchstgeschwindigkeit von 162 km/h stehen zu Buche. Wohlwollend könnte man sagen, der Niro mag es entspannt. Doch etwas mehr Elektro-Punch stünde dem Koreaner gut zu Gesicht.
Dass der Niro ein eher gemütlicher Geselle ist, liegt auch am Gewicht: Schließlich müssen stattliche 1,5 Tonnen Leermasse erst einmal bewegt werden. Und so ertappt man sich als Fahrer beim reflexartigen Ruck des Ganghebels nach links. Im dann aktivierten Sportmodus des serienmäßigen Drive-Mode-SelectSystems macht der SUV mit seinen späteren Gangwechseln und einer strafferen Abstimmung der Lenkung nämlich durchaus Spaß.
Viel Platz und viele Helfer
Innen fällt auf, dass der Kompakte ein durchaus geräumiges Auto ist. Vorn gibt es ja bei den wenigsten aktuellen Fahrzeugen Grund zur Klage. Im Fond sieht das jedoch oftmals anders aus. Schon der Blick nach hinten offenbart richtig viel Platz zwischen Vordersitzlehne und Rückbank. Der Grund liegt im vergleichsweise langen Radstand (2,70 Meter), der dem durchschnittlichen Mitteleuropäer ausreichend Beinfreiheit lässt.
Das Interieur ist sauber verarbeitet und kommt in der getesteten Ausstattungslinie Vision mit allerlei elektronischen Helferlein daher: Heizungen für die Vordersitze und das Lederlenkrad, ein elektrisch einstellbarer Fahrersitz, Navigationssystem und Rückfahrkamera. Gegen Aufpreis gibt es die üblichen Sicherheitsassistenten (Notbremse mit Fußgängererkennung, Abstandstempomat und sogar einen aktiven Spurhalteassistenten).
Wem Platz im Kofferraum wichtig ist, der muss aufpassen. Denn das Volumen unterscheidet sich je nach Ausstattungslinie. Während die Edition 7 akzeptable 427 bis 1425 Liter Laderaum bietet, sind es bei den luxuriöser ausgestatteten Vision- und Spirit-Modellen nur 373 bis 1371 Liter, weil dort ein doppelter Boden enthalten ist. Kia hat den Akku des Hybridantriebs unter der Rückbank verstaut, mit dem Ziel, den Gepäckraum nicht einzuschränken. Das klappt nur bedingt. Der Kofferraum in unserem Vision-Testwagen ist sehr überschaubar. Wer zu viert in den Urlaub will, muss über eine Dachbox nachdenken.