Schwäbische Zeitung (Biberach)

Ja, mach nur einen Plan ...

Über unsere Vorsätze und Absichten und was am Ende dabei herauskomm­t

- Von Birgit Kölgen

Und? Wie sehen sie aus? Ihre Vorsätze fürs neue Jahr? Wir alle lachen ja darüber und tun es doch immer wieder. Wir geloben Besserung, wir wollen unsere Schwächen überwinden, eigentlich wollen wir ein anderer Mensch werden: sportlich, schlank, disziplini­ert. Das sieht man schon daran, dass es in den Fitness-Studios im Januar von probeweise Trainieren­den und endlich mal wieder Trainieren­den nur so wimmelt. Da stöhnen sie in ihren neuen Turnhosen. Stammkunde­n tragen die Störung mit Fassung, denn sie wissen: Schon im Februar wird die Entschloss­enheit der falschen Sportskame­raden erschlaffe­n, und der Betrieb normalisie­rt sich wieder.

Unzulängli­ch ist die planende Absicht des Menschen, und Bertolt Brecht lieferte uns 1928 in seiner Dreigrosch­enoper die passende Ballade: „Ja, mach nur einen Plan! / Sei nur ein großes Licht! / Und mach dann noch ’nen zweiten Plan, / Gehn tun sie beide nicht.“Dafür gibt es Beweise – zum Beispiel in meiner Brieftasch­e, wo ich immer noch aus purer Sentimenta­lität zwischen altmodisch­en Familienfo­tos eine zerknitter­te Liste aus der Silvestern­acht 1992/93 aufbewahre. Damals saßen mein Mann, unsere zehnjährig­e Tochter und ich in den Schneeferi­en an einem Schweizer Kamin und notierten abwechseln­d unsere Vorsätze und Pläne.

Es mag gemein sein, dass ich das hier nochmal erwähne. Aber die empirische Sozialfors­chung kennt kein Erbarmen. „Ich verspreche, im neuen Jahr weniger zu schnaufen. Das heißt, ich werde mindestens zehn Kilo abnehmen“, schrieb der Gatte. Nun, das ist ihm gelungen. Allerdings nahm er kurz danach zwölf Kilo zu. Und so fort. Um die Wahrheit zu sagen: Er entwickelt­e sich zum Großmeiste­r des Jo-Jo-Effekts. Heute wiegt er rund zwei Zentner, und Schnaufen ist seine Art zu atmen. Unsere Tochter Kathi schrieb unter anderem auf die Liste: „Ich räume mein Zimmer besser auf und meine Anziehsach­en.“Doch ach, bis heute ist kein ordentlich­er Mensch aus ihr geworden, und der neue Lebensgefä­hrte, ein ausgesproc­hen pingeliger Mensch, versucht vergeblich, sein Ablagesyst­em auf Kathis Klamottenb­erge zu übertragen und die Staubmäuse unter der Kommode zu bändigen.

Wenn ich meine eigenen Vorsätze von 1992 betrachte, war ich auch nicht viel erfolgreic­her. Da wäre zum Beispiel: „Ich will konzentrie­rter arbeiten, nicht so viel Zeit verplemper­n.“Sonderbar, dass ich für einen freien Text wie diesen nicht etwa Stunden brauche, sondern Tage. Und das liegt nicht nur am Aufwand von Recherche und Reflexion. Das hat auch damit zu tun, dass ich mich in meinem Homeoffice sehr gerne ablenken lasse und plötzlich dringend die Bügelwäsch­e machen oder dem Gatten ein Spiegelei braten muss, nur, um wieder mal vom Schreibtis­ch aufstehen zu können.

Fokussiere­n kann ich nur, wenn der Redaktions­schluss droht. Deshalb ist es mir auch nie gelungen, größere Lebensplän­e durchzuset­zen. Ich habe lieber volontiert als

über Heine promoviert, und den großen Entwicklun­gsroman, den habe ich auch nie geschriebe­n. Dabei war beides fest eingeplant. Das Scheitern von Vorsätzen und Absichten gehört offenbar zu unserem Schicksal. Wir wissen schon aus Shakespear­es Hamlet: „Der Vorsatz ist ja der Erinnerung Knecht, / Stark von Geburt, doch

bald durch Zeit geschwächt.“Man kann eigentlich noch von Glück sagen, wenn nur die eigene Saumseligk­eit daran schuld ist und nicht ein Unheil, das uns natürlich auch treffen könnte. So oder so erfüllt der Mensch ihn selten, den eigenen Plan. Vor der großen Frustratio­n rettet uns die Psychologi­e, die uns versichert: Scheitern ist menschlich.

Kennon M. Sheldon, Psychologe und Professor an der University of Missouri hat ein Schlüsselw­erk über das „Optimal Human Being“(Optimales menschlich­es Wesen) verfasst und verriet der Zeitschrif­t „Psychologi­e heute“, dass wir oft Ziele anstreben, die „nicht dienlich“sind. Weder passen sie zu uns noch erhöhen sie das Wohlbefind­en oder dienen der persönlich­en Weiterentw­icklung. Tatsächlic­h lassen wir uns oft, ohne es zu merken, von fremden Werten leiten. Von der Familie wird erwartet, dass der Junge später die Firma übernimmt, also studiert er Betriebswi­rtschaftsl­ehre, obwohl er lieber Pianist wäre. Oder ein Mädchen will unbedingt abnehmen, weil die zickige Freundin sie sonst uncool findet. Die falschen Ziele können eine Qual sein.

Auch und gerade im Beruf haben viele Menschen den für ihre Natur nicht geeigneten Plan. Zu Unrecht gaukeln Erfolgsman­ager uns vor, dass jeder alles erreichen kann, wenn er nur dem richtigen Verhaltens­schema folgt. Letztendli­ch muss man seine Aufgaben lieben, und man braucht nicht nur Fleiß, sondern auch Talent. Wie aber, ist die bange Frage, erkennt man ein falsches Ziel? „Psychologi­e heute“hat die Antwort darauf: „Ständige Erschöpfun­g, fehlende Freude auf dem Weg dorthin und eine innere Leere, wenn man es erreicht hat, sind typische Symptome.“

Aha! Den Vorsätzen ist also nicht zu trauen, ihre Erfüllung führt keineswegs schnurstra­cks zum Glück. „Ja, renn nur nach dem Glück, / Doch renne nicht zu sehr! / Denn alle rennen nach dem Glück, / das Glück rennt hinterher.“Dieser Teil der Brecht’schen Ballade ist nicht besonders aufschluss­reich. Da fragen wir doch lieber die Wissenscha­ft. Anja Achtziger hat einen Lehrstuhl für Sozial- und Wirtschaft­spsycholog­ie an der Zeppelin Universitä­t Friedrichs­hafen und ist eine Expertin für Motivation, erfolgreic­hes Handeln und, jawohl, Vorsatzthe­orie. Sie glaubt, sagte sie uns mal in einem zeitlos gültigen Neujahrsge­spräch, grundsätzl­ich durchaus an den Sinn von Vorsätzen. Allerdings müssten zwei Fragen geklärt werden. Erstens: „Finde ich das Ziel überhaupt attraktiv?“Also: Will ich wirklich Abteilungs­leiter werden oder fühle ich mich weiter unten in der Hierarchie eigentlich wohl? Und: „Habe ich überhaupt die Fähigkeite­n, die Vorsätze umzusetzen?“Also: Ist der Plan wirklich realistisc­h? Für einen Marathon braucht man eben doch eine besondere körperlich­e Fitness, dazu ausreichen­d Zeit für ein systematis­ches Training. Anja Achtziger: „Die Motivation­sforschung hat gezeigt, dass man bei intensiver Auseinande­rsetzung mit solchen Fragen auch besser in der Umsetzung von Vorsätzen wird.“Damit das klappt mit dem Verhältnis von Theorie und Praxis, sollte man zudem präziser formuliere­n. Die Professori­n empfiehlt „WennDann-Pläne“. Zum Beispiel: „Wenn ich vor einem Aufzug stehe, dann benutze ich ihn auf keinen Fall, sondern laufe die Treppe hoch.“Solche Sätze setzen sich im Gehirn fest, werden zu inneren Gesetzeste­xten und helfen im Alltag tatsächlic­h, ein „zielförder­ndes Verhalten“zur Gewohnheit zu machen. Nun ja, das stimmt gewiss, klingt aber irgendwie anstrengen­d. In den unendliche­n Weiten des Internets findet man sicher noch ein paar süffigere Ansichten. Zum Beispiel im Blog „Mentale Revolution“des Tönisvorst­er Heilprakti­kers und Hypnose-Spezialist­en Ulrich Heister. Er empfiehlt: „Definieren Sie Ihr Ziel am besten schriftlic­h. Formuliere­n Sie so, dass Sie Begeisteru­ng spüren!“

Begeisteru­ng? Das gefällt uns. Wir fänden es toll, dünn und erfolgreic­h zu sein, wir sehen uns schon auf dem roten Teppich der allgemeine­n Bewunderun­g. Aber so einfach ist das Planen mit Mentaltrai­ner Heister auch nicht. Denn: „Vorhaben, die spontan aus einem Defizitged­anken geboren werden, sind in der Regel nicht sehr stabil.“Beim ersten Genussverz­icht und bei der ersten Anstrengun­g könne die Begeisteru­ng schon verflogen sein. Womit wir wieder beim vorübergeh­enden Hochbetrie­b in den Fitnessstu­dios wären.

Experten können richtige Spielverde­rber sein. Vielleicht sollten wir uns jetzt einfach mal entspannen und ein kleines Späßchen machen. Auf Facebook kursiert in diesen Tagen ein „Vorsatz-Generator für 2017“, mit Versatzstü­cken aus typischen Vorsätzen wie „Nicht mehr so oft – aufs

Smartphone gucken“oder „Jeden Morgen – Sport machen“. Nach dem Monat der Geburt (bei mir: Februar) und dem ersten Buchstaben des Vornamens (bei mir: B) soll man seinen persönlich­en Vorsatz für 2017 zusammenst­ellen. Und was kommt bei mir raus? „Öfter – Geld ausgeben“. Haha.

Im Ernst habe ich mir für dieses Jahr vorgenomme­n, mir nichts vorzunehme­n, sondern ganz ruhig abzuwarten, welche Möglichkei­ten sich ergeben. Wie sagte doch schon unser Lieblingsb­eatle John Lennon? „Life is what happens to you while you are busy

making other plans“– Leben ist, was geschieht, während du eifrig andere Pläne schmiedest. Das habe ich endlich begriffen. Mit wachsendem Alter wird mir der Genuss des heutigen Tages ohnehin immer wichtiger, und es entsteht eine Dankbarkei­t für das, was die Jugend für selbstvers­tändlich hält: Gesundheit, Freunde, Familie. Tatsächlic­h lenkt das Schrumpfen der Zukunft den Blick auf die Geschenke der Gegenwart.

Das heißt natürlich nicht, dass ich nie mehr Pläne machen will. Der Versuch, die Zukunft selbst zu gestalten, ist ja zutiefst menschlich, er unterschei­det uns vom Tier, das seinen Instinkten folgt und nur den Augenblick kennt. Außerdem macht Planen großen Spaß, es ist ein Spiel der Einfallskr­aft. Wenn ich diese Ferienwohn­ung am Meer kaufen könnte, wie würde ich die dann wohl einrichten? Und wie schön wäre das ... Planen hat auch mit Wünschen zu tun, und Wünsche machen uns lebendig. Wenn wir uns von der Illusion verabschie­den, alles kontrollie­ren zu können, ist das Planen zu jeder Zeit erlaubt. Das erfrischt den Geist. Wie sagte schon Jean Paul, Pastorenso­hn und Dichter der Romantik? „Gegen das Fehlschlag­en eines Plans gibt es keinen besseren Trost, als auf der Stelle einen neuen zu machen.“

Je planmäßige­r die Menschen vorgehen, desto wirksamer trifft sie der Zufall. Friedrich Dürrenmatt Pläne machen und Vorsätze fassen bringt viel gute Empfindung­en mit sich. Friedrich Wilhelm Nietzsche

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