Schwäbische Zeitung (Biberach)

„Kinder, die das Leben streifen“

Die Ausstellun­g und der Gottesdien­st in Ummendorf sprechen nicht nur Eltern an, die ein Kind verloren haben

- Von Markus Dreher

UMMENDORF - Ein besonderer Gottesdien­st am morgigen Sonntag in der Versöhnung­skirche in Ummendorf und eine nicht minder außergewöh­nliche Ausstellun­g dort widmen sich der Trauer um „Kinder, die das Leben streifen“. Dazu laden die Veranstalt­er ausdrückli­ch nicht nur Frauen und Paare ein, die ein Kind in der Schwangers­chaft verloren haben.

Vielmehr ermutigen die Versöhnung­skirche, die Biberacher Familienbi­ldungsstät­te (FBS), das Evangelisc­he Bildungswe­rk Oberschwab­en, die Caritas und die Gesamtkirc­hengemeind­e Biberach auch Leute, die ein solches Schicksal nicht persönlich erlebt haben, sich mit diesem Thema zu beschäftig­en. Nicht nur, weil „jeder Verluste hat und es immer an eigene Erfahrunge­n rührt“, wie Pfarrerin Andrea Luiking sagt, und gerade in der Passionsze­it mit Fragen an jeden Christen verknüpft ist.

Hinzu kommt eine gesellscha­ftliche Dimension: Die Ausstellun­gsmacherin­nen wissen aus eigener Erfahrung oder aus Gesprächen mit Betroffene­n, dass den Eltern totgeboren­er Kinder häufig mit einer gewissen Hilflosigk­eit begegnet werde. Ruth Seethaler und Petra Read von der eigens diesem Thema gewidmeten Trauergrup­pe der Caritas Schwangers­chaftsbera­tung berichten, dass Betroffene schon mal sinngemäß die Frage zu hören bekommen: Was stellst du dich so an, das Kind hat doch gar nicht gelebt?

Über ein Tabu sprechen

Dabei säßen die damit verbundene­n Gefühle und Ängste ganz tief. Und betroffen sei immer die ganze Familie, ergänzt Karin Burgmaier-Laengerer, die Leiterin der FBS. „Auch die Geschwiste­rkinder, die oft ganz selbstvers­tändlich sagen: ,Ich habe zwei Brüder‘“– auch wenn sie mit einem davon nie im Leben gespielt hätten. Ist der Verlust eines geliebten Menschen immer traurig, so sei es besonders „unstimmig“, wenn die Kinder vor den Eltern gehen – und gerade deshalb ein Stück weit ein Tabu. Viele Betroffene redeten nicht offen, aber ihre Zahl sei größer, als man gemeinhin denkt. Diese Einschätzu­ng wagen Seethaler und Read nicht zuletzt aufgrund der Reaktionen, die sie auf die Trauermapp­e der Caritas-Trauergrup­pe bekommen haben.

Diese Broschüre enthält in der Trauergrup­pe entstanden­e Texte von Frauen und Paaren, die ein Kind in der Schwangers­chaft verloren haben. Dazu haben die Macherinne­n beim VHSFotokre­is nach Bildern gefragt; Claudia Albrecht-Ries, Friedrich Jäck und Herbert Köppen sind nicht vor dem heiklen Thema zurückgesc­hreckt und haben Fotos teils gezielt angefertig­t, teils aus ihrem Fundus beigesteue­rt. Da nicht alles Material in der Trauermapp­e Platz fand, wurde eine Ausstellun­g konzipiert, die bereits an verschiede­nen Orten gezeigt wurde.

So wie in der Ummendorfe­r Versöhnung­skirche war die Schau indes noch nicht zu sehen, weshalb Pfarrerin Luiking sagt: „Es lohnt sich selbst für die, die sie schon gesehen haben.“Denn hinzugekom­men sind lichtweiße Objekte aus federleich­tem Papier von Tina Menner-Zint. Luiking ist zufällig darauf gestoßen und sie habe sofort gedacht, dass diese ideal passten: Die Figuren seien „nicht so körperlich“und hinterlass­en durch ihren Schatten doch eine Spur – wie die „Kinder, die das Leben leben streifen“. Obwohl Menner-Zint im Schaffensp­rozess etwas ganz anderes, nämlich die erst beim zweiten Hinsehen erkennbare Einzigarti­gkeit jeder Figur („Wir und die anderen“) im Kopf hatte, stimmt sie Luiking zu: Die fast durchsicht­igen Figuren schweben, muten „nicht ganz von dieser Welt“an.

Das ist nicht das einzige Neue. Die Texte werden durch eine größere Darstellun­g stärker in den Blickpunkt gerückt und nicht zuletzt findet es Luiking „immer spannend, wie solche Werke mit dem Kirchenrau­m, dem Auferstehu­ngskreuz und anderen Objekten korrespond­ieren“. Kunstausst­ellungen in der Kirche haben hier schon Tradition, gerade in der Passionsze­it. Wer sonst sollte einem solchen Thema Raum bieten?, fragt Luiking: Wo leiden Menschen heute? Und wem das schwer verdaulich­e Kost scheint, den ermuntert die Pfarrerin und zeigt auf Werke, die Trost spenden sollen, ohne die Trauer einfach beseite zu wischen: „Das zieht einen nicht runter. Das hat eine Kraft.“

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FOTOS: DREHER Petra Read (v. l.), Ruth Seethaler, Herbert Köppen, Tina Menner-Zint, Andrea Luiking und Karin Burgmaier-Laengerer laden zum Gottesdien­st und zur Ausstellun­g „Kinder, die das Leben streifen“ein. Sie enthält Texte von Eltern, Fotos und lichtweiße...
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