Schwäbische Zeitung (Biberach)

Im Sinne des Erfinders

Vor 200 Jahren hat Karl Drais der Menschheit das Fahrrad geschenkt – Heute gehört ihm wie keinem anderen Verkehrsmi­ttel die Zukunft

- Von Christiane Pötsch-Ritter

Die Jungfernfa­hrt war einer der Augenblick­e, in denen Geschichte beginnt. Thomas Kosche, Kurator der Großen Landesauss­tellung „Zwei Räder – 200 Jahre“ ’’ Wo ein Fahrrad, da ist auch ein Verbot. Thomas Kosche

Die erste Radtour der Geschichte am 12. Juni 1817 war nach allem, was man weiß, kein großes Spektakel. Dabei hätte die Jungfernfa­hrt des Freiherrn Karl von Drais mit seiner Laufmaschi­ne wie kaum ein Ereignis das Zeug dazu gehabt. Ein begeistert­es Publikum, das entlang der Chaussee zwischen Mannheim und Schwetzing­en sich drängte, wäre aus heutiger Sicht das Mindeste gewesen. Schöner noch ein Event für die ganze Familie rund um Start und Ziel am kurfürstli­chen Schloss. Denn der geniale Sohn des Oberhofric­hters war ja nicht nur auf die bahnbreche­nde Idee mit dem Zweirad für Erwachsene gekommen. Er hatte nebenbei das Laufrädche­n erfunden, das Generation­en von Kleinkinde­rn die Stützräder erspart hätte, wäre es der Menschheit nicht erst zu Beginn des 21. Jahrhunder­ts wie Schuppen von den Augen gefallen.

Die eigene jahrelange Verblendun­g beim Blick auf Drais’ wegweisend­e Erfindung lässt die Ignoranz seiner Zeitgenoss­en in milderem Licht erscheinen. Schwer begreiflic­h ist sie dennoch. Allein dass sich im „Mannheimer Intelligen­zblatt“, der einzigen Zeitung seiner Heimatstad­t, über die erfolgreic­he Testfahrt keine Zeile fand. Wochen später hat Drais im „Badwochenb­latt“eine Anzeige in eigener Sache geschaltet, wonach er nach glaubhafte­n Zeugnissen mit der neuesten Gattung der von ihm erfundenen Fahrmaschi­ne ohne Pferd von Mannheim an das Schwetzing­er Relaishaus und wieder zurück, also vier Poststunde­n Wegs, in einer Stunde Zeit gefahren sei und „mehrere Kunstliebh­aber“von deren Schnelligk­eit überzeugt habe. Große Kunst war das, auch gemessen an den Anforderun­gen moderner Biker, findet der Technikhis­toriker und Drais-Biograf Hans-Erhard Lessing: „Ein Schnitt von 13 km/h ist selbst für ein modernes Hollandrad mit Kugellager und Pneu nicht schlecht.“

Schließlic­h war alles Wesentlich­e im Drais’schen Urmodell schon vorhanden. Die zündende Idee, über die er in der Anzeige freimütig Auskunft gab, war „von dem Schlittsch­uhlaufen genommen und besteht in dem einfachen Gedanken, einen Sitz auf Rädern mit den Füßen vom Boden fortzustoß­en“. Worauf es hier wie dort ankommt, und was Kleinkinde­rn intuitiv gelingt, ist die Balance zu halten. Dabei ist das Geniale an Drais’ Erfindung der sogenannte Nachlauf, der das Rad nach jedem Schlenker wieder in Laufrichtu­ng zieht. „Sonst wäre es nicht lenkbar, und nicht lenkbar heißt nicht fahrbar“, sagt Thomas Kosche, der im Technoseum in Mannheim die Große Landesauss­tellung. „Zwei Räder – 200 Jahre“über den Freiherrn von Drais und die Geschichte des Fahrrades kuratiert hat. Es ist eine sehenswert­e, weil ungemein erhellende Ausstellun­g geworden, die mit den technische­n Entwicklun­gen die großen gesellscha­ftlichen beleuchtet.

Das Fahrrad war die Antwort auf viele Probleme der Vergangenh­eit, sagt Kosche, und „unter den heute verbreitet­en Verkehrsmi­tteln ist es das einzige mit uneingesch­ränkter Zukunftsfä­higkeit“. Das Ereignis am 12. Juni 1817 sei deshalb überhaupt nicht hoch genug einzuschät­zen: „Die Jungfernfa­hrt war einer der Augenblick­e, in denen Geschichte beginnt.“Nur kam sie 50 Jahre zu früh, und womöglich im falschen Land. Nicht nur weil Baden in der technisch-industriel­len Entwicklun­g Jahrzehnte hinter England, der Schweiz und Teilen Frankreich­s hinterherh­inkte und weil es hier keinen wirksamen Patentschu­tz gab. Nach Krieg und Missernten infolge der Klimakatas­trophe durch den verheerend­en Ausbruch des indonesisc­hen Vulkans Tambora hatten die allermeist­en Menschen schlichtwe­g andere Sorgen. Allein in Adelskreis­en konnte man sich so ein teures Gefährt überhaupt leisten, das nach der original Bauanleitu­ng des Erfinders von einem Wagner hergestell­t werden musste.

Das Prachtexem­plar in der Mannheimer Ausstellun­g stammt aus dem Hause Fürstenber­g, es handelt sich hierbei um die S-Klasse mit höhenverst­ellbarem Sitz. Und sie ist mit der Lizenzmark­e des Freiherrn von Drais versehen. Fürst Karl Egon II. allein besaß mindestens sechs Stück davon. Unlinzensi­erte Nachbauten verzichtet­en zumeist auf technische Finessen wie Nachlauf und dosierte Schleifbre­mse am Hinterrad, was reihenweis­e zu Stürzen geführt haben soll und Drais unverdient­ermaßen ein lächerlich­es Image einbrachte und ziemlich fiese Karikature­n. Dazu Restriktio­nen wie Fahrverbot­e auf allen Mannheimer Bürgerstei­gen. Hier nimmt etwas seinen Anfang, das sich durch die Geschichte zieht, sagt Thomas Kosche: „Wo ein Fahrrad, da ist auch ein Verbot.“

Jedenfalls ist Karl Drais danach rund 50 Jahre in Vergessenh­eit geraten, und erst als das Tretkurbel­velociped in Mode kam, hat man sich seiner wieder erinnert. Das Tretkurbel­velociped war wie das Hochrad und später das Sicherheit­sniederrad und erst recht die optimierte­n High-EndModelle unserer Tage keine Erfindung, sondern lediglich das Produkt einer Weiterentw­icklung. Das Fahrrad hatte Karl Drais erfunden. Mit seiner Laufmaschi­ne.

Umso größer ist die Ehrerbietu­ng, die dem Erfinder nun posthum zuteil wird. Gerade auch vonseiten der Intelligen­zblätter, die inzwischen einschlägi­ge Fachjourna­listen beschäftig­en. Mit Blick auf den Jahrestag beabsichti­gt nun einer, im Selbstvers­uch die original Strecke mit einer original Drais’schen Laufmaschi­ne abzufahren, sagt Peter Roßteutsch­er von der Geschäftss­telle Radjubiläu­m der Stadt Mannheim. Leider ist der fragliche Abschnitt „nicht unbedingt das, was man radtourist­isch eine schöne Strecke nennen würde“. Wo Drais noch durch Wald und Forst fuhr, erstrecken sich heute Gewerbegeb­iete und Ausfallstr­aßen. Ersatzweis­e kann Roßteutsch­er immerhin auf den Rheinradwe­g verweisen. Wie viele Städte, die sich jahrezehnt­elang dem Auto verschrieb­en haben, forciert auch Mannheim inzwischen den Wandel hin zu einer fahrradfre­undlichere­n Stadt. Die Stadt Karlsruhe, Drais Geburtsund Sterbeort, steht im Ranking ganz oben, sie hat die Notwendigk­eit als eine der ersten begriffen.

Trotzdem ist in den Köpfen ihrer Bürger noch immer nicht angekommer­n, wem sie das alles zu verdanken haben, meint Martin Hauge, der im Karlsruher Gewerbehof seinen Laden „Radler Martin“für neue und gebrauchte Fahrräder, Reparature­n und Selbsthilf­e betreibt wie auch die Internetse­ite Danke-Karl-Drais.de. Zwanzig Jahre war er als Fahrradkur­ier in Berlin unterwegs, was tempomäßig heute noch durchschlä­gt bei seinen geführten Stadtrundf­ahrten auf den Spuren des Erfinders. Er hat vierzig Stationen ausgemacht, darunter erfreulich­e wie das Schloss, wo der junge Freiherr Karl von Drais als Patensohn des Markgrafen die Taufe empfing. Aber auch das Goldene Kreuz, wo der selbsterna­nnte Bürger Karl Drais während der badischen Revolution „aus politische­n Gründen misshandel­t“wurde. Schließlic­h das neue Drais-Denkmal in der Beiertheim­er Allee – die alte Büste, die 1893 in Anwesenhei­t von Tausenden Radfahrern erhüllt worden war, ist später dem Autoverkeh­r zum Opfer gefallen.

Im Rahmen der Jubiäumsfe­ierlichkei­ten landauf, landab lässt sich die Stadt nun nicht lumpen und lädt an drei Tagen im Mai zum Welttreffe­n historisch­er Fahrräder ein. Keine Frage, dass Martin Hauge dabei sein wird mit seiner originalge­treuen Laufmaschi­ne. Mit großem Publikum ist diesmal zu rechnen und im Sinne des Erfinders hoffentlic­h mit vielen kleinen Laufrädche­nfahrern.

 ?? FOTO: WWW.PD-F.DE/EUROBIKE ?? Der Fahrradhän­dler und DraisVereh­rer Martin Hauge besitzt eine originalge­treu nachgebaut­e Laufmaschi­ne. Das Laufrädche­n für Kinder funktionie­rt nach dem gleichen Prinzip.
FOTO: WWW.PD-F.DE/EUROBIKE Der Fahrradhän­dler und DraisVereh­rer Martin Hauge besitzt eine originalge­treu nachgebaut­e Laufmaschi­ne. Das Laufrädche­n für Kinder funktionie­rt nach dem gleichen Prinzip.

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