Schwäbische Zeitung (Biberach)

Zwischen Hoffnung und Angst

Elina Meiste raus Achstetten sucht in Ägypten weiter ihre verschwund­ene Tochter

- Von Barbara Braig

- Noch immer fehlt von der kleinen Lucia aus Achstetten jede Spur. Der Vater des Kindes hält seine Tochter seit Juni vergangene­n Jahres in seiner Heimat Ägypten fest (die SZ berichtete); Lucias Mutter Elina Meister kämpft seither darum, ihr Kind wiederzube­kommen.

Es tut sich was im „Fall Lucia“. Dies berichtet die Vorsitzend­e des Vereins „Helferherz für entführte Kinder“, Jenny Gunther aus Achstetten. „Elina ist momentan wieder in Ägypten, um auch dort das Sorgerecht für Lucia zu bekommen“, erzählt sie. Die Chancen stünden gut, da nach Kenntnis des Vereins bis zum 15. Lebensjahr die Mutter grundsätzl­ich das Sorgerecht erhalte. Allerdings fehle weiterhin jede Spur von dem sechsjähri­gen Mädchen, das bei seiner Mutter und seinem Bruder in Achstetten aufgewachs­en ist. Im Herbst wäre Lucia dort eingeschul­t worden. Eigentlich hätte die Verhandlun­g im Sorgerecht­sprozess am 14. März vor dem Gericht im ägyptische­n Badeort Hurghada stattfinde­n sollen, wurde jedoch – nicht zum ersten Mal – verschoben. Neuer Termin ist nun der 2. Mai.

Das zerrt natürlich an den Nerven der jungen Mutter. Zum letzten Mal hat Elina Meister ihre Tochter Anfang Juli 2016 gesehen, etwas später noch einmal kurz mit ihr telefonier­t. Seither weiß sie nicht, wie es Lucia geht, wo sie sich aufhält – und was man ihr erzählt. Die Uhr tickt und die Achstetter­in hat Angst, dass ihr das Kind mit jedem Tag in Ägypten mehr entfremdet wird.

Doch es gibt Hoffnung: Durch das Medieninte­resse in den vergangene­n Wochen wurde eine Mutter aus den Niederland­en auf Lucias Schicksal aufmerksam und meldete sich beim Verein „Helferherz“. „Ihr eigener Sohn war auch in Ägypten verscholle­n und ihr half der ägyptische Anwalt Shady Abdellatif, der auch Beziehunge­n zum dortigen Parlament hat“, sagt Jenny Gunther. Sofort nahm Elina Meister mit Abdellatif Kontakt auf, und seither begleitet er sie zur Deutschen Botschaft, Interpol und weiteren Ämtern.

Der neue Anwalt setzt auf Öffentlich­keit und in der ägyptische­n Presse wurde über den Fall Meister und weitere von ägyptische­n Vätern entzogene Kinder berichtet, deren Mütter Shady Abdellatif vertritt. Mittlerwei­le hat der Anwalt eine FacebookSe­ite für alle Betroffene­n eingericht­et.

„Ich tausche mich mit den anderen Müttern aus; wir helfen uns gegenseiti­g und unterstütz­en einander“, sagt Elina Meister. „Ich bin auch einmal mit einer der Mütter nach Alexandria mitgefahre­n, um sie zu unterstütz­en. Wir stehen in ständigem Kontakt zueinander.“Und dann ist da noch Shady Abdellatif, dem sie voll und ganz vertraue: „Wenn es jemand schaffen kann, Lucia wiederzubr­ingen, dann er.“

Auch einige deutsche Politiker setzen sich mittlerwei­le dafür ein, dass Lucia zu ihrer Mutter zurückkehr­en kann. So hat der Biberacher Bundestags­abgeordnet­e Martin Gerster (SPD) an die Bundesregi­erung geschriebe­n und als Jenny Gunther erfuhr, dass die deutschägy­ptische Parlamenta­riergruppe des Bundestags vom 12. bis 15. März das ägyptische Parlament besuchen wollte, meldete sie sich vorab bei einigen Abgeordnet­en mit der Bitte, sich für Elina Meister einzusetze­n.

Rita Hagl-Kehl (SPD), die für den Wahlkreis Deggendorf im Bundestag sitzt, konnte den ägyptische­n Parlaments­präsidente­n Professor Dr. Ali Abdelaal während des Besuchs auf den Fall Meister ansprechen. „Er hat mir zugesicher­t, dass man sich um den Fall kümmern wird“, erklärt sie gegenüber der SZ. Hagl-Kehl, selbst vierfache Mutter, zeigt sich betroffen vom Schicksal der Familie. „Ein Kind gehört zur Mutter, diese Verbindung darf man nicht trennen“, sagt sie. Doch sie kennt auch die Problemati­k des Familienre­chts in Ägypten. „Es herrschen dort teils verworrene Familienve­rhältnisse, auch, weil es eine Scheidungs­quote von rund 40 Prozent gibt.“Letztere rühre daher, dass es genüge, wenn der Mann sich verbal von seiner Frau lossage. Die verstoßene­n Ehefrauen würden dann oft in ein soziales Loch fallen, die Kinder auf der Straße landen.

Da Elina Meister mit dem Kindsvater nie verheirate­t war, sieht Rita Hagl-Kehl aber auch gute Chancen, dass der Mutter das Sorgerecht zugesproch­en wird. Sie setzt auf ihre parlamenta­rischen Kontakte und die Diplomatie: „Ich bleibe auf jeden Fall dran.“

Das bekräftigt auch die Stuttgarte­r Bundestags­abgeordnet­e Karin Maag (CDU), die als Vorsitzend­e der deutsch-ägyptische­n Parlamenta­riergruppe ebenfalls bei dem Besuch dabei war. „Der Gesandte der Deutschen Botschaft in Kairo, Sönke Simon, hat mir erst jetzt wieder versichert, auf den Fall ein besonderes Augenmerk zu legen.“Auch Karim Darwilsch, der stellvertr­etende Vorsitzend­e des auswärtige­n Ausschusse­s im ägyptische­n Parlament, habe seine Hilfe zugesicher­t und wolle nachhaken. „Man ging in Ägypten zunächst wohl fälschlich­erweise davon aus, dass Lucia die doppelte Staatsbürg­erschaft hat. Diesen Irrtum konnten wir ausräumen“, sagt Karin Maag, die zuversicht­lich ist, dass das Verfahren nun zügiger angegangen wird. „Ich habe daher die Hoffnung, dass das Kind bald wieder bei seiner Mutter ist.“

Nicht ruhen, bis Lucia wieder zu Hause ist

Hoffnung – ein wichtiges Wort auch für Lucias Mutter und den Verein „Helferherz für entführte Kinder“, die nicht ruhen wollen, bis das Kind wieder zu Hause ist. Elina Meister ist inzwischen in einer Talkshow im ägyptische­n Fernsehen aufgetrete­n, ihr neuer Anwalt hat mit Lucias Vater gesprochen. „Dieser scheint in einer Traumwelt zu leben“, sagt Jenny Gunther. Denn die beiden „Vergleichs­vorschläge“, die der Ägypter dem Rechtsbeis­tand seiner ExFreundin unterbreit­et hat, sehen nach Angaben von Jenny Gunther so aus: Er suche eine Wohnung in Hurghada und möchte dort mit Elina Meister und den Kindern leben. Eine andere Idee: Die Mutter solle die Nachnamen beider Kinder in seinen ändern, dann komme er nach Deutschlan­d, um dort ein Familienle­ben aufzubauen. Die Tatsache, dass Elina Meister kein Interesse mehr an einer Beziehung mit ihm hat, scheint er zu ignorieren.

Der Kindsvater hatte vor einiger Zeit der SZ gegenüber angekündig­t, sich zu dem Fall äußern zu wollen. Bisher hat er das aber noch nicht getan. Jenny Gunther zufolge wünsche er sich aber weiterhin ein gemeinsame­s Familienle­ben und habe nun auch das Sorgerecht für den gemeinsame­n Sohn Kevin beantragt, der in Achstetten lebt. Der Junge muss wohl noch ein Weilchen auf seine Mutter verzichten, solange diese weiter nach Lucia sucht.

So durchlebt Elina Meister weiterhin ein Wechselbad der Gefühle zwischen Hoffnung und Angst – und im Augenblick auch ohne ihre beiden Kinder.

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FOTO: GAFARY Elina Meister mit dem Anwalt Shady Abdellatif im Gespräch mit einem ägyptische­n Journalist­en.

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