Schwäbische Zeitung (Biberach)
Zwischen Hoffnung und Angst
Elina Meiste raus Achstetten sucht in Ägypten weiter ihre verschwundene Tochter
- Noch immer fehlt von der kleinen Lucia aus Achstetten jede Spur. Der Vater des Kindes hält seine Tochter seit Juni vergangenen Jahres in seiner Heimat Ägypten fest (die SZ berichtete); Lucias Mutter Elina Meister kämpft seither darum, ihr Kind wiederzubekommen.
Es tut sich was im „Fall Lucia“. Dies berichtet die Vorsitzende des Vereins „Helferherz für entführte Kinder“, Jenny Gunther aus Achstetten. „Elina ist momentan wieder in Ägypten, um auch dort das Sorgerecht für Lucia zu bekommen“, erzählt sie. Die Chancen stünden gut, da nach Kenntnis des Vereins bis zum 15. Lebensjahr die Mutter grundsätzlich das Sorgerecht erhalte. Allerdings fehle weiterhin jede Spur von dem sechsjährigen Mädchen, das bei seiner Mutter und seinem Bruder in Achstetten aufgewachsen ist. Im Herbst wäre Lucia dort eingeschult worden. Eigentlich hätte die Verhandlung im Sorgerechtsprozess am 14. März vor dem Gericht im ägyptischen Badeort Hurghada stattfinden sollen, wurde jedoch – nicht zum ersten Mal – verschoben. Neuer Termin ist nun der 2. Mai.
Das zerrt natürlich an den Nerven der jungen Mutter. Zum letzten Mal hat Elina Meister ihre Tochter Anfang Juli 2016 gesehen, etwas später noch einmal kurz mit ihr telefoniert. Seither weiß sie nicht, wie es Lucia geht, wo sie sich aufhält – und was man ihr erzählt. Die Uhr tickt und die Achstetterin hat Angst, dass ihr das Kind mit jedem Tag in Ägypten mehr entfremdet wird.
Doch es gibt Hoffnung: Durch das Medieninteresse in den vergangenen Wochen wurde eine Mutter aus den Niederlanden auf Lucias Schicksal aufmerksam und meldete sich beim Verein „Helferherz“. „Ihr eigener Sohn war auch in Ägypten verschollen und ihr half der ägyptische Anwalt Shady Abdellatif, der auch Beziehungen zum dortigen Parlament hat“, sagt Jenny Gunther. Sofort nahm Elina Meister mit Abdellatif Kontakt auf, und seither begleitet er sie zur Deutschen Botschaft, Interpol und weiteren Ämtern.
Der neue Anwalt setzt auf Öffentlichkeit und in der ägyptischen Presse wurde über den Fall Meister und weitere von ägyptischen Vätern entzogene Kinder berichtet, deren Mütter Shady Abdellatif vertritt. Mittlerweile hat der Anwalt eine FacebookSeite für alle Betroffenen eingerichtet.
„Ich tausche mich mit den anderen Müttern aus; wir helfen uns gegenseitig und unterstützen einander“, sagt Elina Meister. „Ich bin auch einmal mit einer der Mütter nach Alexandria mitgefahren, um sie zu unterstützen. Wir stehen in ständigem Kontakt zueinander.“Und dann ist da noch Shady Abdellatif, dem sie voll und ganz vertraue: „Wenn es jemand schaffen kann, Lucia wiederzubringen, dann er.“
Auch einige deutsche Politiker setzen sich mittlerweile dafür ein, dass Lucia zu ihrer Mutter zurückkehren kann. So hat der Biberacher Bundestagsabgeordnete Martin Gerster (SPD) an die Bundesregierung geschrieben und als Jenny Gunther erfuhr, dass die deutschägyptische Parlamentariergruppe des Bundestags vom 12. bis 15. März das ägyptische Parlament besuchen wollte, meldete sie sich vorab bei einigen Abgeordneten mit der Bitte, sich für Elina Meister einzusetzen.
Rita Hagl-Kehl (SPD), die für den Wahlkreis Deggendorf im Bundestag sitzt, konnte den ägyptischen Parlamentspräsidenten Professor Dr. Ali Abdelaal während des Besuchs auf den Fall Meister ansprechen. „Er hat mir zugesichert, dass man sich um den Fall kümmern wird“, erklärt sie gegenüber der SZ. Hagl-Kehl, selbst vierfache Mutter, zeigt sich betroffen vom Schicksal der Familie. „Ein Kind gehört zur Mutter, diese Verbindung darf man nicht trennen“, sagt sie. Doch sie kennt auch die Problematik des Familienrechts in Ägypten. „Es herrschen dort teils verworrene Familienverhältnisse, auch, weil es eine Scheidungsquote von rund 40 Prozent gibt.“Letztere rühre daher, dass es genüge, wenn der Mann sich verbal von seiner Frau lossage. Die verstoßenen Ehefrauen würden dann oft in ein soziales Loch fallen, die Kinder auf der Straße landen.
Da Elina Meister mit dem Kindsvater nie verheiratet war, sieht Rita Hagl-Kehl aber auch gute Chancen, dass der Mutter das Sorgerecht zugesprochen wird. Sie setzt auf ihre parlamentarischen Kontakte und die Diplomatie: „Ich bleibe auf jeden Fall dran.“
Das bekräftigt auch die Stuttgarter Bundestagsabgeordnete Karin Maag (CDU), die als Vorsitzende der deutsch-ägyptischen Parlamentariergruppe ebenfalls bei dem Besuch dabei war. „Der Gesandte der Deutschen Botschaft in Kairo, Sönke Simon, hat mir erst jetzt wieder versichert, auf den Fall ein besonderes Augenmerk zu legen.“Auch Karim Darwilsch, der stellvertretende Vorsitzende des auswärtigen Ausschusses im ägyptischen Parlament, habe seine Hilfe zugesichert und wolle nachhaken. „Man ging in Ägypten zunächst wohl fälschlicherweise davon aus, dass Lucia die doppelte Staatsbürgerschaft hat. Diesen Irrtum konnten wir ausräumen“, sagt Karin Maag, die zuversichtlich ist, dass das Verfahren nun zügiger angegangen wird. „Ich habe daher die Hoffnung, dass das Kind bald wieder bei seiner Mutter ist.“
Nicht ruhen, bis Lucia wieder zu Hause ist
Hoffnung – ein wichtiges Wort auch für Lucias Mutter und den Verein „Helferherz für entführte Kinder“, die nicht ruhen wollen, bis das Kind wieder zu Hause ist. Elina Meister ist inzwischen in einer Talkshow im ägyptischen Fernsehen aufgetreten, ihr neuer Anwalt hat mit Lucias Vater gesprochen. „Dieser scheint in einer Traumwelt zu leben“, sagt Jenny Gunther. Denn die beiden „Vergleichsvorschläge“, die der Ägypter dem Rechtsbeistand seiner ExFreundin unterbreitet hat, sehen nach Angaben von Jenny Gunther so aus: Er suche eine Wohnung in Hurghada und möchte dort mit Elina Meister und den Kindern leben. Eine andere Idee: Die Mutter solle die Nachnamen beider Kinder in seinen ändern, dann komme er nach Deutschland, um dort ein Familienleben aufzubauen. Die Tatsache, dass Elina Meister kein Interesse mehr an einer Beziehung mit ihm hat, scheint er zu ignorieren.
Der Kindsvater hatte vor einiger Zeit der SZ gegenüber angekündigt, sich zu dem Fall äußern zu wollen. Bisher hat er das aber noch nicht getan. Jenny Gunther zufolge wünsche er sich aber weiterhin ein gemeinsames Familienleben und habe nun auch das Sorgerecht für den gemeinsamen Sohn Kevin beantragt, der in Achstetten lebt. Der Junge muss wohl noch ein Weilchen auf seine Mutter verzichten, solange diese weiter nach Lucia sucht.
So durchlebt Elina Meister weiterhin ein Wechselbad der Gefühle zwischen Hoffnung und Angst – und im Augenblick auch ohne ihre beiden Kinder.