Schwäbische Zeitung (Biberach)
Lohn für die Extraportion Leidenschaft
Sebastian Vettel beschert Ferrari zum Auftakt der Formel-1-Saison den so sehr ersehnten Sieg
(dpa/SID) - Überwältigt vor Glück wollte Sebastian Vettel nach dem Ende seiner Leidenszeit mit Ferrari den Moment einfach nur festhalten. Die Galafahrt zum Formel-1-Auftaktsieg in Melbourne und das Signal im erwarteten WM-Gigantenduell mit Lewis Hamilton befreiten den Hessen von einer Zentnerlast. „Ich bin völlig aus dem Häuschen. Es ist so viel Herzblut geflossen, das ist eine große Erleichterung für alle“, sagte Vettel nach dem 43. Grand-PrixSieg seiner Karriere. Eineinhalb Jahre, seit Singapur 2015, hatte er auf diesen Moment warten müssen. „Das“, versprach er nun, „war erst der Anfang.“
Im Freudenrausch gönnte sich der 29-Jährige ein kleines Tänzchen neben seinem neuen Dienstwagen, den er „Gina“getauft hat. „Hat sich gut angestellt fürs erste Mal“, scherzte Vettel, nachdem er bei einer innigen Umarmung die Glückwünsche des geschlagenen Hamilton entgegengenommen hatte. „Jetzt haben wir einen echten Kampf vor uns“, sagte der Brite, der seinen neuen Teamkollegen Valtteri Bottas auf Platz drei verwies.
Drei Jahre hatte Mercedes die Formel 1 dominiert, 51 von 59 Rennen gewonnen. Nun scheint die Regelreform hin zu breiteren und schnelleren Autos der Dominanz der Silberpfeile vorerst ein Ende gesetzt zu haben. „Wir waren einfach nicht schnell genug, deshalb ist Sebastian der verdiente Sieger“, sagte Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff. Wütend hatte der Österreicher am MercedesKommandostand mit der Faust auf den Tisch gehauen, als ein zu früher Boxenstopp den von der Pole Position gestarteten Hamilton den Sieg kostete: Zu lange hing Hamilton danach hinter Red-Bull-Pilot Max Verstappen fest; Sebastian Vettel nutzte das.
Zum ersten Mal seit Ende 2013 führt damit kein Mercedes die WM an. „Es wurde Zeit“, teilte FerrariKonzernchef Sergio Marchionne mit, nachdem Vettel die Sieglos-Serie der Scuderia beendet hatte. „Endlich wieder die italienische Nationalhymne zu hören, war sehr bewegend.“
Zumal nach all der Kritik der langen sieglosen Zeit. „Viele Leute wissen nicht zu schätzen, was dieses Team in den vergangenen sechs Monaten geleistet hat. Wir mussten viele Lektionen lernen“, sagte Sebastian Vettel. „Wir haben weder nach vorn, nach hinten, nach rechts oder links geschaut.“Schon bei den Testfahrten vor Saisonbeginn begegnete Ferrari den Mercedes auf Augenhöhe, auch im Rennen von Melbourne konnte Vettel das Tempo von Hamilton kontern. „Die Jungs haben in der letzten Zeit nicht viel geschlafen. Bei Ferrari gibt es diese Extraportion Leidenschaft“, sagte der viermalige Weltmeister. In den Lobeshymnen auf seine Crew wurde deutlich, unter welch enormem Druck der italienische Traditionsrennstall zuletzt gestanden war. Auch klar allerdings: das Potenzial des 2017er-Ferrari. Chauffeur Vettel: „Am Ende konnte ich Reifen und Geschwindigkeit toll kontrollieren, es war ganz anders als im vergangenen Jahr. Das Auto schreit: ,Mehr, mehr, mehr!‘ Ich hätte für immer weiterfahren können.“
„Es ist gut für den Sport, dass wir jetzt dieses enge Duell haben“, sagte der trotz der Niederlage noch ziemlich gelassene Hamilton. Melbourne war schließlich erst der Anfang, 19 Rennen folgen bis Ende November. Hamilton vertraut auf die Stärke von Mercedes im zu erwartenden Wettrüsten der Top-Teams, die das noch frische Regelwerk nach Kräften ausbeuten werden.
In Australien konnte die neue Formel 1 noch nicht alle Hoffnungen erfüllen. Überholmanöver und enge Zweikämpfe gab es kaum. Auch aus deutscher Sicht lief einiges schief. Nico Hülkenberg verpasste bei seinem Renault-Debüt als Elfter die Punkteränge. Sauber-Neuzugang Pascal Wehrlein verzichtete (siehe unten) auf einen Start. Doch Vettels Sieg rettete den Tag. „Der Ferrari war bärenstark, das wird ein heißer Ritt in diesem Jahr“, befand Mercedes-Teamchef Wolff. Ferrari-Boss Marchionne formulierte seine Erwartungen in Sachen Titel so: „Wir dürfen nicht vergessen, dass dieser Sieg nicht das Ziel unserer Reise war, sondern nur der erste Schritt auf einem langen Weg.“