Schwäbische Zeitung (Biberach)
De Maizière beklagt steigende Verrohung
Anstieg der Gewaltdelikte beunruhigt den Innenminister – Mehr Asylbewerber straffällig
(KNA/AFP) - Bundesinnenminister Thomas de Maizière beklagt eine „besorgniserregende“Verrohung der Gesellschaft in Deutschland. Dies zeige sich im Internet, in der Alltagskriminalität und der politisch motivierten Kriminalität, sagte der CDU-Politiker am Montag in Berlin bei der Vorstellung der Kriminalstatistik 2016. Im vergangenen Jahr sind 6,37 Millionen Straftaten registriert worden. Das sind, trotz der Zunahme der Bevölkerung, lediglich 0,7 Prozent mehr als 2015. Jedoch gebe es viel mehr Gewaltdelikte. Einen deutlichen Anstieg von Straftaten konstatierte de Maizière auch bei Flüchtlingen und Zuwanderern.
Die Zahl der straffällig gewordenen Asylbewerber erhöhte sich laut der neuen Polizeistatistik um 52,7 Prozent. Wurden 2015 noch 114 000 straffällige Asylbewerber, Bürgerkriegsflüchtlinge und Geduldete registriert, waren es im vergangenen Jahr 174 000. De Maizière sprach von einer unerfreulichen Entwicklung. Erfasst wurden alle Deliktsbereiche, außer Verstößen gegen das Ausländerrecht. „Da ist nichts zu beschönigen“, sagte der Innenminister. Es handele sich bei den Tätern häufig um junge Männer, um Intensivtäter. In dieser Gruppe sei auch bei Deutschen eine deutlich höhere Kriminalitätsrate festzustellen. Der Minister wies zudem auf die beengten Wohnverhältnisse in den Sammelunterkünften für Flüchtlinge hin. Das Gros der Asylbewerber sei unbescholten. Zudem konzentriere sich die Zahl der Straftäter auf bestimmte Herkunftsländer, vor allem in Nordafrika. „Die wirklich Schutzbedürftigen“, etwa Syrer, seien unter den Straffälligen unterrepräsentiert.
Die deutliche Zunahme von Gewaltkriminalität sowie den Anstieg von Hass und Verrohung bewertete der Minister als „Weckruf an uns alle“. Es sei gesellschaftlich etwas „ins Rutschen geraten“. Das zeige sich nicht zuletzt bei Angriffen auf die Polizei und auf Rettungskräfte und Sanitäter. Solche Übergriffe seien „besonders niederträchtig“.
Mit Blick auf die politisch motivierte Gewalt betonte der CDU-Politiker, dass diese bundesweit zwar nur ein Prozent des gesamten Kriminalitätsgeschehens ausmache. Als Stimmungsbarometer habe sie aber eine „enorme Bedeutung für das Zusammenleben“.
- „Viel Licht und viel Schatten“zeige die Polizeiliche Kriminalstatistik 2016, erklärte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) am Montag bei der Vorstellung der Zahlen. Demnach gibt es einen Rückgang bei Wohnungseinbrüchen, Ladendiebstählen und Betrugsdelikten, dafür aber eine deutliche Zunahme von Gewalt. Die wichtigsten Fragen zur neuen Statistik beantwortet Rasmus Buchsteiner.
Wie hat sich die Kriminalität in Deutschland entwickelt?
Im vergangenen Jahr sind 6,37 Millionen Straftaten registriert worden – 0,7 Prozent mehr als 2015. Rechnet man Verstöße gegen das Ausländerrecht wie die unerlaubte Einreise heraus, waren es 5,92 Millionen Delikte – ein Rückgang von 0,7 Prozent. Die Aufklärungsquote lag bei 54 Prozent.
Wie unterscheidet sich die Kriminalität nach Bundesländern?
Berlin ist Deutschlands Kriminalitätshauptstadt – mit 15 700 Straftaten pro 100 000 Einwohner, in Bayern sind es 4785, in Mecklenburg-Vorpommern 7165, in Niedersachsen 6961, in Nordrhein-Westfalen 8 097. In Baden-Württemberg wurden 5390 Straftaten registriert, weniger als im Vorjahr (5538). Es ist somit das zweitsicherste Bundesland nach Bayern.
Wie kriminell sind Flüchtlinge?
Die Zahl der tatverdächtigen Zuwanderer, worunter in der Statistik Flüchtlinge und Asylbewerber gezählt werden, ist im vergangenen Jahr auf 174 438 gestiegen – um 52,7 Prozent im Vergleich mit 2015. „Da gibt es nichts zu beschönigen“, erklärte de Maizière. Bei Taschendiebstahl ist jeder Dritte der rund zwei Millionen Tatverdächtigen ein Zuwanderer. Bei Wohnungseinbrüchen beträgt der Anteil 11,3 Prozent, bei gefährlicher Körperverletzung sowie Vergewaltigung und sexueller Nötigung sind es jeweils 14,9 Prozent. Zum Vergleich: Der Anteil der Flüchtlinge und Asylbewerber an der Bevölkerung beträgt zwei Prozent. Laut dem Bundesinnenminister sind wirklich schutzbedürftige Flüchtlinge wie Syrer nicht das Problem. Sorgen bereiten vor allem jugendliche Intensivtäter mit nordafrikanischen Wurzeln.
Welche Trends gibt es bei Gewaltdelikten?
„Besorgniserregend ist die Verrohung unserer Gesellschaft und deren Folgen“, stellte Thomas de Maizière fest. Die Gewaltkriminalität sei – abgesehen von Raub – gestiegen. So hat es im vergangenen Jahr 2418 Fälle von Mord und Totschlag gegeben – ein Plus von 14,3 Prozent. Die Statistik weist zudem 7919 Fälle von Vergewaltigung und sexueller Nötigung aus – 12,8 Prozent mehr als im Vorjahr. Auch die Körperverletzung nahm zu, und zwar um 8,1 Prozent auf 406 038 Delikte. Zudem wurden Polizeibeamte in knapp einer Million Fällen Opfer von Straftaten.
Wird seltener eingebrochen?
Ja. Im vergangenen Jahr ist 151 265 Mal in Wohnungen eingebrochen worden, darunter 63 176 Fälle von Einbrüchen am Tag. Das entspricht einem Rückgang um 9,5 Prozent. Allerdings: 2015 hatte es so so viele Einbrüche gegeben wie seit den Neunzigerjahren nicht mehr. Im vergangenen Jahr lag die Zahl dann wieder auf dem Niveau von 2014. Nur knapp 17 Prozent aller Einbrüche werden aufgeklärt. Innenminister de Maizière führt die Entwicklungen auf intensive Anstrengungen in den Bundesländern zurück, um Einbrechern das Handwerk zu legen. Nach den Plänen der Großen Koalition soll auch einfacher Wohnungseinbruchdiebstahl künftig mit mindestens einem Jahr Haft bestraft werden. Ein Förderprogramm für besseren Schutz von Wohnungen und Häusern wird fortgesetzt.
Was ist mit der politisch motivierten Kriminalität?
Sie nahm im vergangenen Jahr um 6,6 Prozent auf 41 549 Fälle zu. Der Anstieg geht vor allem zurück auf die sogenannte politische Ausländerkriminalität, die um 66,5 Prozent zunahm. Darunter fallen unter anderem Straftaten durch Mitglieder der Terrormiliz IS oder der kurdischen PKK in Deutschland. Die Hasskriminalität, worunter zum Beispiel Hetze im Internet gehört, erreichte mit 10 751 Fällen im Jahr 2016 einen neuen Höchststand. Die Zahl der Angriffe auf Asylbewerberheime sank im vergangenen Jahr um 4,5 Prozent. 169 Fälle wurden registriert. Doch halte der Rückgang mit der Verringerung der Flüchtlingsunterkünfte in Deutschland nicht Schritt, erklärte de Maizière. Für das laufende Jahr erwartet der CDU-Politiker eine weitere Zunahme der politisch motivierten Kriminalität – etwa in Zusammenhang mit dem bevorstehenden G20-Gipfel im Juli in Hamburg.