Schwäbische Zeitung (Biberach)
Dietrichs Jahrhundertprojekt steht
Der VfB Stuttgart darf ausgliedern – 84,2 Prozent der anwesenden Mitglieder dafür
- Ausgliedern oder nicht, 41,5 Millionen von Investor Daimler (und später weiteren Investoren) nehmen oder als Mitglied die volle Kontrolle über den Verein behalten: Es war eine Mitgliederversammlung, die in die Geschichte des VfB Stuttgart 1893 e.V. eingehen sollte, und wie viele Anhänger und Leidensgenossen der brandneue Zweitligameister hat, sah man am Donnerstagabend bereits beim Betreten der Mercedes-Benz-Arena. Sage und staune 14 038 Menschen wohnten auf der Haupttribüne und in der Untertürkheimer Kurve der Sitzung bei, davon 12 778 Stimmberechtigte. Und sie entschieden für: Ja! 84,2 Prozent stimmten für die Ausgliederung der Profifußballabteilung in die VfB Stuttgart 1893 AG.
VfB-Präsident Wolfgang Dietrich und seine Führung hatten den Abend geschickt eingefädelt – mit viel Pathos. Da liefen Retro-Bilder eines SWR-Studioauftritts der 77er-Aufstiegsmannschaft über die Leinwand mit einem wortkargen Trainer Jürgen Sundermann, mit Hermann Ohlicher und seinem Söhnchen auf dem Schoß und einem ungewohnt devoten Ex-Patriarchen Gerhard MayerVorfelder. Bilder von Helmut Benthaus, dem Schweizer Meister-Macher von 1984, von Guido Buchwald, wie er 1992 das Tor zum Titel köpft. Und natürlich von der Aufstiegsfeier elf Tage zuvor, bei der selbst Polizisten Selfies mit den Spielern machten. Schließlich liefen die Spieler um Trainer Hannes Wolf unter dem Jubel der Fans selbst auf. Sollte heißen: Ziemlich viel Tradition hat dieser VfB und große Erfolge, an die es wieder anzuknüpfen gelte – mit der Ausgliederung nämlich.
Dietrich konnte schnell aufatmen, als ein Antrag des AG-Kritikers (und Stuttgarter AfD-Funktionärs) Rainer Deyhle mit 86-prozentiger Mehrheit abgeschmettert wurde. Er hatte den Verein dazu aufgefordert, Alternativen – etwa Bank-Darlehen - zu prüfen und den Mitgliedern vorzulegen. Zudem solle Investor Mercedes zur Millionen-Spende aufgefordert werden statt zum Einstieg, wenn er wirklich keine Gewinnabsichten habe.
Dietrich sagte, alle Alternativen zur AG seien längst geprüft, er versprach:
STUTTGART
„Der Verein wird immer Eigentümer dieser Gesellschaft bleiben, das garantieren wir. Ein absolutes No-Go wäre, gar nichts zu tun und so lange zu warten, bis irgendein Investor sich den Verein krallt.“Mit Budgets, „die hinten und vorne nicht reichen, maßlose sportliche Ansprüche zu haben“, funktioniere nicht, so Dietrich. Zumal Wettbewerber wie Augsburg, Freiburg und Hannover in der nächsten Saison mit 50, 42 respektive 41 Millionen Euro TV-Aufnahmen viel mehr einnähmen als der VfB. Der bekäme als Aufsteiger 32 Millionen. Wolle der VfB wieder den Anschluss an die deutsche Spitze gewinnen, brauche er in vier Jahren 250 Millionen Euro zusätzlich. 150 Millionen könne er durch Partner und Sponsoren selbst gewinnen, 100 Millionen, indem er in drei Jahren maximal 24,9 Prozent an Investoren veräußere – die ersten 41,5 Millionen von Ankerinvestor Daimler für 11,75 Prozent der Anteile.
Die Zahlen hatte Dietrich in den letzten Wochen oft genannt auf der Wahlkampftour, für sein „Jahrhundertprojekt“. Lebensfähig, so Dietrich, sei der VfB auch ohne Ausgliederung, die Lizenz habe man ohne Auflagen bekommen. Zudem habe man nun 55 –000 Mitglieder: „Ein Verein, der in der größten Krise seiner Geschichte 11 000 Mitglieder gewinnt, der kann nicht kaputtgehen. Aber unsere Tradition braucht Zukunft. Eine Tradition ohne Zukunft und ohne Kapital geht kaputt.“
Auch Manager Jan Schindelmeiser plädierte leidenschaftlich pro AG: „Wir müssen diesem Verein seine Identität zurückgeben mit einer Philosophie, die davon geprägt ist, das Maximum anzustreben. In den Entscheidungen, die wir getroffen haben, sollte die DNA dieses Clubs immer zu sehen sein. Wenn wir nicht ambitioniert sind, werden wir keine ambitionierten Spieler und Mitarbeiter gewinnen, sondern werden die Ambitionierten noch verlieren. Noch sind wir in der letzten Startreihe, aber der VfB wird landesweit um sein Potenzial beneidet und gefürchtet. Lassen Sie uns dieses Potenzial erschließen, alle zusammen, jetzt, um langfristig wieder zu den Besten gehören.“
Finanzchef Stefan Heim versuchte, die Kritiker der Rechtsform AG zu beschwichtigen: „Selbst wenn eines Tages die 75-Prozent-Regel fallen würde, haben wir in unserer Satzung die 25-Prozent-Regel, und die wird bleiben. Dortmund hält nicht einmal zehn Prozent seiner Anteile. Entscheidend ist für uns, dass wir an die 41,5 Millionen Euro vom Daimler kommen. Und das geht nicht ohne die Tochtergesellschaft.“
Das wollten letztlich auch die Mitglieder. Nach langer Abstimmungszeit – je fünf Mitglieder mussten sich ein elektronisches Stimmgerät teilen – votierten schließlich 84,2 Prozent für die Ausgliederung. „Seit gewiss“, sagte Dietrich, „dass wir verantwortungsbewusst mit eurem Vertrauen umgehen.“