Schwäbische Zeitung (Biberach)
Nach dem Krebs das Zweifachwunder
Bettina Wassermann lässt sich vor ihrer Chemo Eierstockgewebe einfrieren und wird Jahre später schwanger
STUTTGART/KREENHEINSTETTEN Ein Krankenzimmer im Stuttgarter Marienhospital: Vor knapp sieben Jahren lag Bettina Wassermann hier und kämpfte gegen den Krebs. Am 25. Juli 2017 bringt die gebürtige Kreenheinstetterin am gleichen Ort krebsfrei ihre gesunde Tochter zur Welt. Es ist ihr zweites Kind, ihr zweites Wunder, für Wassermann kommt das einem Zweifachlottogewinn gleich. Und während sie ihre Geschichte erzählt, stillt sie die kleine Pauline und muss manchmal mit den Tränen kämpfen. Denn dass die 39-jährige Zweifachmama werden konnte, ist der modernen Reproduktionsmedizin zu verdanken. Vor ihrer Chemotherapie wurde Bettina Wassermann ein Drittel ihres Eierstocks entfernt, eingefroren und nach der Krebsbehandlung wieder eingesetzt. Als erste Frau in BadenWürttemberg konnte sie auf diese Weise schwanger werden und das gleich zweimal.
„Es gibt so Daten, die merkt man sich“, sagt Bettina Wassermann. Der 4. August 2010 ist so ein Tag, damals wird ein Knoten in ihrer Brust festgestellt, eine aggressive Form von Brustkrebs. Auch ein Lymphknoten ist befallen. Die Behandlung erfolgt im Stuttgarter Marienhospital, dort rät man ihr, bereits vor der Behandlung an das Leben nach dem Krebs zu denken und empfiehlt, Eizellen entnehmen zu lassen und weist ergänzend auf ein neuartiges Verfahren der Fertilitätserhaltung hin, das damals unter anderem in Heidelberg erprobt wird: Gewebe des Eierstocks wird dabei entfernt und schonend eingefroren. „Es gab noch nicht viele Erfolge mit dieser Methode“, sagt die heute 39-Jährige.
Überleben nicht gefährden
Sie entscheidet sich für das Verfahren, dass sie im Rückblick als unkompliziert beschreibt und im Gegensatz zur klassischen Eizellenentnahme als unbelastender. Lediglich eine ambulante Biopsie ist dafür nötig. Weil eine Chemotherapie unfruchtbar machen kann, musste die Entnahme des Eierstockgewebes zuvor stattfinden, zu lange warten durfte sie aber nicht: „Wir haben uns ein Zeitfenster von maximal vier Wochen gegeben. Was innerhalb dieser Zeit vor der Chemo machbar sein würde, wollten wir machen. Was nicht, wollten wir lassen, um mein Überleben nicht zu gefährden.“Sie wollten immer Kinder haben, sagt Wassermann, aber die Partnerschaft sei ebenso wichtig gewesen.
Am Tag der Krebsdiagnose entschließen sich Bettina Wassermann und ihr Lebensgefährte, zu heiraten. Noch vor der Bestrahlung, Operation und Therapie geht das Paar den Bund der Ehe ein. „Es ist ein wahnsinniges Gefühl, dass sich jemand für einen entscheidet, wenn dein Leben auf der Kippe steht“, sagt Wassermann und kämpft mit den Tränen. Es ist der Tag vor der Entnahme des Gewebes, ein Donnerstag. Weder für die Hochzeit noch für die Biopsie wollte das Paar Zeit verlieren. „Weil freitags keine Boten von Heidelberg nach Frankfurt fahren, hat mein Mann am Tag nach der Hochzeit das Gewebe selbst ins Labor gebracht“, sagt Wassermann.
Bettina Wassermann gewinnt den Kampf gegen die Krankheit. Ihre Brust, mit der sie nun ihre Tochter stillt, kann erhalten werden. Das Paar wartet die kritische Zeit von drei Jahren ab, nach der Wassermann als krebsfrei gilt. Dann lässt sich die Stuttgarter Architektin das eigene Gewebe wieder einsetzen.
Hormone stimulieren den Eierstock, seine Tätigkeit wieder aufzunehmen. Binnen kürzester Zeit hat Bettina Wassermann wieder einen geregelten Zyklus, nach vier Monaten wird sie schwanger mit Sohn Elian, der im Dezember 2015 auf die Welt kommt. „Wir haben uns kaum getraut, es zu realisieren“, sagt Bettina Wassermann. „Mein Gewebe war noch knackige 32, obwohl ich 37 war“, so Wassermann. Doch nicht nur im Hinblick auf den Kinderwunsch erweist sich die Methode als Segen: Sie ist auch therapeutisch sinnvoll, denn sie sorgt für einen geregelten Zyklus. Weil die Chemotherapie Wassermanns Eierstock zerstört, setzen bei der gebürtigen Kreenheinstetterin die Wechseljahre ein, was zu einem erhöhten Osteoporose-Risiko führt.
Um ein zweites Kind zu bekommen, wird das restliche Eierstockgewebe aufgetaut und eingesetzt, denn die Anzahl der Eier im Gewebe ist begrenzt und schließlich aufgebraucht. Diesmal holt Bettina Wassermann das Gewebe selbst aus dem Frankfurter Labor ab. „Das Kühlteil auf dem Beifahrersitz sah aus wie der R2D2-Roboter aus Star Wars“, sagt die 39-Jährige lachend. Nach drei Monaten wird sie mit Tochter Pauline schwanger, heute ist das Kind wenige Tage alt.
Die Kosten für das Verfahren trägt zum Teil die Krankenkasse, teils Bettina Wassermann selbst. Die Einlagerung des Gewebes, sagt sie, koste pro Jahr 200 Euro. 2010 galt die Methode noch als experimentell, heute zählt sie zu den Routineverfahren mit einer Erfolgsquote von 20 bis 25 Prozent, wie Prof. Dr. Bettina Toth, damals behandelnde Gynäkologin Wassermanns in Heidelberg, berichtet. „Weltweit gibt es mehr als 100 Kinder, die dank dieser Methode zur Welt kamen“, sagt sie.