Schwäbische Zeitung (Biberach)
Sommerloch
Nicht die Meteorologen warnen vor dem Sommerloch und auch nicht umweltbewegte Klimaforscher. Es sind die Menschen, die in der Sommerpause mit Sorge die öffentlichen Diskussionen und das Denken in unseren Hirnen zum Stillstand kommen sehen. Natürlich passiert weniger, wenn alle im Urlaub sind. Manchmal rückt ein Tier in dieser Zeit in den Fokus. Bruno der Problembär aus Österreich fällt mir ein oder seinerzeit die crazy Kuh Yvonne, die sich nicht fangen lässt. Oder der schwarze Trauerschwan, der sich in ein weißes schwanenförmiges Tretboot verliebte. Stillstandslöcher sind unangenehm. Wie steht es mit uns selber? Wenn im Sommer nichts passiert?
In einer Supervisionsrunde im Krankenhaus erlebe ich es gelegentlich: Wenn keiner der Teilnehmer ein Thema oder ein Problem hat, das bearbeitet werden sollte, dann wird das Gespräch nicht langweilig, sondern im Gegenteil, gefährlich interessant. Es geht dann nämlich sehr viel schneller und direkter um die Teilnehmer selbst, um mich selbst. Was mache ich hier überhaupt und warum? Tut mir das eigentlich gut, wie das hier läuft? Kann ich anderen so guttun? Was liegen in mir für Gründe? Will ich etwas ändern? Kann ich was ändern? So ein Stillstandsloch muss man aushalten, dann tun sich einem unter Umständen ungeahnte Einblicke in tiefere Schichten auf.
Mancherorten – nicht nur in Biberach – tun sich im Sommer auch Reparaturlöcher in den Straßen auf und erzeugen Stillstehen auf andere Weise. Welche Verheißung mag hier in der gebotenen Geduld schon stecken? Wen interessiert schon, was unter dem Asphalt zutage kommt? Anders in der Biberacher Stadtpfarrkirche Sankt Martin. Man kommt diesen Sommer ja nur von der Seite rein. Chorraum und Altar sind da, aber von Kirchenbänken nur eine Minisommersparausgabe. Der große Teil des Kirchenschiffs ist hinter einem dicht geschlossenen Bauzaun verborgen. Der Fußboden wird tiefergelegt. Interessieren würde mich das schon. Was kommt hervor, wenn man gräbt, an einem Ort, wo schon Jahrtausende Menschen zu Gott gebetet haben? Was zeigt sich unter dem Boden, der schon seit Jahrhunderten von katholischen und evangelischen Wischlumpen reingeschrubbt wurde?
Wie wenn die Bauleute mich im Voraus schon durchschaut hätten, sehe ich mitten in der schön bemalten Baustellenverschalung, da wo der Mittelgang gehen sollte, zwei Löcher meiner sommerlichen Neugier. Eines, auf Augenhöhe, bequem zum Durchschauen, eines auf Kinderaugenhöhe.
Ich erzähle Ihnen jetzt nicht, was ich gesehen habe. Ich möchte Ihnen für Ihren Sommer Ihre persönlichen Einblicke wünschen, die Neugier und die Gelassenheit, sich für Ihre Baustellen Zeit zu nehmen, auch einmal tiefer zu sehen, Ihre eigene Unruhe und Ruhe zu spüren, die Offenheit, Ihrem persönlichen Sommerlochtier zu begegnen.
Gesegnete Sommertage wünscht Ihr Pfarrer Albrecht Schmieg