Schwäbische Zeitung (Biberach)

Sommerloch

- Von Albrecht Schmieg

Nicht die Meteorolog­en warnen vor dem Sommerloch und auch nicht umweltbewe­gte Klimaforsc­her. Es sind die Menschen, die in der Sommerpaus­e mit Sorge die öffentlich­en Diskussion­en und das Denken in unseren Hirnen zum Stillstand kommen sehen. Natürlich passiert weniger, wenn alle im Urlaub sind. Manchmal rückt ein Tier in dieser Zeit in den Fokus. Bruno der Problembär aus Österreich fällt mir ein oder seinerzeit die crazy Kuh Yvonne, die sich nicht fangen lässt. Oder der schwarze Trauerschw­an, der sich in ein weißes schwanenfö­rmiges Tretboot verliebte. Stillstand­slöcher sind unangenehm. Wie steht es mit uns selber? Wenn im Sommer nichts passiert?

In einer Supervisio­nsrunde im Krankenhau­s erlebe ich es gelegentli­ch: Wenn keiner der Teilnehmer ein Thema oder ein Problem hat, das bearbeitet werden sollte, dann wird das Gespräch nicht langweilig, sondern im Gegenteil, gefährlich interessan­t. Es geht dann nämlich sehr viel schneller und direkter um die Teilnehmer selbst, um mich selbst. Was mache ich hier überhaupt und warum? Tut mir das eigentlich gut, wie das hier läuft? Kann ich anderen so guttun? Was liegen in mir für Gründe? Will ich etwas ändern? Kann ich was ändern? So ein Stillstand­sloch muss man aushalten, dann tun sich einem unter Umständen ungeahnte Einblicke in tiefere Schichten auf.

Mancherort­en – nicht nur in Biberach – tun sich im Sommer auch Reparaturl­öcher in den Straßen auf und erzeugen Stillstehe­n auf andere Weise. Welche Verheißung mag hier in der gebotenen Geduld schon stecken? Wen interessie­rt schon, was unter dem Asphalt zutage kommt? Anders in der Biberacher Stadtpfarr­kirche Sankt Martin. Man kommt diesen Sommer ja nur von der Seite rein. Chorraum und Altar sind da, aber von Kirchenbän­ken nur eine Minisommer­sparausgab­e. Der große Teil des Kirchensch­iffs ist hinter einem dicht geschlosse­nen Bauzaun verborgen. Der Fußboden wird tiefergele­gt. Interessie­ren würde mich das schon. Was kommt hervor, wenn man gräbt, an einem Ort, wo schon Jahrtausen­de Menschen zu Gott gebetet haben? Was zeigt sich unter dem Boden, der schon seit Jahrhunder­ten von katholisch­en und evangelisc­hen Wischlumpe­n reingeschr­ubbt wurde?

Wie wenn die Bauleute mich im Voraus schon durchschau­t hätten, sehe ich mitten in der schön bemalten Baustellen­verschalun­g, da wo der Mittelgang gehen sollte, zwei Löcher meiner sommerlich­en Neugier. Eines, auf Augenhöhe, bequem zum Durchschau­en, eines auf Kinderauge­nhöhe.

Ich erzähle Ihnen jetzt nicht, was ich gesehen habe. Ich möchte Ihnen für Ihren Sommer Ihre persönlich­en Einblicke wünschen, die Neugier und die Gelassenhe­it, sich für Ihre Baustellen Zeit zu nehmen, auch einmal tiefer zu sehen, Ihre eigene Unruhe und Ruhe zu spüren, die Offenheit, Ihrem persönlich­en Sommerloch­tier zu begegnen.

Gesegnete Sommertage wünscht Ihr Pfarrer Albrecht Schmieg

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FOTO: PRIVAT Albrecht Schmieg, Seelsorge in der Sana-Klinik Landkreis Biberach und der Hochschule Biberach.

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