Schwäbische Zeitung (Biberach)
Russische Töne
Salzburger Festspiele: Wiener Philharmoniker glänzen unter Andris Nelsons mit Musik von Schostakowitsch
- „Zeit mit Schostakowitsch“heißt eine Programmschiene der diesjährigen Salzburger Festspiele. Sie flankiert die Aufführungsserie von Dmitri Schostakowitschs Oper „Lady Macbeth von Mzensk“, die unlängst unter der Leitung von Mariss Jansons im Großen Festspielhaus Premiere hatte. Weitere Zeit mit Schostakowitsch und anderen Tonsetzern verbringen bis Ende August einige Konzerte mit Kammermusik, Liedern, Klavierwerken und Sinfonik. Zum Auftakt dieser Reihe präsentierte nun Andris Nelsons mit den Wiener Philharmonikern Schostakowitschs siebte Sinfonie.
Weltklasse versprach neben dem Hausorchester des Festivals, das heuer sein 175-jähriges Jubiläum feiert, und neben dem aus Riga stammenden Dirigenten des Boston Symphony Orchestra, auch der junge russische Starpianist Daniil Trifonov. Bei dieser Gelegenheit gab er mit Sergej Prokofjews zweitem Klavierkonzert sein Salzburger Festspieldebüt. Seine ebenso konzentrierte wie atemraubend perfekte Interpretation des monumentalen Viersätzers bestätigte alle Superlative, die über den 26-Jährigen kursieren. Kein Wunder, dass er als Exklusivkünstler eines deutschen Traditionslabels bereits sein drittes Album veröffentlicht hat.
Im Großen Festspielhaus ließ Trifonov die verträumte AndantinoMelodie zu Beginn von Prokofjews frühreifem Konzert über unauffälliger Begleitung der Linken lyrisch aufblühen: klar in der Zeichnung, versonnen im Ausdruck, nuancenreich in der Farbgebung. Fast jazzig manieriert kam der tänzerische Allegretto-Teil einher. Quasi orchestrale Polyphonie entfaltete Trifonov in der ausgedehnten Kadenz. Mit manuell akrobatischem Furor bohrte er sich regelrecht hinein in ihre nahezu unspielbaren Gleichzeitigkeiten, als habe er drei Hände für diese horrend schwierige Partiturspielaufgabe.
Perfektes Zusammenspiel
Leicht ging es im grotesken Scherzo mit atemlosen Unisono-Passagen über Stock und Stein. Die kleinteilig verzahnte, fast maschinell wirkende Struktur des Intermezzos, wo sich Solopart und Orchester schlagfertig Motivbälle zuwerfen, fügte Nelsons akkurat zum Puzzle. Trifonov zelebrierte seine kantigen Phrasen hier fein dosiert in Agogik und Dynamik. Wie das Spannen eines Bogens vor dem Abschuss des Pfeils gestaltete Nelsons die kurze Fermate vor dem stürmischen Finalsatz, den Trifonov mit schwindelerregender Virtuosität meisterte. Kompakt wie aus einem Guss sekundierte das Orchester.
Nach der Pause folgte die „Leningrader Sinfonie“, die Schostakowitsch 1941 in seiner von deutschen Truppen eingekesselten Heimatstadt komponiert hat. Nelsons, der ab Februar 2018 Chefdirigent des Leipziger Gewandhausorchesters wird, konnte die individuellen Qualitäten der Wiener Philharmoniker jederzeit abrufen, zusammenführen und zu jener magischen Homogenität potenzieren, die den Weltrang dieses Orchesters ausmacht. Sorgfältig fädelte er Kontrastwirkungen ein, blendete hinüber von massiven Bläser-Statements in geheimnisvolle Streichersphären und steuerte das sinfonische Geschehen mit präziser, gleichzeitig lockerer Zeichengebung.
Unbestechlich hielt Nelsons das Tempo bei den leise anrückenden, bedrohlich gesteigerten Variationen des Kopfsatzes, der die Fratze primitiver Gewalt obsessiv beschwört und bloßstellt: beängstigend, aber auch ihre gefährlich faszinierende, verlockende Seite nicht verschweigend. Der Dirigent kostete exquisite Momente der Folgesätze aus. Da leuchteten gedämpfte Bläserklänge blass wie die Farben eines Kirchenfensters in der Morgendämmerung. Alle Perfektion im Detail konnte jedoch nicht verhindern, dass das mehr als einstündige Werk bis zur patriotisch verklärten Schlussapotheose auch einige Längen offenbarte.