Schwäbische Zeitung (Biberach)
Fall Akhanli befeuert Debatte um Sanktionen
Angela Merkel schließt schärfere, auch ökonomische Abgrenzung zur Türkei nicht aus
FRANKFURT - Dass die Türkei im Fall von Dogan Akhanli Interpol nach Ansicht der Bundesregierung „missbrauchte“, um den türkischstämmigen deutschen Autor in Spanien zumindest vorübergehend in Gewahrsam nehmen zu lassen, hat die Debatte um eine Reaktion angeregt. „Sanktionen sind da das erste Mittel“, sagt Carsten Brzeski, der Chefvolkswirt der ING Diba. Sie wären eine „kräftige Reaktion“der Europäer. Aber auch er rät, solche Entscheidungen nicht „hormongesteuert“zu treffen.
Im Einzelfall könnten Sanktionen wehtun: etwa der Deutschen Post, wenn sie ihren hoffnungsvollen großen Elektrotransporter, den Streetscooter Work XL, nicht mehr bauen könnte. Weil der Ford Transit, der als Fahrwerk dient, aus der Türkei kommt. Auch die Windkraftbranche, die die türkische Abhängigkeit von Energieimporten reduzieren soll, dürfte betroffen sein. Firmen wie EnBW, Siemens und Nordex würden Sanktionen spüren.
Verhandeln gilt als Schwäche
So weit ist es noch nicht. Doch andere Gesprächspartner, die mit Außenhandelsfinanzierung zu tun haben, denen das Thema für eine offizielle Stellungnahme aber „zu politisch“ist, argumentieren ähnlich. Dabei wüssten sie aus Erfahrung im Umgang mit vergleichbaren Kulturen, dass ihnen gegenüber nur „klare Kante“helfe. Verhandlungen über ein Geben und Nehmen würden dort leicht als Schwäche ausgelegt.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat sich auf Anfrage an der Debatte beteiligt und schärfere, auch ökonomische Abgrenzung zur Türkei nicht ausgeschlossen. „Wir müssen uns immer wieder die Schritte vorbehalten", sagte sie im Sender RTL auf eine Frage nach härteren Sanktionen. Sie sagte aber auch: „Wir haben jetzt schon sehr hart reagiert."
Sie spielte damit darauf an, dass die Bundesregierung vor etwa einem Monat ihre Reisehinweise für die Türkei verschärft und deutsche Unternehmen auf das Risiko langfristiger Investitionen in der Türkei aufmerksam gemacht hatte. „Personen, die aus privaten oder geschäftlichen Gründen in die Türkei reisen, wird zu erhöhter Vorsicht geraten und empfohlen, sich auch bei kurzzeitigen Aufenthalten in die Krisenvorsorgeliste der Konsulate und der Botschaft einzutragen“, heißt es in den Hinweisen, die auf „nicht nachvollziehbare“Verhaftungen Deutscher in der Türkei Bezug nahmen.
Nur scheinbar kommt die Türkei derzeit wirtschaftlich gut zurecht. Ein Teil des Wachstums basiert auf dem starken, staatlich geförderten privaten Konsum. Die Neuverschuldung dürfte deshalb dieses Jahr von 2,3 auf 3,0 Prozent der gesamtwirtschaftlichen Leistung steigen. Der Rat an deutsche Unternehmen, in der Türkei mit Vorsicht zu investieren, verschärft die Abhängigkeit der Türkei vom Ausland. Auch als die Bundesregierung kürzlich drohte, Hermes-Bürgschaften für die Investitionen deutscher Unternehmen in der Türkei auszusetzen, galt das als scharfes Schwert. „Man kann das nutzen, ohne gleich das Wort Sanktion in den Mund zu nehmen“, sagt ein Gesprächspartner.
Die Türkei wickelt mehr als 40 Prozent ihres Außenhandels mit der EU ab. Im ersten Halbjahr führte die Türkei Waren für 99,7 Milliarden Dollar ein, davon 10,9 Milliarden Dollar oder knapp elf Prozent aus Deutschland. Dass die seit 1996 bestehende Zollunion mit der EU nicht ausgebaut werden könnte, dürfte die harsche Sprache des türkischen Ministerpräsidenten gegenüber Deutschland zum Teil erklären. Zu den möglichen Rückwirkungen einer Sanktionspolitik gegenüber der Türkei könnte eine wieder wachsende Einwanderung von Flüchtlingen gehören.
Akhanli ist „schockiert“
Der mit der Gefahr einer Auslieferung an die Türkei konfrontierte Kölner Schriftsteller Dogan Akhanli sagte, er hoffe, „dass alles gut ausgeht“, Eine Auslieferung wäre für ihn ein politischer und juristischer Skandal. „Eine Auslieferung wäre nicht nur für mich eine Katastrophe, es wäre auch für Spanien eine Katastrophe“, meinet Akhanli.
Akhanli darf Spanien für die Dauer des Auslieferungsverfahrens nicht verlassen und muss seinen Pass abgeben. Nach der Festnahme sei ihm „schwindelig“geworden, erzählte er jetzt. „Ich hab mich sehr schlecht gefühlt. Das ist tatsächlich für mich eine erschreckende Erfahrung, weil ich gedacht habe, dass ich in europäischen Händen in Sicherheit bin und dass die langen Hände der Willkür und Arroganz nicht bis dahin reichen können“, erklärte der 60-Jährige, der ausschließlich die deutsche Staatsbürgerschaft hat. „Dass das der Fall war, dass ich in Europa nicht in Sicherheit bin, hat mich schockiert.“
Akhanli übte scharfe Kritik am türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan. Dieser habe eine „despotische Haltung“und glaube, „dass er sich alles erlauben darf “. Erdogan habe „mit einem gewählten Staatspräsidenten nichts zu tun“. Dogan Akhanli ist nach seiner Festnahme in Madrid wieder auf freiem Fuß. Wie geht es ihm? Es geht ihm gut. Am Sonntag war er sehr angespannt und angestrengt. Inzwischen hat er sich vom ersten Schock erholt.
Welche Auflagen gibt es?
Er darf Spanien zunächst nicht verlassen und muss sich einmal pro Woche beim Gericht in Madrid melden. Wir müssen uns die Entscheidung der spanischen Justiz nun genau anschauen und analysieren, wie wir weiter vorgehen werden, damit er so rasch wie möglich nach Deutschland zurückkehren kann.
Muss er weiter eine Auslieferung an die Türkei befürchten?
Wir werden alles dafür tun, diese Forderung Ankaras abzuwehren. Ich bin zuversichtlich, dass uns dies gelingt. Wir haben stichhaltige Argumente dafür, dass mein Mandant Opfer eines konstruierten Falles geworden ist. Ein Gericht in der Türkei hatte Herrn Akhanli schon 2010 von den gegen ihn erhobenen Vorwürfen freigesprochen. Überdies ist die Menschenrechtslage in der Türkei so desolat, dass seine Auslieferung an das Land nicht zu verantworten wäre. Mein Mandant ist deutscher Staatsbürger.
Was steckt hinter der Festnahme?
Der türkische Präsident Erdogan versucht, seine Kritiker mundtot zu machen, und dies inzwischen nicht nur in der Türkei selbst, sondern auch im Ausland. Erdogan hat Interpol missbraucht, um meinem Mandanten in Spanien festnehmen zu lassen. Der Vorgang ist rein politisch motiviert.
Angela Merkel hat nach der Festnahme Akhanlis Erdogan scharf kritisiert. Ein überfälliger Schritt?
Die kritischen Worte der Kanzlerin waren überfällig. Ich hätte mir gewünscht, dass die Bundesregierung schon bei früheren Fällen wesentlich deutlicher gegenüber Erdogan aufgetreten wäre. Es gibt längst Deutsche wie Deniz Yücel und Peter Steudtner, die ohne nachvollziehbare Gründe in der Türkei im Gefängnis sitzen. Die Kanzlerin müsste auch in diesen Fällen konsequenter vorgehen!
Was meinen Sie konkret?
Es müsste intensiver darauf gedrungen werden, dass die Betroffenen konsularischen Schutz erhalten. Und wenn Berlin mit diplomatischen Mitteln nicht durchdringt, muss das Verhältnis zur Türkei auf den Prüfstand gestellt werden.