Schwäbische Zeitung (Biberach)
Lindner attackiert AfD und Grüne
Der FDP-Parteichef gibt sich beim Rennen um Platz drei kämpferisch
BERLIN - Am Ende gibt es Umarmungen und Küsschen. Die Parteispitzen auf der Bühne scharen sich um ihn, so als wolle ihm jeder möglichst nah sein, ein wenig Glanz abbekommen. Die Delegierten erheben sich , applaudieren minutenlang – stehende Ovationen für Christian Lindner.
Gut 50 Minuten lang beschwört der FDP-Chef am Sonntag auf der Bühne eines Sonderparteitags in Berlin die Rückkehr der Liberalen in den Bundestag, formuliert Bedingungen für die Übernahme von Regierungsverantwortung und sagt selbstbewusst den Kampf um Platz drei an. Regieren ja, aber nicht um jeden Preis, lautet seine Botschaft.
Die Liberalen würden sich nicht noch einmal verbiegen, die Fehler der schwarz-gelben Regierungskoalition 2009 bis 2013 wiederholen. „Wir wollen nicht aus taktischen Gründen gewählt werden. Wir schließen nichts aus, nur eins, unsere Grundsätze zu verraten, das schließen wir aus“, beschwört Lindner die neue Eigenständigkeit der Liberalen.
FDP feiert ihren Hoffnungsträger
Beim Parteikonvent im Berliner Hotel Estrel gestern keine Spur mehr von der liberalen Depression nach dem Ausscheiden aus dem Bundestag nach der Wahl 2013. Stattdessen feiert die FDP sich und ihren Hoffnungsträger, fiebert dem 24. September entgegen. Das Comeback vor Augen feiern die Delegierten einen Gute-Laune-Parteitag in Neukölln.
Damals, nach dem Debakel, erlebten die Freidemokraten noch einen Trauer-Parteitag in ihrer Stunde null. 45 Monate später herrschen im Saal an diesem Sonntagmorgen Aufbruchstimmung und Zuversicht. „Das ist der letzte Bundesparteitag in der außerparlamentarischen Opposition, das motiviert uns“, ruft der FDP-Chef den jubelnden Delegierten zu. Die lange Zeit der Leiden, so das Signal, sei bald vorbei.
Das Rennen um Platz eins sei längst gelaufen, „jetzt geht es um das Rennen FDP – AfD“und das wolle die FDP für sich entscheiden. Bei einer Neuauflage einer Großen Koalition müsse die FDP Oppositionsführerin werden. Die Grünen hätten keine Chance mehr, in dieses Rennen einzugreifen, verweist der Liberale auf aktuelle Umfragen.
Lindner greift vor allem die AfD und die Grünen an, liefert sich ein Fernduell mit der Ökopartei, die nur ein paar Kilometer entfernt vom Tagungshotel der Liberalen selbst auch einen Parteitag abhält. „Mögen die Grünen sich mit uns beschäftigen, wir beschäftigen uns mit politischen Inhalten“, gibt der der FDP-Chef selbstbewusst, wirft der Ökopartei unfairen Wahlkampf und eine regelrechte Kampagne gegen seine Partei mit gefälschten Plakaten und persönlichen Attacken gegen ihn („Diktatoren-Versteher“) vor. Er glaube nicht mehr an Schwarz-Gelb-Grün, zweifelt Lindner an einer Jamaika-Koalition, ohne sie jedoch kategorisch auszuschließen. „Attacken sind dornige Chancen“, sagte Lindner in Abwandlung eines viel beachteten Spruchs von ihm aus seiner Schulzeit.
Deutlich heftigere Attacken gegen die AfD: Diese sei von „völkisch autoritären Urteilen bestimmt“, so Lindner. Und Parteivize Wolfgang Kubicki wird noch klarer: „Es fängt mit der Verrohung der Sprache an, anschließend kommt die Gewalt und daraus folgt Schlimmeres. Wehren wir den Anfängen, deshalb kämpfen wir wie wild um den dritten Platz!“, ruft er und fordert: „Schicken wir die AfD in die Mottenkiste der Geschichte zurück!“
Zehn Punkte für die Trendwende
Ob Europapolitik, Digitalisierung, Bildung, Energiepolitik, Zuwanderung oder Wirtschaft und Finanzen – die FDP wolle klare Trendwenden fordert Lindner und die Delegierten beschließen gleich zehn davon, mit denen man in mögliche Koalitionsbedingen gehen will.
Bei aller Aufbruchstimmung: Manch einer in der FDP-Spitze hält es für gefährlich, würden die Liberalen gleich wieder auf der Regierungsbank Platz nehmen. Im Zweifel Opposition, heißt es. Dort könne man sich erst einmal wieder breiter aufstellen. Schließlich mangelt es der FDP auch am Personal für mögliche Regierungsämter. Parteichef Lindner, die personifizierte Ein-MannShow, dominiert die Partei wie einst der frühere Parteichef Guido Westerwelle. Die Personaldecke ist extrem dünn, was im Falle einer möglichen Regierungsbeteiligung zu einem großen Problem werden könnte.