Schwäbische Zeitung (Biberach)
Die Sonstigen
35 der 42 Parteien in Deutschland zählen als „klein“– 2017 sind besonders viele neue Parteien gegründet worden
RAVENSBURG - Vegane Ernährung entspricht Ihrem Lebensstil? Ein gepflegter Kleingarten ist für Sie besonders schützenswert? Oder Tierschutz sollte Ihrer Meinung nach viel mehr im politischen Fokus stehen? Dann werden Sie bei der anstehenden Bundestagswahl vielleicht im Programm einer Partei fündig, die unter die Kategorie „Sonstige“fällt. Denn wenn am kommenden Sonntag gewählt wird, stehen nicht nur die großen etablierten Parteien auf dem
V-Partei – Partei für Veränderung, Vegetarier und Veganer. Die Gründung einer solchen Partei war nur eine Frage der Zeit, betreiben viele Vegetarier und Veganer ihre Ernährungslehre doch mit einem missionarischen Eifer, der bei anderen Mitmenschen Kopfschmerzen auslöst. Nicht umsonst lautet ein Witz: „Woran erkennt man einen Veganer? Er sagt es dir.“Die Forderungen der V-Partei sind dann auch wenig überraschend, sie wendet sich gegen Massentierhaltung, setzt sich für Natur und Tierschutz ein. Aber nicht nur das, mit einer Agenda 2030 will sie alle Schlachthöfe abschaffen, Fleisch damit faktisch aus den Supermärkten verbannen. Dass der V-Partei-Vorsitzende Roland Wegner Weltrekordhalter im Rückwärtslaufen ist, sei hier nur am Rand erwähnt.
Prognose: Massentierhaltung sehen die meisten Menschen kritisch, auch übermäßigen Fleischkonsum. Aber über den Bundestag auf eine Abschaffungs des Fleischkonsums zu drängen, dürfte selbst manchem Veganer unheimlich vorkommen.
Die Magdeburger Gartenpartei. Der Name klingt wie ein schlechter Witz beziehungsweise wie der einer Satirepartei. Doch weit gefehlt. Bereits 2013 hat sich die Magdeburger Gartenpartei gegründet, weil ihre Gründer entsetzt waren über die Pläne der Stadt, eine altehrwürdige Kleingartenanlage einem Bauprojekt zu opfern. Prompt erreichte die Gartenpartei einen Sitz im Stadtrat, konnte seither zwar nicht alle, aber einige Grünanlagen bewahren. Seit geraumer Zeit hat sie ihre Aktivitäten über Magdeburg hinaus ausgeweitet, auch in Westdeutschland. Neben Schrebergärten wollen ihre Mitglieder grundsätzlich Grünanlagen schützen, dazu kommen Positionen zur Rentenpolitik, Migration und Energiepolitik.
Prognose: Über die Gartenpartei ließen sich leicht Witze machen, doch Gartenzwerge sind ihre Mitglieder nicht. Sie stoßen ein Thema an, das die Menschen in den meisten Städten umtreibt, weil es maßgeblich die Lebensqualität beeinflusst. Allein der sehr lokal ausgerichtete Parteiname könnte auf Dauer stören.
Die Urbane. Eine HipHop Partei. Generalsekretär der Urbanen ist der Rapper Fabian Blume aka SirQlate, der es liebe „mit dem Fahrrad durch Berlin zu cruisen“. Dort und vor allem in Kreuzberg hat er mit seiner Initiative Erwartungen geweckt: „Es wird schon gefragt, steckt da nun ein Marketinggag hinter oder ist es wirklich eine Partei mit Substanz“, sagt er in einem Interview. Nicht überliefert ist, was er den Fragestellern antwortet. So gibt die Partei an, gegen Krieg zu sein, für die doppelte Staatsangehörigkeit und kulturelle Vielfalt. Und: Hip-Hop als Kultur sei schon immer politisch gewesen.
Prognose: Die Urbane bekommt sicher eine Reihe von Stimmen aus dem Kiez, sind ihre Mitglieder doch gut vernetzt. Allen anderen wird das „Parteiprogramm“deutlich zu dünn sein. Und was bitte kommt als Nächstes: Die Punk-Partei, die Jazz-Partei, die Partei der Batikmalerei ... Stimmzettel: 42 Parteien treten insgesamt an, 35 davon zählen als klein – und repräsentieren zusammen die Meinung von etwa zwei Millionen Wählern. Manche von ihnen treten bundesweit an, andere nur in bestimmten Bundesländern.
Auch drei neue Parteien haben es 2017 auf die Stimmzettel geschafft. In diesem Jahr kamen die Parteien „Demokratie in Bewegung“(DiB), „Die Grauen – Für alle Generationen“und „Die Urbane – eine HipHop Partei“dazu. Sie sind nun auf den offiziellen Wahllisten vertreten, erklärt der Sprecher des Bundeswahlleiters,
Partei für Gesundheitsforschung. Diese Partei zählt zum Phänomen der monothematischen Gruppierungen, die also nur ein einziges Thema behandeln, was meist schon der Parteiname ausdrückt. Die Partei für Gesundheitsforschung setzt sich für eine bessere Medizin zur Behandlung von Alterskrankheiten ein. Ihr Vorsitzender heißt Felix Werth, der 39-Jährige ist in Berlin Student der Biochemie. Auf die Frage, warum er sich für nur ein einziges Thema einsetzt, sagt er in einem Interview: „Es ist ein gutes Mittel, um Öffentlichkeitsarbeit zu machen. Wir dürfen ja zum Beispiel Plakate aufhängen oder einen Wahlwerbespot im Fernsehen senden.“
Prognose: Ob Mono-Parteien ein neuer Trend werden, lässt sich noch nicht sagen, es erscheint aber als durchaus möglich, engagieren sich doch viele Menschen allein für eine Sache. Dahinter steckt aber auch eine Gefahr: Dass die Grenze zwischen Parteiarbeit und Lobbyismus verschwindet.
bergpartei, die überpartei. Generalsekretär der Partei ist Jan Theiler, ein Dadaist, früher Hausbesetzer. In einem ARD-Fernsehbeitrag spricht er den Wunsch aus, dass Bonzen, Arbeiter, Araber, Arme und Reiche eines Tages zusammenleben, am besten in den heutigen Villenvierteln Berlins. Auf einem Plakat steht: „Wachstum als Holzweg“. Theiler spricht von einem Kapitalismus-Tsunami, der über die Kieze rolle, „bis auch das letzte Biotop verschlungen wurde“. Die bergpartei spricht sich auch für Kleinschreibung aus und tritt zum zweiten
Mal bei der Bundestagswahl an.
Theiler sagt:
„Die Leute nehmen die inhaltslosen Sprüche der großen Parteien doch gar nicht mehr wahr.“
Prognose: Die bergpartei, die überpartei gibt nicht an, wie sich ihre Forderungen umsetzen ließen. Im Zusatz nennt sie sich: „ökoanarchistisches-realdadaistisches sammelbecken“. In Dada und Gaga werden einge wenige eine Heimat finden. Für alle anderen befindet sich die Partei auf dem Holzweg.
Allianz Deutscher Demokraten (ADD). In einem Fernsehbeitrag sagt ein ADD-Mitglied mit türkischen Wurzeln: „Deutschland ist mein Zuhause. Ich werde aber als Ausländer wahrgenommen.“Die ADD-Führung beklagt überdies, dass der Bundestag die Armenienresolution verabschiedet hat, die die Verfolgung der Armenier durch das Osmanische Reich im Ersten Weltkrieg als Völkermord einordnet. Aufsehen hat die ADD erzeugt, weil sie im Bundeswahlkampf in manchen Großstädten Nordrhein-Westfalens mit Wahlplakaten wirbt, die den türkischen Präsidenten Recep Erdogan zeigen. Der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, Klaus Pötzsch. Immer unmittelbar vor Wahlen werden neue Parteien gegründet, etwa ein bis zwei pro Jahr. „Dieses Jahr sind es mit drei aber besonders viele. Das ist auffallend.“
Ob die neuen, kleinen Parteien bei der Bundestagswahl eine Chance haben, das müsse der Wähler entscheiden, sagt Pötzsch: „Normalerweise sind sie nicht sonderlich erfolgreich. Es gab aber auch Ausnahmen in den vergangenen Jahren, etwa die „Piraten Partei“oder „Die Freien Wähler“. Die „Piraten Partei“kam bei der vergangenen Bundestagswahl auf Anhieb auf 2,2 Prozent der Stimmen. sagte, er empfinde die Plakate „als Satire“. Eine spezielle Migrantenpartei halte er nicht für notwendig. Die ADD indes sagt, die Plakate seien eine Antwort auf AntiErdogan-Plakate, etwa der Grünen, auf denen es heißt: „Erdogan ärgern, Özdemir wählen“.
Prognose: Die Grünen sollten sich originellere Wahlsprüche ausdenken. Davon abgesehen, ist zu befürchten, dass Präsident Erdogan eines Tages darauf pocht, persönlich für die ADD Wahlkampf in Deutschland machen zu wollen.
Die Partei. Die Partei ist unter den Kleinparteien vermutlich die bekannteste oder zumindest die öffentlichkeitswirksamste, was schon an ihrer Definition liegt: Sie ist eine Satirepartei, die Einzige bei dieser Bundestagswahl. Sie richtet sich dem Vernehmen nach vor allem an Nichtwähler, gemäß: Besser Die Partei wählen, als der Wahlurne fernbleiben. Das Wahlprogramm lautet ungefähr: „Merkel ärgern“. Bei früheren Wahlen war schon auf Plakaten zu lesen: „Merkel ist doof“. Oder: „Inhalte überwinden“. Parteichef Martin Soneborn macht beispielsweise Wahlkampf, indem er sich zusammen mit Das sei überraschend erfolgreich, erklärt Pötzsch. Ein Ergebnis, das die 2017 neugegründete Partei „DiB“übertreffen möchte. Sie wollen die Fünfprozenthürde knacken und direkt in den Bundestag einziehen, sagt der bayerische Landesvorsitzende Maximilian Glasneck: „Jede Person, die wir erfolgreich für unsere Partei erreichen konnten, ist ein großes Teilziel.“Auch nach der Bundestagswahl wolle seine Partei weitermachen, egal ob die fünf Prozent erreicht wurden oder nicht: „Wir wollen nicht nur zur Bundestagswahl antreten, sondern schauen auf die Parteigenossen vor das Brandenburger Tor platziert mit Transparenten, auf denen steht: „Kein Fußbreit den Touristen“. Auch hat Sonneborn ein T-Shirt präsentiert, auf dem zu lesen ist, in Anlehnung an das umstrittene Böhmermann-Gedicht: „Erdogan ist KEIN Ziegenficker“.
Prognose: Beim Humor gehen die Meinungen bekanntlich auseinander, geht es um Sonneborn oder Böhmermann sogar sehr weit. Dennoch wird Die Partei viele der anderen Kleinparteien überleben.
Deutsche Mitte. „Ethik in der Politik“, „Gerechtigkeit“, „Frieden“, „Abschaffen“(das „Finanzkartell“) – plakative Forderungen stellt die Deutsche Mitte auf ihren Wahlplakaten. An anderer Stelle wird es konkreter, etwa Kindergeld für das erste Kind von 5000 Euro, 10 000 Euro jeweils für das zweite und dritte. Den Euro will die Deutsche Mitte abschaffen, sie rät zu einem „kritischen Umgang mit Impfungen“und „strengeren Grenzwerten für Elektrosmog“. Gründer und Vorsitzender der Deutschen Mitte ist Christoph Hörstel, ein früherer Journalist. „Spiegel-Online“ kommenden Landtagswahlen – unter anderem in Bayern – und die Europawahl. Wir wollen uns auf Dauer etablieren.“
Wer eine neue Partei gründen möchte, braucht Durchhaltevermögen: Ein Gründungsvertrag, ein Parteiprogramm und eine Parteisatzung müssen verfasst werden. Dann muss ein Vorstand bestehend aus mindestens drei Mitgliedern gewählt werden. Und all diese Vorgänge muss die neue Partei in einem Gründungsprotokoll festhalten. Dies sei ein enormer Zeitaufwand, meist ehrenamtlich, sagt Pötzsch: „Die Leute engagieren über den Mann: „Mal prangert Hörstel die angebliche Verwicklung der CIA in die Anschläge vom 11. September 2001 an, mal erzählt er einem iranischen Radiosender, Deutschland habe keinerlei Verantwortung für das Existenzrecht Israels.“Die Bundeszentrale für politische Bildung schreibt auf ihrer Internetseite über die Deutsche Mitte: „Die Rhetorik der DM bedient sich zahlreicher Elemente, die auch von populistischen Parteien verwendet werden. Ebenso finden sich verschwörungstheoretische Ansätze in Programmatik und Äußerungen der Partei wieder.“
Prognose: Im Zusammenhang mit der Deutschen Mitte lassen sich weitere Kleinparteien aus dem rechten Spektrum nennen, die ebenfalls am Sonntag antreten, etwa die NPD oder Die Rechte. Die Rechte lehnt laut Verfassungsbericht den Parlamentarismus grundsätzlich ab und betrachtet ihr Engagement lediglich als Mittel zum Kampf gegen das „System“. Die Partei sei vor allem mit „rassistisch motivierter, fremdenund islamfeindlicher Anti-Asyl-Agitation“aktiv. Von Erfolg wird diese Strategie aber nicht gekrönt sein, ob DM, NPD oder Rechte; die Stimmen aus deren Spektrum werden am Wahlsonntag mehrheitlich an die Alternative für Deutschland (AfD) gehen. sich politisch. Das zeigt, dass die Demokratie in Deutschland sehr lebendig ist.“
Ohne Anspruch auf Vollständigkeit stellen wir einige der sonstigen Parteien vor, in der Mehrzahl jene, die bisher in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wurden.
Wie die kleineren Parteien bei den Bundestagswahlen seit 1998 abgeschnitten haben, können Sie grafisch nachverfolgen auf schwäbische.de/kleinparteien
Die Deutsche Kommunistische (DKP). Die DKP zählt zu den bekanntesten unter den Kleinparteien, trotz chronischer Erfolglosigkeit. Bis zum Ende der DDR wurde sie von der SED finanziert. Seit 1990 trat sie nur einmal zu einer Bundestagswahl an, 2009 lautete das amtliche Endergebnis: 0,0 Prozent Zweitstimmen.
Solche Tiefschläge ficht die Kommunisten nicht an, man sei ja „keine Wahlpartei“hieß es. Legt man das Selbstverständnis der SED zugrunde, mag dies sogar stimmen. Die SED gibt es schon lange nicht mehr, ihr Vokabular aber pflegt die DKP: „Der Sozialismus kann nicht auf dem Weg von Reformen, sondern nur durch tief greifende Umgestaltungen und die revolutionäre Überwindung der kapitalistischen Eigentums- und Machtverhältnisse erreicht werden.“
Prognose: Die DKP könnte, was ohnehin naheliegt, mit der Sozialistischen Gleicheitspartei sowie der Marxistischen-Leninistischen Partei Deutschlands koalieren, die ebenfalls am Sonntag antreten – ihr Ergebnis würde trotzdem nicht weit über 0,0 Prozent der Stimmen liegen.
Tierschutzpartei: Das Wohl der Tiere ist ein weit verbreitetes Anliegen, eine Tierschutzpartei verwundert daher nicht. Die Partei plädiert für eine Ausweitung der Tierschutzund Tierrechtspolitik, im Rahmen derer Tierversuche verboten und die Tierhaltung in der Landwirtschaft, in Zoos, Zirkussen und beim Sport verbessert werden soll. Darüber hinaus versteht sich die Tierschutzpartei als Sprachrohr für Menschen, die sonst weniger Gehör finden, etwa Homo-, Bi-, Trans- und Intersexuelle, in Armut Lebende, Kranke, Behinderte oder auch Opfer körperlicher und seelischer Gewalt. Prognose: Die Partei will jene vertreten, die kaum eine Lobby haben. Das ist ehrenwert, reicht aber nicht für ein parlamenarisches Mandat.
Menschliche Welt. Die MW gehört zu den schillernden Parteien bei dieser Wahl. Ihren Ursprung hat sie in einem Ashram in Wolfegg (Kreis Ravensburg), der Vorsitzende heißt Dada Madhuvidyananda, bürgerlich Michael Moritz. „Wir meinen es ernst und wollen Verantwortung übernehmen“, sagte er der „Schwäbischen Zeitung“. Die Welt befinde sich in einer Krise, die nur durch ethische und selbstlose Menschen gelöst werden könne. Selbstlosigkeit und Weisheit würden durch Yoga und Meditation geschult. In ihrem Parteiprogramm wird die MW konkreter, tritt für eine reformierte EU ein, fordert eine „vernünftige Vermögen- und Erbschaftsteuer“und will den Ursachen für Krieg und Konflikt auf den Grund gehen.
Prognose: In ihren orangenen Gewändern wirken die führenden MW-Vertreter (die Mitglieder kleiden sich normal) wie nicht von dieser Welt. Sie drücken sich aber klar aus und haben nachvollziehbare Anliegen – was sich nicht über jede Kleinpartei sagen lässt. Zu einer Meditationsstunde im Bundestag wird es nicht kommen. Potenzial aber für einen spürbaren Mitgliederzuwachs besitzt die Menschliche Welt.