Schwäbische Zeitung (Biberach)
Unterentwickeltes föderales System forciert Spaniens Krise
Der Unabhängigkeitskonflikt in der spanischen Region Katalonien wird von benachbarten spanischen Regionen aufmerksam verfolgt. Die Reaktionen machen deutlich, dass Spanien alles andere als ein geeinter Staat ist. Im Baskenland, in Galicien, in Valencia oder auf den Balearen, um nur die wichtigsten Regionen zu nennen: Vielerorts wächst der Einfluss von regionalnationalistischen Parteien, die den Aufstand der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung mit offener Sympathie begleiten.
Die Unabhängigkeitskrise in Katalonien ist geradezu ein Lehrbeispiel dafür, wie ein Staat seine Regionen gegen sich aufbringen kann, und wie ein immer tieferer Keil getrieben wird zwischen die Zentralregierung in Madrid und etliche Regionen, die in Spanien „Comunidades Autónomas“heißen. Ganz allgemein ist es nicht hilfreich, dass die 17 spanischen Comunidades finanziell ungleich behandelt werden. Genauso wenig, dass manchen Regionen mehr und anderen weniger Selbstverwaltung zugestanden wird. Die Gutsherrenart des spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy, die sich in mangelndem Dialog mit den Regionen niederschlägt, verschärft die Probleme.
Es ist den Katalanen zum Beispiel nur schwer zu erklären, warum das spanische Baskenland und die spanische Region Navarra von Madrid völlige Steuerhoheit bekamen, also alle Steuern selbst einnehmen und eigenverantwortlich ausgeben dürfen, Katalonien aber nicht. Der Wunsch der katalanischen Regierung nach einer steuerlichen Gleichbehandlung der wirtschaftsstarken Region wurde von Rajoy abgeschmettert. Es ist wohl kein Zufall, dass unter Rajoy, der seit Ende 2011 im Amt ist, das Streben nach Autonomie und Unabhängigkeit vielerorts gewachsen ist. Seine Partei sperrte sich gegen den Rückbau des immer noch übermächtigen Zentralstaates und gegen den Ausbau eines noch unterentwickelten föderalen Systems.
Referendum als Ausweg
Erst jetzt, unter dem Druck der Katalonien-Krise, verpflichtete sich Rajoy, zusammen mit der größten Oppositionspartei, den Sozialisten, eine Reform der spanischen Verfassung anzugehen. Damit soll das Verhältnis zwischen Regionen und Zentralstaat neu geordnet werden. Ob hinter der überraschenden Ankündigung, die nun zunächst eine Kommission in Vorschläge umwandeln soll, mehr als schöne Worte stehen, ist offen.
Als bester Ausweg aus der Krise wird in Katalonien gesehen, wenn bei dieser Reform jenem Verlangen ein legaler Weg gebahnt wird, das unbestreitbar von den meisten der 7,5 Millionen Katalanen geteilt wird: Die Forderung, in einem offiziellen regionalen Referendum über die Unabhängigkeit abstimmen zu können, wird immer lauter erhoben. Die Erfahrungen in anderen Ländern haben gezeigt, dass der Mut zu mehr Demokratie und Autonomiereformen helfen kann, regionale Brandherde zu löschen.
Umgekehrt ist offensichtlich, dass die Verweigerung von Autonomierechten auf regionale Konflikte wie ein Brandbeschleuniger wirken kann. Rajoys Feldzug gegen das katalanische Autonomiestatut, das auf sein Betreiben in Teilen vom Verfassungsgericht gekippt worden war, kam einem Stich ins Herz Kataloniens gleich. Dies wird von vielen Katalanen als Auslöser ihrer Unabhängigkeitsfahrt genannt.