Schwäbische Zeitung (Biberach)
Zu schade fürs Archiv
Farin Urlaub veröffentlicht alte Demos
Die Warnung schickt er gleich voraus: „Das ist kein neuer Tonträger von Farin Urlaub, und schon gar nicht von Die Ärzte.“Während der Sänger und Gitarrist der Berliner Rockriesen seinem Namen mal wieder alle Ehre macht und sich auf Reisen befindet, erscheint mit „Berliner Schule: Fragwürdige Heimaufnahmen von 1984 bis 2013“eine Sammlung von bislang unveröffentlichten Demos. Zitat Farin Urlaub: „Es sind schlechte Lieder, die zudem noch lausig klingen.“Hier wurde nichts neu abgemischt oder aufgenommen. Gerade das macht diese Doppel-CD mit ihren 28 Songs allerdings so reizvoll. Es sind Kompositionen von Farin Urlaub für Die Ärzte und für seine seit 2001 erschienenen Solo-Alben, die entweder der Band oder ihm selbst nicht gut genug waren. Für wahre Fans unverzichtbar – zumal mancher Song nun ein verspätetes Hit-Dasein verdient hätte.
Farin Urlaub – bürgerlicher Name Jan Vetter – ist bekannt dafür, ständig neue Musik zu schreiben und kreative Schübe beim Motoradfahren sofort mit dem Diktiergerät festzuhalten. Was das für den Kreativprozess heißt, zeigt dieser Doppelschlag auf kuriose Weise: Songideen und Bruchstücke aus den Demos finden sich in später tatsächlich veröffentlichten Hits wieder. Das fängt gleich bei „Turmstraße (International)“an. Dabei handelt es sich um das älteste erhaltene Demo aus den 1980er-Jahren in Berlin, als Farin dort in einer WG wohnte, wie aus den Songnotizen im Booklet hervorgeht. Wenn sich die Melodie ihren Weg durchs Ohr ins Hirn gebahnt hat, fällt einem die Textzeile ein, die Jahre später dazu gesungen wurde: „Geili Geili Supertyp, warum hat Dich keine lieb“. Das ist doch ..., genau, Drei-TageBart, eine Single aus dem haarigen Konzeptalbum „Le Frisur“von 1996. Ähnlich geht es einem mit den Strophen von „Ich bin allein“(1994): Wer Farins Soloalbum „Am Ende der Sonne“(2005) aufmerksam hört, findet Fragmente des Demos in „Apocalypse wann anders“zu Ende gedacht.
Die Demosammlung zeigt auch, welchen Qualitätsmaßstab Farin Urlaub an sich selbst anlegt. Denn bei „Antimattergun“von 2013 kommt einem sofort das ein Jahr später als Single ausgekoppelte „iDisco“in den Sinn, das sich in seiner Idiotie-Anprangerung auf das Thema Smartphone-Zombies fokussierte. „Antimattergun“ist allerdings weit davon entfernt, Ausschussware zu sein. Das liegt nicht nur an der prägnanten Formel „Nachdenken verboten, Wissen illegal“. Sondern auch daran, dass Farin Urlaub die „Antimaterieschleuder“in eine herrlich holprige Passage eingebaut hat, eine Waffe – auch das ist im Booklet zu erfahren – aus den kultigen Perry-Rhodan-Heftchen. Das „Lieblingslied“(2008) könnte man sich ebenso gut im Live-Repertoire vorstellen: „Und dann spielen sie mein Lieblingslied und alle wissen Bescheid, denn wenn dieses Lied kommt, muss ich tanzen – tut mir leid.“Guter Stoff für die Konzerthallen.
Zu schlecht für ein Ärzte-Album
Gut nachvollziehen lässt sich der Wandel, den der Sound von Die Ärzte und Farin Urlaub über die Jahre erlebt hat. Auf CD eins finden sich viele Stücke, denen die Lust am Experiment mit neu erworbenen Effektgeräten anzuhören ist. Etwa „Schatten“(1985), das die Vorliebe des blonden Vegetariers für morbide Schreckensgeschichten zeigt. Wer sich 2004 die 24 kostenlosen MP3-Dateien mit den schlimmsten Momenten der DÄ-Lesetour zur Bandbiografie „Ein überdimensionales Meerschweinchen frisst die Erde auf“heruntergeladen hatte, wird bei „Bernd hat es gemacht“ein Déjà -vu haben. Wie Farin im Booklet zu Protokoll gibt, war der damalige Manager Conny Konzack so entsetzt über die Qualität unter anderem dieses Songs aus dem Jahr 1986, dass er die Aufnahmen für das nächste Ärzte-Album absagen ließ. Immerhin dieses Stück kommt nun ans Licht und obwohl der Text natürlich völlig platt ist, geht die Melodie sofort ins Ohr und lässt einen an The Cure und New Wave denken. Ob nun noch irgendwann das ebenfalls aus
dieser Zeit stammende „Ein Mann mit Gipsbein“an die Öffentlichkeit dringen wird? Den Fans wäre es sicher nur recht.
Manche Songs sind wirklich und wahrhaftig schlecht. So fragt man sich, was Farin vor 31 Jahren bei „A.U.S.T.R.A.L.I.E.N.“geritten hat, einem Song voller Klischees über den fünften Kontinent, der heute mit seinen flachen Witzen wohl undenkbar wäre. „Keine Sternstunde!“merkt der Musiker dazu an. „Fucking Hell“gehört ebenfalls zu den Songs, bei denen nicht verwundert, dass sie es auf kein Album geschafft haben. Schwer vorstellbar, dass Farin im Discoflirt mit einer Frau derart direkte – und plumpe – Worte wählen würde. Manch anderer Song wie „Mein Mädchen“und „Bist Du dabei“wirkt indes einfach belanglos.
Warten – aber auf was?
Seinem Titel alle Ehre macht „The Power of Blöd“mit seinen kurzen Gag-Reimen: „Sagt der Hund zum Gnu: Ich kann lauter bellen als Du. Sagt das Gnu zum Hund: Und?“. Wirklich blöd, aber man muss lachen – zumal sich der Sänger quasi beim Hörer für dieses lyrische Meisterwerk entschuldigt: „Ich muss es singen, weil es hier steht, ich bin nur der Interpret.“Es ist ja genau die Mischung aus Infantilität und Intellekt,
die Farin Urlaub seit jeher so unverwechselbar macht. Das „Intro“würde sich als solches hingegen tatsächlich gut machen am Anfang eines Ärzte-Konzerts. Das kurze Stückchen steht wie auch „Hier sind die Ärzte“in der Tradition selbstreferenzieller Hymnen, in denen sich die selbsternannte beste Band der Welt selbst feiert – Größenwahn mit Augenzwinkern.
Und was machen die anderen Ärzte? Schlagzeuger Bela B. hat dieses Jahr mit „Bastard“sein viertes Soloalbum veröffentlicht, Bassist Rodrigo Gonzales ergründete für die Doku „El Viaje“seine chilenischen Wurzeln als Musiker und betätigte sich auf der neuen Platte „Keine Argumente!“als Produzent für die Electropunks von Egotronic sowie als Gastmusiker auf dem neuen Album „Hier und Jetzt“der Punk-Urgesteine von Slime. Im Onlineshop verkaufen Die Ärzte Shirts mit der Aufschrift „Gibt’s uns eigentlich noch?“. Mancher Fan sieht in einem versteckten Song am Ende der zweiten CD von „Berliner Schule“einen Hinweis darauf, dass es in nicht allzu ferner Zukunft ins Studio gehen könnte. Auf der Internetseite schreibt die Band, Farin Urlaubs Compilation diene dazu, die lange Wartezeit zu verkürzen. Warten auf was? Wir werden sehen.