Schwäbische Zeitung (Biberach)
Grenada ist ganz nah – in der Adventszeit
Die Muskatnuss kommt meist von der Karibikinsel und landet in so manchem deutschen Weihnachtsgebäck
Muskelbepackte Fischer mit freiem Oberkörper holen in der warmen Brandung ihre Netze ein. Die Nachmittagssonne auf Grenada strahlt immer noch kräftig genug, um den Männern den Schweiß auf die Stirn zu treiben. An den Rumbuden am Strand der Kleinstadt Gouyave werden Longdrinks garniert mit geriebener Muskatnuss und Zimt, frisch von der Insel, verkauft. Eisgekühlt, gegen die karibische Hitze.
Die europäische Kälte ist rund neun Flugstunden entfernt. Westlicher Adventstrubel und Einkaufsstress ebenso. Trotzdem haben Weihnachten und Grenada jede Menge miteinander zu tun. Denn in der Plätzchenbäckerei spielen Gewürze wie Zimt, Muskat und Nelken eine große Rolle. Und die werden nicht selten direkt aus dem Karibikstaat importiert.
Im Zentrum von Gouyave baut eine Trommelcombo ihre Instrumente auf. Es ist Freitagnachmittag und damit Fish Friday. Bis in den späten Abend wird gewippt und getanzt, getrunken und gegessen. Zumeist Hühnchen und Fisch, dazu gibt es Soßen mit exotischen Gewürzen.
Die meisten Zutaten dürfen in der Vorweihnachtszeit auf keinem deutschen Backblech und in keinem Glühweintopf fehlen. Selbst in Bratwürsten, tonnenweise auf Adventsmärkten verdrückt, sind würzige Muskatnuss sowie Muskatblüte aus Grenada unverzichtbar. In Spitzenzeiten wurden gar 75 Prozent der gesamten Ernte nach Deutschland geliefert.
Bereit für den Export
Während die Trommler die ersten Takte anschlagen, laufen in der Muskatnussfabrik von Gouyave unentwegt die Bänder. Das ganze Jahr über pulen dort Arbeiterinnen die Muskatnüsse aus den Schalen und trennen die rote Muskatblüte, die Macis, von der Nuss. Beides wird als Gewürz verwendet. Es liegt ein intensiver Geruch in der Luft. Wie in einem Kräuterladen. Der Duft stammt vom ätherischen Öl der Muskatnuss. Arbeiter verpacken die Ware in schwere Säcke und wuchten sie auf Lkw.
Ziel der Fracht: weit entfernte Häfen wie Rotterdam und Hamburg. „Keine Ahnung, wo das ist“, sagt Francis, ein junger Arbeiter, während er einen randvollen Sack schultert. In meterhohen Regalen werden die Muskatnüsse wochenlang getrocknet bevor sie auf die lange Reise gehen. Überall stapeln sich Säcke.
Es könnten noch weitaus mehr sein. Aber 2004 und 2005 zerstörten Hurrikane fast alle Muskatnussbäume. Die Produktion erreicht heute nur noch ein Zehntel der früheren Kapazität. Viele Bauern haben den Anbau aufgegeben, es fehlt an Nachwuchs. Trotzdem stellt Grenada ein Gutteil der weltweiten Muskatnussproduktion. Der kleine Karibikstaat, der den Beinamen „Spice Island“(Gewürzinsel) trägt, ist nur etwa halb so groß wie Hamburg. Die Nuss, die eigentlich ein Samen ist, wird schwarzes Gold genannt und ziert die Landesflagge. Hotels wurden nach dem Gewürz benannt, Bars, Schulen, sogar ein Einkaufszentrum.
Einer der wenigen Jungfarmer ist Wayne. Die Plantage des 34-Jährigen befindet sich im grünen, bergigen Zentrum der Insel. Dort stoßen Touristen auf abgelegene Wasserfälle, heiße Schwefelbäder und den Grand Etang Lake, einen Kratersee. Und auf Gewürzfrauen, die Ketten aus grenadinischen Produkten verkaufen: Nelken, Zimtstangen, Lorbeerblätter. Und Kakaobohnen. Aus ihnen wird feinste Schokolade hergestellt.
Wichtigstes Gut aber ist und bleibt die Muskatnuss. Einst wurde sie sogar mit Gold aufgewogen. Das Gewürz erzielt auch heute noch ordentliche Gewinne. 2013 erreichte der Handel mit Muskatnuss Höchstpreise. 32 000 US-Dollar wurden für eine Tonne gezahlt. „Sechs Bäume bringen das Schulgeld für eines meiner Kinder“, sagt Wayne. Er hat drei Töchter, zwei Söhne und einige Dutzend Bäume. Die Böden auf Grenada sind extrem fruchtbar. Besonders bequeme Bauern lassen die Nüsse einfach von Säugetieren und Vögeln freilegen, die die Schale der reifen Früchte fressen.
Wayne beliefert auch einen Naturkosmetikhersteller aus Deutschland. „Die haben sogar die Bäume markiert, von denen sie die Nüsse wollen.“Grund ist das Myristicin, ein Bestandteil des Öls der Muskatnuss. Myristicin ist eine Droge und in höheren Mengen mitunter lebensbedrohlich. Manche Abnehmer wollen einen möglichst geringen Anteil. Amerikanische Brausehersteller – die größten Muskatnussverwerter weltweit – dagegen setzen auf einen hohen Myristicin-Wert. Natürlich im legalen Bereich.
„Für den Kick“, sagt Denzil Phillips. Der Engländer ist Gewürzexperte. Auf Grenada berät er Muskatnussbauern in Sachen Anbau, Vertrieb und Marketing. „Die Menschen sind wegen der Sturmschäden demoralisiert“, sagt Phillips. Sein Urteil passt so gar nicht ins Klischee der immer lebensfrohen Menschen in der Karibik. „Man muss sie regelrecht dazu animieren wieder mehr Muskatnussbäume anzubauen und ihr Produkt zu lieben“, behauptet er.
Ein Fest für die Muskatnuss
Das Nutmeg-Festival (Muskatnussfestival) soll dabei helfen. Es wird seit wenigen Jahren jährlich im Winter abgehalten. Inoffizielles Motto: Auf die Nuss! Köche wetteifern um die besten Rezepte mit Muskatnuss, Spas stellen Wellness-Produkte aus Gewürzen vor, Schulklassen pflanzen Muskatnussbäume, Produktneuheiten wie Muskatnusslikör werden prämiert. Sogar eine Talentshow für Sängerinnen gibt es. Sie heißen „Spice Divas“, Gewürzdiven. Der Name Spice Girls ist ja bereits belegt.
Aufsehen erregen könnte demnächst Brennstoff aus Muskatnussschalen. Bislang werden sie zumeist weggeworfen. Aber unter Holzkohle gemischt sorgen sie für ein feinwürziges Aroma beim Grillen. Gut möglich, dass dieser Duft bald über die Traumstrände der Insel zieht. Etwa über Grand Anse, den beliebten Hauptstrand der Insel. Am Wochenende fließt dort der Rum in Strömen, über offenem Feuer brutzelt Fleisch, Muskatnusssoßen stehen bereit, Autos werden zu mobilen Diskotheken umfunktioniert. Statt Weihnachtshits dröhnen schmissige Songs aus den Lautsprechern. „We party in sun or rain!“lautet dabei ein beliebter Refrain. Ob Party in der Sonne oder immer Regen: Hauptsache spicy.
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