Schwäbische Zeitung (Biberach)
„Scheitern der Sondierungen ist kein Ruhmesblatt“
Die Abgeordneten Josef Rief und Martin Gerster fordern erneute Gespräche der vier Parteien
BIBERACH (bvl) - Spät in der Nacht sind am Sonntag die Sondierungen für eine sogenannte Jamaika-Regierungsbildung von CDU, CSU, FDP und Grünen gescheitert. Die Bundestagsabgeordneten Josef Rief (CDU) und Martin Gerster (SPD) nehmen Stellung zu der Entwicklung.
„Das Scheitern der Jamaikasondierungen ist kein Ruhmesblatt – für alle“, sagt Josef Rief. „Die, die der Demokratie nicht viel zutrauen, bekommen so Oberwasser. Man kann ein bisschen den Duft der Weimarer Republik riechen“, findet er.
Rief hatte bis zuletzt noch Chancen gesehen, dass die Sondierungen zu einem Abschluss kommen. „60 zu 40 hatte ich geschätzt. Ich bin insofern ein bisschen überrascht vom Scheitern“, sagt er. Union, SPD, FDP und Grüne müssten erneut miteinander reden. Die
Situation sei schwierig, aber er sehe Jamaika noch nicht am Ende.
Das Wohl der Menschen und eine Regierungsbildung seien wichtiger als Parteitaktik. „Wir können nicht neu wählen lassen, weil uns das Wahlergebnis nicht passt.“
Für die Alternative zu Jamaika, die Große Koalition, müsse die SPD ihre Position, in die Opposition zu gehen, überdenken, so Rief. Die SPD dürfe sich nicht davonstehlen, findet er. Eine Minderheitsregierung stellt für ihn die schlechteste Lösung dar. Er weist auf die Menge an Abstimmungen und die großen Themen wie die Weiterentwicklung Europas hin. „Dabei immer Mehrheiten suchen zu müssen, ist nicht zielführend.“
Neuwahlen wären eine riesige Herausforderung für die Haupt- und Ehrenamtlichen vor Ort, die bereits viel Zeit in den Wahlkampf im Herbst investiert hätten, berichtet der Abgeordnete. Nach seiner Einschätzung würde ein erneuter Wahlkampf andere Akzente aufweisen. „Es wird mehr über Mehrheiten gesprochen werden als über Personen und Inhalte.“
„Ich bin entsetzt, dass die Sondierungsgespräche geplatzt sind“, sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete Martin Gerster. „Ich sehe, dass die FDP vor allem die politische Verantwortung weggeworfen hat. Ich finde das völlig verantwortungslos.“Er hoffe, dass CDU, CSU, FDP und Grüne sich besinnen würden und probieren würden, zu einer Einigung zu kommen. „Koalition heißt Kompromisse, ich hoffe, dass die vier es noch versuchen.“
Die Entscheidung der SPD gegen eine Große
Koalition und für den Gang in die Opposition sei richtig, sagt Gerster. „Wenn eine
Koalition 15 Prozentpunkte verliert, kann man nicht sagen weiter so“, betont er. „Das wäre Missachtung des Wählerwillens.“Natürlich dürfe man niemals nie sagen zu Gesprächen, aber für die SPD halte er es für angebracht, die größte Oppositionsfraktion zu sein, so der Abgeordnete.
Dass Neuwahlen andere Ergebnisse bringen würden, erwarte er angesichts von Umfrageergebnissen nicht. „Der Ball liegt meines Erachtens bei der Union, die den Regierungsauftrag für sich sieht. Sie muss sagen, wie es weitergeht.“Grüne und FDP hätten nach der Wahl gejubelt. Er appelliere an die vier Parteien, sich zu einigen. „Eventuell würde auch ein Wechsel im Kanzleramt helfen“, sagt Gerster. Der Kreisvorsitzende der Jusos
Stefan Gretzinger spricht sich im Gegensatz zu Gerster für eine Große Koalition aus. „Es gibt keinen Parteitagsbeschluss, der uns verpflichtet, in die Opposition zu gehen“, sagt er. Es sei natürlich bequemer, Opposition zu sein, aber da könne man nichts verändern. „Die
SPD muss jetzt ernsthaft mit der
Union sondieren“, findet Gretzinger.
„Die Wähler würden die Große Koalition verziehen, wenn wir uns in bestimmten Punkten durchsetzen: bei der Mietpreisbremse, der gleichen Bezahlung von Männern und Frauen und bei der Investition von Milliarden in die Bildung“, so Gretzinger. „Der Wählerwille war meines Erachtens nicht, dass wir in die Opposition gehen.“
Eine Videoumfrage gibt es online unter www.schwäbische.de/ gescheitertesondierung