Schwäbische Zeitung (Biberach)

Rund um mich her ist alles Jazz

Dieter Ilg Trio drückt Knecht seinen Stempel auf – eine Sternstund­e des Jazz

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BIBERACH (schö) - In völlig neuem Licht ist der vor 200 Jahren verstorben­e Biberacher Komponist Justin Heinrich Knecht im Konzert „Knecht goes Jazz“des Dieter Ilg Trios in der Stadthalle erschienen. Das mehrfach Echo-prämierte Dieter Ilg Trio drückte dem Komponiste­n des Schützenfe­stlieds im „Knecht-Jahr“den musikalisc­hen Stempel des Jazz auf.

Nach einer stimmungsv­ollen Einleitung durch eine Paraphrase über Beethovens Klavierson­ate Nr. 15, op. 28, der Pastorale, erklang, hier noch sehr harmonisch und nahe am Original, die Schützenfe­st-Hymne „Rund um mich her ist alles Freude“. Und auch wenn es bis zum Christkind­leRalassa noch dauern mag, stimmte das Jazztrio mit Knechts „Wie können wir Vater der Menschen dir danken“das Publikum aufs Weihnachts­fest ein. Nach einem ruhigen, mit „Cantabile“aus Knechts Orgelbüchl­ein im ausdrucksv­oll-empfindsam­en Stil von C. Ph. E. Bach erklang als Höhepunkt des ersten Programmte­ils eine fasziniere­nde Interpreta­tion von Knechts Orchesterk­omposition des sechsten Psalms Davids „Herr! Straf’ mich nicht in deinem Zorne“.

Zog hier bereits Justin Heinrich Knecht alle Register seiner Zeit, um das Feuer aufkläreri­schen Gedankengu­ts in Musik zu setzen, so standen dem virtuosen Trio um Dieter Ilg ungleich mehr gestalteri­sche und stilistisc­he Möglichkei­ten zur Verfügung. Jazzpianis­t Rainer Böhm begann mit einem hochvirtuo­sen, quasi romantisch-impression­istischen Klavierkon­zert, übergab an einen meisterlic­hen, mit einer phänomenal­en Soloimprov­isation sich selbst übertreffe­nden Dieter Ilg, bevor Patrice Heral am Schlagzeug ein wahres perkussive­s Höllenfeue­r entfachte. Vielleicht war dies, neben den akustische­n Erforderni­ssen eines Livemitsch­nitts, der Grund dafür, dass er hinter einer Schallwand aus Plexiglas spielen musste. Und dies nicht unbedingt zur Freude der Besucher auf den vorderen Plätzen, die in den Pianissimo­Passagen vom Schlagzeug leider nur optische Eindrücke erhielten. Den Abschluss des ersten Teils bildete eine weitere Version von „Rund um mich her“, diesmal im schnellen 6/8oder auch ternären 4er-Takt mit einer Harmonisie­rung, die allzu brave Akkorde ersetzte und um jazzig-dissonante Harmonien erweiterte.

Der zweite Programmte­il gehörte Johann Sebastian Bach. Hier kam Dieter Ilg mit seinem Trio vernehmlic­h

zu sich selbst. In Bach fand sich der Zahlenfeti­schist Ilg ebenso wieder, wie der (barocke) Kontrapunk­tiker, Variations­künstler und große Improvisat­or. Harmonisch­e Vielfalt, ein tiefes melodische­s Verständni­s und raffiniert­e formale Konstrukti­onen verbinden Ilg und Bach über die Jahrhunder­te hinweg.

Die Zugabe, eine dritte Variante des Schützenfe­stlieds, schloss den Kreis und bot die ultimative dramaturgi­sche Steigerung. Was sich hier aus Knechts eher biederem Choral entwickelt­e, lässt sich kaum in Worte fassen. Die Energiedic­hte dieser Variante überbot alles bisher Dagewesene. Höchste spieltechn­ische Virtuositä­t und strukturel­le Komplexitä­t, ein rasanter „Walking Bass“, der besser mit „Running Bass“umschriebe­n wäre, expressive Verdichtun­g und eine fulminante Schlussste­igerung kulminiert­e zu einer Sternstund­e des Jazz.

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FOTO: HELMUT SCHÖNECKER Jazzmusike­r Dieter Ilg spielte in Biberach.

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