Schwäbische Zeitung (Biberach)
„Schlecht gelaunte Opposition überlassen wir anderen“
Cem Özdemir zieht vor seinem Abschied als Parteichef der Grünen Bilanz
BERLIN - Beinahe wäre er Außenminister geworden. Doch Jamaika scheiterte und Cem Özdemir hört als Parteichef der Grünen am Samstag auf. Dann ist er wieder ein ganz normaler Bundestagsabgeordneter. Im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“zieht er Bilanz und blickt nach vorne. Und mahnt die Bundesregierung, im Konflikt mit der Türkei endlich energisch zu werden. Mit Cem Özdemir sprachen in Berlin Chefredakteur Hendrik Groth und Korrespondentin Sabine Lennartz.
Herr Özdemir, muss die deutsche Politik nicht auf die Offensive der Türken in Nordsyrien reagieren?
Deutschland befindet sich im Umgang mit der Türkei gerade auf Irrwegen. Sigmar Gabriel unterwirft sich Ankara mit einer Teezeremonie für den türkischen Außenminister. Wenn man sieht, wie die Propaganda-Medien von Erdogan diese Geste als quasi Einsicht Deutschlands in die Fehler interpretieren, versteht man, warum die türkische Opposition dies zu Recht als großen Tiefschlag empfindet. Und die Bundesregierung setzt noch einen drauf und stimmt der Ertüchtigung der deutschen Panzer in türkischen Kasernen zu. Das ist die Antwort der Bundesregierung darauf, dass es weiterhin Massenverhaftungen in der Türkei gibt, dass Journalisten in Gefängnissen sitzen, das Verfassungsgericht außer Kraft gesetzt wird und man die, die am erfolgreichsten gegen den IS gekämpft haben, niederkämpft. Das Gegenteil wäre richtig: endlich mit dem Rüstungsexportstopp in die Türkei ernst zu machen. Spätestens mit den jüngsten Bildern aus Syrien, die nahelegen, dass deutsche Panzer unter türkischer Flagge gegen die kurdische Bevölkerung rollen, sollte doch der Groschen gefallen sein, dass die deutsche Türkeipolitik so nicht weitergehen kann.
Was kann Deutschland tun?
Als Deutschland nur andeutete, die Hermesbürgschaften zu ändern, verging kein Tag und die Türkei hatte die angeblichen Terrorlisten, auf denen deutsche Unternehmer standen, kassiert. Man darf mit der Türkei von heute keine Gabriel’schen Teezeremonien machen oder ihr rote Teppiche ausrollen. Der Weg in die Diktatur muss für das Regime in Ankara einen Preis haben: Aussetzung der Hermesbürgschaften, Aufrechterhalten der Reisewarnungen, keine Ausdehnung der Zollunion – das sind Maßnahmen, die das ErdoganRegime an der empfindlichsten Stelle treffen – der Wirtschaft.
Was kann denn Erdogan stoppen?
Nur ein Absetzen innerhalb des konservativen Lagers. Viele, auch unter den AKP-Anhängern, spüren doch, dass die vollständige Ausrichtung des Landes auf Erdogan dem Land keine Stabilität bringt. Erdogans Paranoia führt dazu, dass er sämtliche Medienkanäle unter Kontrolle bringen will. Wenn ein Herausforderer gegen ihn anträte, wären die Chancen künftig sehr schwierig, da Erdogan notfalls Wahlen auch manipulieren würde, abgesehen davon, dass es sowieso keine Medien mehr gibt, in denen man halbwegs objektiv etwas über Herausforderer erfahren könnte.
Es sei denn, im deutschen Fernsehen.
Da sprechen Sie etwas Wichtiges an. Wir müssen darauf reagieren, wenn autoritäre Gesellschaften wie die Türkei oder auch Russland die Medien gleichschalten. Und das nicht nur im eigenen Land, sondern wenn sie sogar in unser Land hineinstrahlen und versuchen, quasi faktenfrei ein düsteres Bild unserer Gesell- schaft zu vermitteln. Den Deutschtürken trichtert man ein, dass sie im Feindesterritorium leben, weil Deutschland angeblich die PKK oder die Gülen-Bewegung unterstützt und die Türkei spalten möchte. Das wird den Leuten so lange erzählt, bis ein beachtlicher Teil es glaubt. Wir müssen gegen das Informationsmonopol von Erdogan oder auch Putin vorgehen. In Köln und Berlin sitzen doch ganze Redaktionen von kritischen türkischen Journalisten, die im eigenen Land nicht mehr arbeiten können.
Herr Özdemir, Sie waren schon als deutscher Außenminister im Gespräch. War das eigentlich Ihr politisch bisher schlimmstes Jahr in der Politik? Erst hat Jamaika nicht geklappt, dann sind Sie weder Außenminister noch Fraktionschef geworden.
Nein, das sehe ich nicht so. Ich komme aus der schwäbischen Provinz. Es ist mir nicht in die Wiege gelegt worden, dass ich fast zehn Jahre lang Vorsitzender einer deutschen Partei war. Dass ich über die Regierung dieses Landes mitverhandeln durfte. Ich stamme aus einer Gastarbeiterfamilie und hatte in der vierten Klasse noch eine Fünf in Deutsch. Deshalb blicke ich dankbar zurück. Ich heiße ja nicht Hans oder Gustav oder Eberhard, sondern habe einen sehr türkischen Namen. Das zeigt ja auch einen Veränderungsprozess in unserem Land. 1994 war ich das erste Kind von Gastarbeitern im deutschen Bundestag. Vielleicht habe ich ein wenig helfen können, Vorurteile abzubauen. Auch ich liebe meine Heimat, die Schwäbische Alb, und ich setze mich für das Wohl unseres Landes und das von Europa ein.
Und es wurmt Sie nicht, dass Sie jetzt keine herausgehobene Stellung mehr haben?
Bevor ich Gefahr laufe, wehleidig zu werden, sagen meine Mitarbeiter: „Augen auf bei der Berufswahl.“(lacht) Beim Aufräumen zwischen Weihnachten und Neujahr habe ich John Lee Hookers „Don’t look back“gehört und ich war beim Abschiedskonzert meiner früheren Lieblingsband „Schwoißfuaß“aus Bad Schussenried: „Oiner isch emmr dr Arsch“. Beide Songs treffen es ein wenig.
So schlimm kann es nicht sein, denn Sie werden immer wieder auch als möglicher Nachfolger für Winfried Kretschmann gehandelt. Ist da was dran? Könnten Sie sich eine Zukunft in Stuttgart vorstellen?
Habe ich doch schon. Ich vertrete den schönsten Wahlkreis Deutschlands im Bundestag: Stuttgart. Ich werde von Berlin aus der Opposition heraus Baden-Württemberg und meine Landesregierung nach Kräften unterstützen. Denn Winne Herrmann kann sich noch so die Beine ausreißen, wenn der Bund nicht endlich den Weg für die Blaue Plakette freimacht, kriegt man den Feinstaub und die Stickoxide in Stuttgart allein nicht in den Griff. Da kann Franz Untersteller als Umweltminister noch so hart kämpfen, wenn es nicht endlich einen schnellen geordneten deutschlandweiten Kohleausstieg gibt, bekommt man die CO2-Emissionen im Land nicht in den Griff. Und ich bin sicher, dass Winfried Kretschmann bei der nächsten Wahl wieder antritt. Ich war im Wahlkampf mit ihm wandern und ich kam kaum hinterher.
... und wenn jetzt doch noch Neuwahlen kämen?
Wenn die GroKo nicht zustande kommt und es demnächst zur Wiederholung der letzten Bundestagswahl käme, dann sind Katrin GöringEckardt und ich Spitzenkandidaten. Sollte es eine schwarz-rote Regierung geben, die vorzeitig zerbricht, dann werden die Karten neu gemischt.
Zehn Jahre Özdemisierung – jetzt seien die Grünen keine linke Partei mehr, heißt es. Zu Recht?
Ich kann mit ideologisch-dogmatischen Schlagwort-Debatten nicht viel anfangen. Ich verstehe uns als eine progressive, ökologische, freiheitliche Kraft, die für mehr Gerechtigkeit kämpft.
Die Grünen sind jetzt die kleinste Oppositionspartei im Bundestag. Wie sehen Sie die Zukunft Ihrer Partei?
Schlechtgelaunte Opposition überlassen wir anderen. Wir wollen mit Optimismus und Zukunftsprojekten auf uns aufmerksam machen. Das wird nicht einfach, die Bundestagsfraktion muss eine Art Reformwerkstatt sein.