Schwäbische Zeitung (Biberach)
Erinnerungen, die schmerzen, Wörter, die guttun
Gedenktag zu Euthanasie-Verbrechen in Heggbach
HEGGBACH (sz) - Jedes Jahr am 27. Januar, dem Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus, gedenkt auch die St.-Elisabeth-Stiftung mit einem Gottesdienst der EuthanasieOpfer, die 1940 von Heggbach nach Grafeneck deportiert und getötet worden sind: Es waren 122 geistig und mehrfach behinderte Frauen und 71 Männer. Der Gedenkgottesdienst fand am Samstag in Heggbach unter Einsatz eines neu geschaffenen Quilts statt.
Nach der Begrüßung durch Renate Weingärtner, Leiterin des Heggbacher Wohnverbunds, stellte Jenny Hofer dar, wie letzten Herbst die Idee Gestalt annahm, einen Quilt zur Erinnerung an die Ermordeten zu gestalten. Die engagierte Vorsitzende des Vereins der Freunde und Förderer der Heggbacher Einrichtungen nahm die Aktion der Amerikanerin Jeanne Hewell Chambers zum Vorbild, mit textilen Wandbehängen der insgesamt 70 273 in Deutschland von den Nazis getöteten behinderten und psychisch kranken Menschen zu gedenken. Vor dem Abtransport waren deren Krankenakten von jeweils drei Ärzten gelesen worden. Setzten zwei davon ein rotes Kreuz unter die Akte, bedeutete dies den Tod der „Patienten“, wie Jenny Hofer sehr anschaulich und in leichter Sprache erläuterte.
Mithilfe der Patchwork-Gruppe in Schwendi nähten, strickten, häkelten und stickten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Werkstatt bei einem Projekttag zahlreiche rote Kreuze. Die Seniorengruppe im Begegnungszentrum fertigte weitere Kreuze an. Anschließend wurde das Oberteil mit Futter und Unterteil geheftet und in vielen Stunden gesteppt. Beim Gedenkgottesdienst schmückte das fertige 350 Zentimeter lange und 130 Zentimeter breite Gemeinschaftswerk den Altar.
Ansprache in Gebärdensprache
Kommunikationspädagogin Rita Schultheiß untermalte ihre Ansprache mit Gebärdensprache, gefolgt von einer kurzen Lesung aus dem Buch Jesaja zum Thema Recht und Gerechtigkeit. Zwei Bewohnerinnen der Einrichtung, Sybille Krug und Sabine Mösslang, fassten anschließend in einfachen Worten das Denken der Nazis zusammen. Die Frauen zählten Wörter auf, „die wehtun“. Diese waren zuvor von Beschäftigten in der Gruppe erarbeitet worden. Zu jedem ausgedruckten Wort wie Lüge, Abstoßung, Opfer oder Vergasung wurde neben dem Quilt ein kantiger Stein abgelegt. Wörter, die guttun, wie Trösten, Annehmen, Würdigen oder Helfen, hingegen dekorierten zwei Seniorinnen mit bunten Primeln.
Die Namen der 193 Ermordeten wurden den Gottesdienstbesuchern vorgelesen – jeweils mit deren Geburtsorten und -daten. Zwischen den einzelnen Wortbeiträgen thematisierte das Trio Kleznova aus Ottobeuren mit Klarinette, Kontrabass und Gitarre die Erinnerung an Schmerz, Stärke und Hoffnung. Die Musiker interpretierten jüdische Klezmer-Musik mit Elementen aus Jazz und Blues auf berührende Weise passend zu einem sehr nachdenklich stimmenden Gottesdienst, der unter die Haut ging – nicht nur durch sein Schlussgebet, gefunden auf einem Einwickelpapier im Konzentrationslager Ravensbrück.