Schwäbische Zeitung (Biberach)
„Wir fühlen uns nicht als Verlierer“
Die Parteilinke Hilde Mattheis freut sich über die hochpolitisierte Partei – SPD gehe „gestärkt“aus dem Mitgliedervotum hervor
BERLIN - Hilde Mattheis, Ulmer SPD-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende der Demokratischen Linken 21, gehört zu den schärfsten Kritikerinnen einer Großen Koalition. Für sie geht es weiter im Kampf um die Erneuerung der SPD. Sabine Lennartz sprach mit ihr.
Frau Mattheis, sind Sie enttäuscht über den Ausgang des Mitgliedervotums?
Enttäuschung ist nicht angebracht. Sicher, es war ein großer Kraftaufwand in den letzten Wochen, und natürlich hätte ich mir gewünscht, dass mehr Leute mit Nein gestimmt hätten. Aber es sind demokratische Prozesse, die muss man akzeptieren.
Mit wie viel Nein-Stimmen hatten Sie gerechnet?
Ich habe mit 35 bis 38 Prozent NeinStimmen gerechnet, aber immerhin wollten ja ein Drittel jener, die abgestimmt haben, keine Große Koalition. Das ist schon ein beträchtlicher Teil. Wir fühlen uns nicht als Verlierer, sondern wir haben zu einem Erneuerungsprozess beigetragen. Hilde Mattheis (SPD).
Hat das Mitgliedervotum und die ganze Diskussion darüber die SPD gestärkt oder geschwächt?
Ich denke, gestärkt. Wir sind eine hochpolitisierte Partei mit wieder starkem Interesse an parteipolitischen Entscheidungen. Ich habe Veranstaltungen erlebt, in denen Leute, die ewig nicht dabei waren, wieder gekommen sind. Das zeigt eine Demokratisierung innerhalb der Partei.
Olaf Scholz meint, die Zustimmung der Mitglieder gebe Kraft für die Erneuerung. Hat er recht?
Das hoffe ich sehr. Denn eines muss uns allen wichtig sein, egal wie man abgestimmt hat: Dass jetzt eine tatsächliche Erneuerung der Partei passiert.
Was heißt Erneuerung konkret?
Das sind die Inhalte, die wir immer schon angemahnt haben. Für eine gerechtere und soziale Gesellschaft brauchen wir keine kleinen Reformschritte, sondern eine prinzipiell andere Herangehensweise. Man muss sich wieder für die Beschäftigten und ihre Arbeits- und Lebensbedingungen interessieren. Wir wollen nicht nur soziale Sicherheit und ökologische Nachhaltigkeit, sondern die Lebenswirklichkeiten vieler besser machen. Das ist ein grundsätzlicher Ansatz.
Das heißt, die Partei soll weiter nach links rücken?
Das finde ich schon, sonst ist die Unterscheidbarkeit von der Union nicht gegeben. Das sage ich nicht als linke Sozialromantikerin, sondern das sagen uns alle Analysen nach Wahlniederlagen.
Und kann das in einer Koalition mit der Union gelingen?
Sie stellen die Frage, die wir seit Wochen und Monaten gestellt haben. Die muss man jetzt beantworten.
Macht das Drittel der Nein-Sager, zu dem Sie gehören, weiter?
Aber natürlich, ich bin überzeugt, dass jetzt viele eher angespornt sind, sich bei der inhaltlichen Erneuerung zu beteiligen. Ich hoffe, dass dafür die Strukturen geschaffen werden.
Und welche Strukturen wollen Sie?
Mehr basisorientierte Konferenzen, in denen jedes Mitglied die Möglichkeit hat, mit der Parteispitze zu kommunizieren. Die zweite Möglichkeit ist die Mitarbeit über Mitmachportale, wie wir sie als DL 21 mit Erfolg haben.
Darf man jetzt kritischer sein in der SPD als früher?
Das hoffe ich doch sehr.