Schwäbische Zeitung (Biberach)
Mehr als nur typisch
Thomas Müller geht voran, trifft wieder und ist ganz er selbst – ein Fohlen als Motivation
FREIBURG - Als hätten sich Trainer, Spieler und auch viele Fans abgesprochen, um die Zuhörer zu foppen, wirkten die Äußerungen nach dem ungefährdeten 4:0 (2:0)-Sieg der Münchner Bayern in Freiburg. „Nach 20 Minuten hatten wir ausgeträumt. Dann kam das typische Bayerntor“, meinte zum Beispiel Nils Petersen, Freiburgs Stürmer mit Münchner Vergangenheit. Dieses typische erste Führungstor war nicht nur Bayerntypisch, sondern trug einen ganz bestimmten Namen: „Es ist typisch, dass Müller solche Tore macht“, wurde FCB-Trainer Jupp Heynckes deutlich. „Müller“ist natürlich Thomas Müller, seines Zeichens 28-jähriger Oberbayer, WM-Torschützenkönig 2010, und beim Rekordmeister mehr als 100 Mal erfolgreich, sehr gerne und ebenso oft durch eben „solche Tore“, die eben nur der Müller-Thomas schießen kann: Tore, die wie die bewegungstechnische Umsetzung des Legendären Louis-deFunès-Spruchs scheinen. „Nein? Doch! Oh!“. Diese Tore gehen so: Giraffengleich nimmt langes, schmales Müller den Ball mit allen möglichen Körperteilen an und bringt ihn aus schieraus unmöglichen Winkeln im Tor des Gegners unter. Zur Not, wie beim 1:0 in Freiburg, auch indem er den gegnerischen Torwart als menschliche Bande missbraucht. Ob das dann immer so gewollt ist, ist für den Fan – und wahrscheinlich auch Müller selbst – nicht immer eindeutig. Eindeutig dagegen: Ein typischer Müller, dieses 1:0, auch wenn es offiziell dem armen, von Müller angeschossenen, Alexander Schwolow zugeschrieben wurde.
Weil Müller in der 69. Minute dann das Tor zum 4:0 ganz alleine erzielte und zudem zwei weitere Treffer vorbereitete, konnte er sich völlig zurecht als die fleischgewordene Lebensversicherung des Meisters in Freiburg fühlen. Die Begründung für seine Leistungsexplosion lieferte er prompt hinterher – wieder mit einem echten Müller. „Ich bin quasi ein frischer Papa. Das hat mich zusätzlich angestachelt“, erklärte er mit seinem markanten, schiefen Grinsen. In der Nacht zuvor war auf Müllers Gestüt „das erste Fohlen der Saison“geboren worden.
Doch erlebt der FC Bayern gerade auch die Renaissance des Torjägers. Vier seiner sechs Saisontore hat er in der Rückrunde erzielt. Dass er sein erstes Tor offiziell abgeben musste, wurmte ihn dann auch ein wenig. „Kann ein Torwart überhaupt ein Eigentor schießen?“, fragte Müller leicht enttäuscht, stellte aber fest: „Ich werde zwar an Toren gemessen, aber nicht von mir selbst.“Und trotzdem ist es gerade im WM-Jahr und seinem Status in der Nationalmannschaft wichtig, dass eben jene nicht nur nicht ausbleiben, sondern zahlreich auf dem Feld zu sehen sind.
Bundestrainer Joachim Löw weiß selbstredend längst von den Qualitäten, dem Überraschungsmoment, das immer möglich ist – und die schon beinahe planbaren Kuriositäten. Nicht umsonst hatte bereits Louis van Gaal einst gesagt: „Thomas Müller spielt immer!“Dass einige von van Gaals Nachfolger, Pep Guardiola und Carlo Ancelotti nämlich, das nicht immer ganz so sahen, wurmte Müller und machte ihn vor allem unter Ancelotti eher zum Torlosstürmer. Vorbei! Der aktuelle Müller ist unabkömmlich, egal ob Adler oder Bayern-Wappen auf der Brust.
Und vielleicht erkennen irgendwann auch mehr Experten und Beobachter das, was Freiburgs Coach Christian Streich bereits jetzt klar zu wissen meint. Dieses „typische“ist weder Zufall noch irgendwas anderes. „Es ist kein Glückstor von Müller. Es ist einfach wahnsinnig schlau.“
„Es ist kein Glückstor von Müller. Es ist einfach wahnsinnig schlau.“Christian Streich