Schwäbische Zeitung (Biberach)
Kein Kompromiss beim Wahlrecht
Ministerien sehen grünen Kompromissvorschlag als verfassungsrechtlich bedenklich an
STUTTGART (kab) - Juristen des Innenund des Justizministeriums sehen beim Vorschlag zur Reform des Landtagswahlrechts verfassungsrechtliche Probleme. Damit ist der Kompromissvorschlag der Grünen vom Tisch. Annette Widmann-Mauz (CDU), die Bundesvorsitzende der Frauen Union, sagte dazu zur „Schwäbischen Zeitung“: „Wir brauchen eine Liste, die repräsentativ ist und Akzeptanz erhält.“
STUTTGART - Alles auf Start: Der von den Grünen vorgeschlagene Kompromiss zur Reform des Landtagswahlrechts scheint vom Tisch. Juristen sowohl des Innen- wie auch des Justizministeriums sehen verfassungsrechtliche Probleme. Damit dürfte das Ringen um eine Lösung im Streit der Koalitionspartner Grüne und CDU wieder Fahrt aufnehmen.
Eigentlich war schon im Koalitionsvertrag alles klar: Grüne und CDU hatten darin eine Reform des Wahlrechts vereinbart, um den Landtag bunter, vor allem aber weiblicher zu machen. Die CDU-Fraktion hatte sich jedoch im Januar einstimmig gegen eine Reform ausgesprochen. Die Abgeordneten befürchten, dass durch eine Liste die Partei zu viel Macht bei der Aufstellung von Kandidaten bekomme. Abgeordnete verlören die enge Bindung an den Wahlkreis. Die Grünen aber pochten weiter auf den Koalitionsvertrag und die Reform des Wahlrechts. Es kam zum Koalitionskrach.
Liste mit Wahlkreis-Kandidaten
Grünen-Fraktionsvorsitzender Andreas Schwarz präsentierte einen Kompromissvorschlag: Zu den 70 direkt gewählten Landtagsabgeordneten sollten weitere über eine Liste kommen. Diese Landeslisten sollten zwar die Parteien aufstellen, aber ausschließlich mit Kandidaten, die in den Wahlkreisen nominiert wurden. Nachrücker für diese Listen-Abgeordneten hätten deren Zweitkandidaten aus dem Wahlkreis sein können.
Die CDU-Fraktion beauftragte das Innenministerium von Parteichef Thomas Strobl und das Justizministerium, das Guido Wolf verantwortet, mit einer juristischen Prüfung des Vorschlags. Die CDU-Minister hatten sich zur Reform des Wahlrechts unterschiedlich positioniert. Strobl gilt als Befürworter – um dem Ruf der Frauen Union nach mehr weiblichen Abgeordneten zu entsprechen, und um den grünschwarzen Koalitionsvertrag umzusetzen. Wolf hat sich indes gegen Änderungen ausgesprochen.
Die Juristen beider Ministerien sehen den vorgeschlagenen Kompromiss kritisch. Wolfs Experten bezeichnen ihn als „problematisch“. Das Gutachten des Innenministeriums wird noch deutlicher. Der Vorschlag sei „wegen Eingriffen in die Parteienfreiheit und Wahlgrundsätze verfassungsrechtlich sehr problematisch.“Dass nur Direktkandidaten und ihre Ersatzbewerber auf der Liste landen dürften, sei zu beschränkend.
Die SPD-Landesvorsitzende Leni Breymaier übte Kritik: „Das ist das Dümmste, was ich zu diesem Thema in den letzten zehn Jahren gehört habe“, sagte sie über die Gutachten. „Wäre dieser Vorschlag verfassungsrechtlich problematisch, dann wäre auch das Bundestagswahlrecht verfassungsrechtlich problematisch.“
Die Regierungsfraktionen ziehen sehr unterschiedliche Schlüsse aus der Bewertung der beiden Ministerien. „Wir sehen das Gutachten positiv“, erklärt Grünen-Fraktionschef Schwarz und betont: „Das Innenministerium besagt klar, dass die im Koalitionsvertrag vereinbarte Landesliste von der Landesverfassung gedeckt ist und selbstverständlich eingeführt werden kann.“Ähnlich äußert sich die EU-Abgeordnete und Vorsitzende der Frauen Union Baden-Württemberg Inge Gräßle. „Jetzt kann das Landtagswahlrecht wirklich reformiert werden“, teilt die langjährige Kämpferin für eine Wahlreform mit. Der baden-württembergische Landtag hat mit rund 25 Prozent die bundesweit geringste Frauenquote.
Einig sind sie sich in der Ansicht, dass nun die CDU-Fraktion am Zug ist. „Wir sind jetzt gespannt auf den Vorschlag der CDU, denn grundsätzlich kann ein Listenwahlrecht eingeführt werden“, erklärte Schwarz. Gräßle sagte: „Jetzt stehen die Landtagsabgeordneten im Wort, Schritte zu tun für eine wirkliche Abbildung der Gesellschaft in ihrer Breite.“
Reinhart preist Status quo
Auch Annette Widmann-Mauz, Bundesvorsitzende der Frauen Union aus Tübingen, stellte im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“fest: „Meine Meinung ist klar: Der Koalitionsvertrag gilt“. Die CDU-Landtagsfraktion müsse sich entscheiden, „ob sie ein zukunftsfähiges Modell für die Landeslisten mit 50 Plätzen für die Breite der ganzen Gesellschaft öffnen will, oder ob alles beim Alten bleiben soll.“
Solchen Reformaufrufen steht das einstimmige Votum der CDULandtagsfraktion entgegen. Eine schnelle Lösung scheint nicht in Sicht. Laut CDU-Fraktionschef Wolfgang Reinhart sind die Gutachten die Basis für weitere Gespräche. Denn: „Es gibt weitere offene Verfassungsfragen“, auch bei anderen Lösungsansätzen. Reinhart betonte erneut die Vorzüge des Status quo. „Unser geltendes Landtagswahlrecht ist einfach, bürgernah, demokratisch und direkt.“Zugeständnisse stellte er nicht in Aussicht. „Die Frauenförderung ist uns auch sehr wichtig, muss aber über ganz andere Wege geschehen“, erklärte Reinhart. „Hier müssen die Parteien vor Ort aktiv werden.“
Nach Informationen der „Schwäbischen Zeitung“hat die CDU-Fraktion am Dienstag die Bewertung der Juristen begrüßt. Man wolle kommenden Dienstag mit den Spitzen der Grünen weiter über das Wahlrecht reden, erklärte ein Teilnehmer der Fraktionssitzung. Die CDU sehe es aber nicht als ihre Aufgabe an, nun eigene Kompromissvorschläge zu präsentieren.