Schwäbische Zeitung (Biberach)
Die EU steht unter Schock
Europapolitiker arbeiten Ergebnisse der Italienwahl auf
BRÜSSEL - Nach dem Ausgang der Parlamentswahl in Italien scheint der Rest der EU unter Schock zu stehen. Zwar ist es nichts Besonderes, dass die EU-Kommission mit Verweis auf die „inneren Angelegenheiten eines Mitgliedslands“schweigt. Das tut sie nach jeder nationalen Wahl. Doch die Abgeordneten des Europaparlaments, die Sprecher von Verbänden und andere Beobachter in Brüssel sind normalerweise nicht so schmallippig.
Jeder zweite Wähler in Italien hat für eine europakritische oder europafeindliche Partei gestimmt. Der SPD-Europaabgeordnete Jens Geier erklärt sich das Wahlergebnis als Folge des „zerrütteten Vertrauens in die Skandalfigur Berlusconi und den einseitigen Fokus auf die Flüchtlingsfrage“. Warum sein Parteifreund Paolo Gentiloni „trotz der hohen Beliebtheitswerte“dafür abgestraft wurde, vermag er aber auch am Dienstag nicht zu erklären.
Cornelia Ernst von der Linkspartei sieht das Ergebnis als „Ausdruck einer phänomenal verfehlten NordSüd-Innenpolitik der EU“. Mit dem Flüchtlingsproblem sei Italien trotz entsprechender Zusagen weitgehend allein geblieben. „Die katastrophale Lage in Verbindung mit den Konsequenzen des Kürzungsdiktats durch die EU-Finanz- und Wirtschaftsministerien, dem Einfluss der Mafia und der nach wie vor grassierenden Korruption bereitete den Nährboden für den Erfolg fremdenfeindlicher und nationalistischer Parolen“, sagt Ernst. Die Organisation „VoteWatch“sieht im italienischen Wahlergebnis eine Bestätigung EUweiter Trends. „Die Kräfte der politischen Mitte schrumpfen in Europa weiter. Die zu den Volksparteien gehörenden italienischen Kräfte PD (Sozialdemokraten) und Forza Italia (Konservative) fallen auf ein historisches Tief von unter 20 Prozent. Dagegen hat die italienische Rechte im ganzen Land zugelegt und ihr Vorwahlergebnis um zehn Prozent gesteigert.“
VoteWatch sieht den Hauptgrund in der extrem fremdenfeindlichen Stimmung im Land, macht aber auch Globalisierungsängste, die Sorge vor dem Verlust kultureller Identität, Umstrukturierungen in der Arbeitswelt und antieuropäische Strömungen für das Wahlergebnis verantwortlich.
Schwierige Regierungsbildung
Der Ärger bei den italienischen Sozialdemokraten über ihren Parteichef Matteo Renzi droht die Regierungsbildung in Rom indes weiter zu erschweren. Für Unmut sorgte nicht nur, dass Renzi nach der historischen Wahlschlappe der bisherigen Regierungspartei PD nicht umgehend den Chefsessel räumte. Auch über eine mögliche Unterstützung der europakritischen Fünf-Sterne-Partei oder der rechten Lega für eine Regierungsbildung herrschte Uneinigkeit.
Da keine Partei die Mehrheit bekommen hat, könnte der PD nun eine entscheidende Rolle zukommen. Doch Renzi schloss am Dienstag eine Unterstützung entschieden aus.