Schwäbische Zeitung (Biberach)
Professor Ackermann erklärt die Welt
Ex-Deutsche-Bank-Chef referiert vor Schülern über die Finanzkrise und was im Leben wichtig ist
ERMATINGEN – Er war der erste ausländische Chef der Deutschen Bank. Heute gibt Josef Ackermann sein Wissen an junge Leute weiter. Drei Schulklassen hingen dem Finanz-Rentner im Schweizer Dörfchen Ermatingen an den Lippen und erfuhren, wie nah Deutschland während der Finanzkrise tatsächlich an einem Kollaps stand und warum es im Leben nicht nur aufs Geld ankommt.
Nur wenige Männer können wohl von sich behaupten, Angela Merkel nachts aus dem Bett geholt zu haben. Josef Ackermann gehört dazu. Es war 2008 auf dem Höhepunkt der Finanzkrise. Nach dem Kollaps der Hypo Real Estate Bank (HRE) habe man das ganze Wochenende durchgearbeitet und bis nach Mitternacht verhandelt. Dann sei klar gewesen: Ohne staatliche Hilfe geht es nicht. Ackermann rief den damaligen Finanzminister Peer Steinbrück an. „Das muss die Kanzlerin entscheiden“, sagte der. Wenige Minuten später klingelte Ackermanns Handy. Merkel war am Telefon. „Sie wollte wissen, wie schlimm die Lage wirklich ist“, erinnert sich der Banker. Damals habe er sich mit Blick auf die nervösen Märkte nicht anmerken lassen dürfen, dass er wirklich Angst gehabt hat. Heute sagt er: „Wir waren Minuten vor dem Kollaps.“
Ohne Rücksicht auf die Märkte
Als Josef Ackermann dies alles erzählt, ist es mucksmäußchenstill im Saal. Selten war Wirtschaftsunterricht so spannend. Ackermann kann heute ohne Rücksicht auf die Märkte sprechen. Er liebt es, sein Wissen zu teilen. Als er nach seiner Promotion an der Schweizer Elitehochschule St. Gallen zur Credit Suisse ging, blieb er seiner Hochschule noch jahrelang als Lehrbeauftragter treu. Nach seinem Rückzug von der Deutschen Bank unterrichtete er Studenten in Frankfurt, London und St. Gallen. Jetzt, kurz nach seinem 70. Geburtstag im Februar, unterrichtet er nur noch in St. Gallen.
Schüler brauchen mehr volkswirtschaftliche Kenntnisse, findet Ackermann. Sonst kann man weder verstehen, was in der Zeitung steht, noch über Rentenreformen abstimmen. Aber anschaulich und praktisch müsse der Unterricht sein. Drei Konstanzer Schulklassen, die zum wenige Kilometer entfernten Unternehmerforum Lilienberg nach Ermatingen gekommen sind, sitzen im Publikum. Sympathisch und spannend fanden sie den von Kritikern als gefährlichsten Banker der Welt bezeichneten Ackermann – auch, wenn sie nicht alles ganz verstanden haben. Aber schließlich waren die meisten von ihnen beim Kollaps der HRE vor zehn Jahren gerade mal sechs oder sieben Jahre alt. Das Thema Ackermann haben sie aber immerhin schon so weit bearbeitet, dass sie ihm vorab 80 Fragen geschickt haben. Geduldig und mit seinem typisch verschmitzten Lächeln beantwortet er die Fragen, beispielsweise, in was er investiert (Aktien und Immobilien), was er von der umstrittenen Kryptowährung Bitcoin hält (momentan noch Finger weg). Er verrät, dass er momentan kein bisschen Bargeld dabei hat und rät einem Jugendlichen, dass sich eine Banklehre auf jeden Fall noch lohnt – auch wenn die Branche vor gewaltigen Umbrüchen stehe. „Wenn Ihnen die Küche zu heiß ist, dürfen Sie nicht Koch werden, das gilt auch für Führungspositionen“, sagt Ackermann.
Bei der Frage, ob er sich selbst als Vorbild für die Jugend sieht, muss Ackermann lachen. Richtig positiv komme er vermutlich erst in seinem Nachruf weg, scherzt er. Selten war ein Banker wohl so umstritten wie Josef Ackermann. Auch für seine viel kritisierte Geste mit dem VictoryZeichen muss er sich rechtfertigen. „Bilder können einen unglaublich verfolgen“, meint der Ex-Manager. Das Foto sei aber aus dem Zusammenhang gerissen worden. Er habe nicht die deutsche Justiz verhöhnen, sondern beim Warten auf die verspäteten Richter lediglich Michael Jackson imitieren wollen, sagt er. Die Skandale und Rechtsstreitigkeiten etwa um Manipulationen am Referenzzinssatz Libor beschäftigen die Deutsche Bank bis heute. Auch das von Ackermann ausgerufene Renditeziel von 25 Prozent wurde immer wieder kritisiert. Selbstkritik ist zwar nicht zu hören. „Dass Banken zu wenig Kapital haben, habe ich sehr früh angesprochen“, sagt Ackermann. Doch von dem großspurigen Chef, der bei der Deutschen Bank zwei Sekretärinnen und Assistenten auf Trab hielt, und der einräumte, mitunter etwas zu dominant zu sein, ist an diesem Abend nichts zu spüren. Dabei hat Ackermann sich äußerlich in den letzten Jahren kaum verändert. Die Schläfen sind vielleicht einen Tick grauer als bei den letzten Pressekonferenzen, doch das spitzbübische Lächeln ist noch da. Professor Dr. Ackermann, wie auf seinem Namensschild auf dem Podium mit den drei Osterglocken steht, fühlt sich sichtlich wohl in seiner Rolle als Dozent – ohne schulmeisterlich daher zu kommen. Er gibt etwa ganz offen zu, selbst noch hinzuzulernen. Seine Sekretärinnen hätten sich hinter seinem Rücken immer darüber lustig gemacht, dass er nicht E-mailen könne. Das habe er jetzt im Ruhestand gelernt. Dabei begnügt er sich nicht mit Wirtschaftsund Finanzthemen. Es ist eher eine Lektion Leben. Für Ackermann lassen sich die wichtigsten Dinge in vier Punkten zusammenfassen:
1. Realistische Ziele, 2. Was man macht, soll man mit Freude tun, 3. Wer keine Freude mehr hat, sollte das Unternehmen oder den Beruf wechseln,
4. Ein stabiles Umfeld mit Freunden und Familie gehört unbedingt zum Leben dazu, denn Burnout könne jeden treffen. Er selbst gehe jedes Jahr mit Schulfreunden wandern. Mittlerweile seien alle über 70.
„Woher nehmen Sie Ihre Zuversicht?“, will ein pensionierter Pfarrer wissen. Ob man im Leben Erfolg habe oder nicht, hänge auch mit vielen Zufällen zusammen. „Ich hatte das Glück, in einer harmonischen Familie aufzuwachsen.“Für ihn sei der Vater ein Vorbild gewesen. Ein Mann, der es durch Fleiß aus ärmlichen Verhältnissen zum Arzt gebracht hatte. Die Eltern hätten ihn und seine Brüder immer unterstützt und schon zu Schulzeiten in ihrem Dorf eher unüblichen Sprachurlaub in England, Frankreich und Italien ermöglicht. Sein Bruder sei Professor für Urologie geworden.
Er wollte es den Eltern beweisen
„Tiefenpsychologisch wollten wir unseren Eltern wohl zeigen, wir schaffen das“, analysiert Ackermann. Das Geld jedenfalls habe ihn nie wirklich angetrieben. „Wer nur auf Geld aus ist, wäre als Wirtschaftsführer fehl am Platz.“Ihm habe die Gestaltungsfreiheit Freude gemacht. „Als Befehlsempfänger hätte ich wahrscheinlich Mühe gehabt.“Doch auch er habe einmal genau so angefangen. Eine seiner ersten Aufgaben bestand darin, die Straßen nach Geschäften abzuklappern, die noch nicht zum Kundenstamm gehörten. Die Mimik lässt keinen Zweifel daran, was der damals frisch promovierte Volkswirt selbst davon hielt.
Junge Leute – insbesondere die Frauen – sollen mutig sein und Herausforderungen annehmen. Er selbst habe jede Herausforderung angenommen – auch weil er großen Rückhalt hatte und eine Familie, die an ihn glaubt. „Ich hatte immer das Gefühl, wenn ich scheitere, kann ich zu Hause anklopfen.“