Schwäbische Zeitung (Biberach)

„Michaela ist für uns mehr als ein Gast“

Familie Veit hat eine junge Frau mit Behinderun­g aufgenomme­n.

- Von Birgit van Laak

HEGGBACH/DETTINGEN - Nicht im Heim oder im ambulant betreuten Wohnen, sondern in einer Familie leben: Das wünschen sich viele Menschen mit Behinderun­g, die keine eigene Familie haben oder deren Angehörige sie aus unterschie­dlichsten Gründen nicht bei sich aufnehmen können. Seit 18 Jahren bietet die St.-Elisabeth-Stiftung das Wohnen in Gastfamili­en an. Eine der aktuell 34 Gastfamili­en sind Agnes und Hermann Veit aus Dettingen. Bei ihnen lebt die 21-jährige Michaela, eine junge Frau mit geistiger Behinderun­g.

„Michaela ist für uns mehr als ein Gast“, sagt Agnes Veit. Vor elf Jahren entschloss­en sie und ihr Mann sich, einen Menschen mit Behinderun­g bei sich aufzunehme­n. Der Heggbacher Wohnverbun­d der St.-Elisabeth-Stiftung suchte damals – wie auch heute – neue Gastfamili­en. Veits hatten Platz, da zwei der drei erwachsene­n Kinder ausgezogen waren, außerdem besaß Agnes Veit als Tagesmutte­r Erfahrung in der Kinderbetr­euung. So kam die damals zehnjährig­e Michaela zu ihnen.

Der Anfang war für beide Seiten nicht einfach. „Ich war unsicher“, erinnert sich Michaela. Auch die Veits mussten sich auf viel Neues einstellen, denn das Leben mit einem Kind mit geistiger Behinderun­g unterschie­d sich vom Alltag, den sie mit ihren Kindern kannten. So galt es, besondere Verhaltens­weisen zu verstehen.

Das Anderssein akzeptiere­n

„Michaela konnte nur schwer damit umgehen, wenn sich Pläne oder Abläufe plötzlich veränderte­n“, erzählt Hermann Veit. „Dass man einfach sagt, das machen wir jetzt spontan anders, das geht nicht.“Man könne an bestimmten Punkten nichts ändern, berichtet Agnes Veit über ihre Erfahrunge­n. „Sie ist nicht wie andere 21-Jährige, das muss man akzeptiere­n.“Das bestätigt auch Cornelia Landthaler von der St.-ElisabethS­tiftung. „Man muss die Behinderun­g annehmen, in dem Wissen, dass sich diese nicht ändern wird. Man kann insoweit nur begleiten.“

Etwa zwei Jahre müsse man rechnen, bis ein Gast wirklich angekommen sei, sagt Petra Fischbach von der St.-Elisabeth-Stiftung. Bei Michaela und den Veits sei es mehr als ein Ankommen in der Familie geworden. „Zwischen ihnen gibt es eine richtige Herzverbin­dung, das ist etwas Besonderes“erzählt sie.

Fachkraft unterstütz­t und berät

Natürlich habe es Momente gegeben, in denen sie gezweifelt habe, erinnert sich Agnes Veit. Aber dann konnte sie auf die Unterstütz­ung der St.-Elisabeth-Stiftung bauen. Regelmäßig besucht eine Fachkraft die Gastfamili­e und berät sie. Darüber hinaus können die Familien auch Entlastung­stage in Anspruch nehmen, an denen ihr Gast im Heim oder einer Wohngruppe untergebra­cht ist.

Nach all den Jahren sind die Veits stolz, was aus Michaela geworden ist. Denn während sich manches aufgrund der Behinderun­g nicht ändern lässt, hat sich Michaela an anderen Punkten dank der Anleitung ihrer Gastfamili­e entwickelt. So hat sie ein Stück Selbststän­digkeit gelernt. Sie macht zum Beispiel Frühstück oder hilft in der Küche mit. Inzwischen vereinbart sie sogar selbst ihre Friseurter­mine oder meldet sich für Freizeiten an. „Da rufe ich einfach an“, erzählt sie und lächelt. „Das ist ein tolles Gefühl.“

Mit der ältesten Tochter der Veits ist sie befreundet, zusammen gehen die beiden zum Yoga. Reiten, Schwimmen, Bogenschie­ßen zählt Michaela ihre weiteren sportliche­n Aktivitäte­n auf. Bei den Bogenschüt­zen sei sie gut integriert, berichtet Hermann Veit, der sich freut, dass die 21-Jährige dadurch auch ein Stück weit am Gemeindele­ben teilnimmt. „Familie Veit war für Michaela ein Glücksfall“, sagt Petra Fischbach.

Am Wochenende unternehme­n Veits mit Michaela gemeinsam Radtouren. Demnächst reist die 21-Jährige mit in den Italienurl­aub, bevor für sie ein neuer Lebensabsc­hnitt beginnt. Ihre Schulzeit endet im Lauf des Jahres, danach will sie in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderun­g arbeiten. Bei den Veits wird sie erst einmal bleiben. „Sie kann bei uns wohnen, so lange sie möchte“, sagt Agnes Veit. Fürs Erste sei das auch das Beste für sie. „Aber irgendwann wird sie wohl in einer WG oder selbststän­dig wohnen wollen.“

Ein Video über die Gastfamili­e sehen Sie im Lauf des Nachmittag­s unter www.schwäbisch­e.de/biberach

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FOTO: BIRGIT VAN LAAK
 ?? FOTO: BIRGIT VAN LAAK ?? Puzzeln gehört zu Michaelas (r.) Hobbys. Sie lebt seit elf Jahren bei ihrer Gastfamili­e, bei Hermann und Agnes Veit.
FOTO: BIRGIT VAN LAAK Puzzeln gehört zu Michaelas (r.) Hobbys. Sie lebt seit elf Jahren bei ihrer Gastfamili­e, bei Hermann und Agnes Veit.

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