Schwäbische Zeitung (Biberach)
Schreibtisch im Netzwerk
Coworking Spaces sind Büro und Austauschort zugleich – nicht nur für Einzelkämpfer, sondern bald auch für reguläre Arbeitnehmer
Auch Freiberufler gehen ganz gerne mal ins Büro. Für die Disziplin, für die gesellige Mittagspause oder schlicht, weil ihnen im Homeoffice die Decke auf den Kopf fällt. Für solche Fälle gibt es das Prinzip der Bürogemeinschaft, manche Freelancer richten sich auch im Lieblingscafé um die Ecke häuslich ein. Und andere gehen in einen sogenannten Coworking Space.
Das ist erstmal nichts anderes als ein Ort zum Arbeiten – meistens eine Art Großraumbüro voller Schreibtische, dazu ein paar unverzichtbare Utensilien wie schnelles WLAN und eine vernünftige Kaffeemaschine. Im Gegensatz zur klassischen Bürogemeinschaft sind Coworking Spaces aber deutlich flexibler. Wer will, kann hier zwar auch feste Arbeitsplätze mieten. Wer weniger bezahlen will, kann sich aber auch jeden Tag einfach einen neuen Platz suchen – und wer nur ab und zu kommt, kann oft wie im Fitnessstudio auch eine Zehnerkarte kaufen.
Nicht nur nebeneinander arbeiten
Nur nebeneinander zu arbeiten, ist für richtiges Coworking aber eigentlich zu wenig. „Ein guter Coworking Space bietet mehr als einen Arbeitsplatz“, sagt Carsten Foertsch, Herausgeber des Online-Magazins Deskmag. Ein Rahmenprogramm gehört für ihn ebenso dazu – Workshops oder Vorträge in der Mittagspause also zum Beispiel, oder Networking-Veranstaltungen nach Feierabend, manchmal sogar mit Freibier. „Schließlich geht es um Vernetzung und Austausch.“
Ein echtes Netzwerk statt einer Ansammlung von Schreibtischen – das ist auch für Stefan Rief die Kernidee des Coworking. Wichtig dabei: „In dieses Netzwerk kann ich so tief eintauchen, wie es gerade meinen Bedürfnissen entspricht“, sagt der Forschungsdirektor für Organisationsentwicklung und Arbeitsgestaltung am Fraunhofer-Institut Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO).
„Ich kann in diesem Netzwerk andere Leute kennenlernen, ich kann mit jemandem zusammenarbeiten, und manchmal braucht man ja auch einfach nur jemanden für einen zweiten Blick“, sagt Rief. Im Idealfall findet man hier sogar Gleichgesinnte für Kooperationen. Wer das nicht braucht oder will, kann aber genauso alleine vor sich hin werkeln. „Es hilft ja manchmal der eigenen Motivation, zu sehen, dass auch andere arbeiten müssen“, sagt Rief. „Das ist im Grunde wie früher in der Uni-Bibliothek.“
Kein reines Großstadtphänomen
Bei Kooperationen hilft, dass in den meisten Coworking Spaces ganz unterschiedliche Disziplinen aufeinandertreffen. „Da findet sich so ziemlich alles, was mit der Kreativwirtschaft verbunden ist“, sagt Foertsch. Programmierer hätten zwar oft den größten Anteil. „Von Architekten über Journalisten bis zu Grafikdesignern sind aber auch sehr viele andere Berufe dabei.“Ein reines Berlinoder Hamburg-Phänomen ist der Coworking Space nicht mehr, auch wenn die Dichte in den großen Städten und Ballungsräumen wie dem Ruhrgebiet natürlich am höchsten ist. Mittlerweile gibt es die Arbeitsnetzwerke aber in fast allen deutschen Städten mit mehr als 200 000 Einwohnern, so Foertsch – und teilweise auch auf dem Land.
Der Ort bestimmt dabei maßgeblich, was ein Arbeitsplatz kostet. Schließlich macht die Miete für den Coworking-Betreiber meist den Löwenanteil der Kosten aus – München zum Beispiel ist tendenziell teurer als viele andere Städte. „In Berlin kann man bereits für monatlich 50 oder 100 Euro Mitglied in einem Coworking Space werden, aber ohne Platzgarantie“, nennt Foertsch Richtwerte. „Einen flexiblen Schreibtischplatz mit Rund-um-die-Uhr-Zugang erhält man für 200 bis 250 Euro, feste Plätze kosten meist 100 Euro mehr.“Tageskarten gibt es für 10 bis 25 Euro.
Reaktion auf Outsourcing-Welle
In Deutschland existieren Coworking Spaces schon seit ein paar Jahren – genau wie in einigen anderen Ländern. „Interessant am Coworking ist, dass es so 2006 oder 2007 weltweit fast zeitgleich aufkommt“, sagt Rief. „Damals gab es die erste große Outsourcing-Welle im IT-Bereich und bei den Mediengestaltern – und damit auch den Bedarf nach einem institutionalisierten Arbeitsplatz für diese Leute.“
Seitdem ist die Zahl der Tummelplätze für Kreative stetig gewachsen. Nach Angaben von Foertsch gibt es in Deutschland gerade etwa 460 Coworking Spaces mit rund 31 000 Arbeitsplätzen – und es werden mehr. Denn inzwischen drängen auch in Deutschland professionelle Coworking-Ketten auf den Markt, mit besonders großen und schicken Räumen, viel Rahmenprogramm und zusätzlichen Features wie Apps für die schnelle Buchung und die bequeme Vernetzung untereinander.
Und gerade diese neuen Platzhirsche zielen nicht mehr nur auf Freiberufler als Kunden. Sie heißen zum Beispiel Mindspace, Regus oder WeWork. „Wir sehen einen großen Wandel in der Art und Weise, wie Leute arbeiten wollen“, sagt Eugen Miropolski, Europa-Chef von WeWork. Und das gilt längst nicht mehr nur für Einzelkämpfer: Gut 30 Prozent des Neugeschäfts von Wework stammen inzwischen von großen Unternehmen.
Großunternehmen springen auf
Die Firmen schicken dann zum Beispiel besonders innovative Abteilungen oder Teams, manchmal auch nur Einzelpersonen oder Projektgruppen in die Coworking Spaces. Das hat gleich mehrere Gründe, wie Rief erklärt. Einmal geht es dabei um Inspiration durch die hippe Umgebung. Andererseits hat die kleine Exklave im Coworking aber auch einen praktischen Nutzen – sinkende Projektlaufzeiten nämlich, weil sich die Beteiligten in der Fremde mehr darauf konzentrieren können als im heimischen Büro.
Manche Großunternehmen gehen deshalb sogar so weit, dass sie selbst Coworking Spaces einrichten – mit Hilfe von Firmen wie WeWork zum Beispiel – und diese dann für Externe öffnen. Das passiert wohl auch in der Hoffnung, dort zuerst Zugriff auf das nächste Millionen-Startup zu haben. Aber auch, um etwas Kreativität und Flexibilität in die eigenen vier Wände zu holen, wie Miropolski erklärt.
Ist die Zeit des ungestörten Arbeitens im Coworking Space für Freiberufler also vorbei? Verdrängen die Konzerne den Freelancer? Stefan Rief glaubt das eher nicht: „Der muss weiter dabei sein, sonst funktioniert das Prinzip nicht.“Stattdessen geht er eher davon aus, dass die Zahl der Coworking Spaces weiter wachsen wird – und damit auch die Vielfalt der Coworking-Kulturen. „Im Idealfall findet so jeder das, was er braucht.“(dpa)
Info Übersichtskarte Coworking Spaces in Deutschland unter
Online-Magazin Desmag: