Schwäbische Zeitung (Biberach)
Wrack im Bodensee
Warum dort immer wieder Taucher verunglücken
BOTTIGHOFEN - Für Taucher ist das Wrack der vor 154 Jahren gesunkenen „Jura“im Bodensee bei Bottighofen (Schweiz) ein beliebtes Ziel. Immer wieder aber auch ein tödliches. Erst am Sonntagnachmittag kam ein Taucher aus der Schweiz ums Leben.
Der 56-Jährige sei alleine zum Wrack getaucht, wie die Kantonspolizei Thurgau mitteilte. Aus bisher ungeklärten Gründen kehrte der erfahrene Taucher nicht an die Oberfläche zurück, weshalb ein Kollege den Rettungsdienst alarmierte. Taucher der Seepolizei konnten den Mann in rund 38 Metern Tiefe neben dem Schiffswrack orten und nur noch tot bergen. Die Staatsanwaltschaft Kreuzlingen hat eine Untersuchung zur Klärung der genauen Todesursache eingeleitet.
Die „Jura“ist ein Raddampfer aus dem 19. Jahrhundert, der rund 1,3 Kilometer vom Ufer entfernt vor Bottighofen liegt. Bei Tauchgängen zum etwa 40 Meter tief liegenden Schiff verloren in den letzten 15 Jahren bereits fünf Menschen ihr Leben. Im Jahr 2005 verunglückten kurz hintereinander zwei Männer direkt beim Wrack. Im Juni 2008 kehrte ein Schweizer aus dem Kanton Aargau von einem Tauchgang mit drei Kollegen nicht zurück. Der letzte Unfall ereignete sich im Frühjahr 2015, als einem deutschen Taucher das Atemventil vereiste.
Sieben Minuten Zeit
„Solche Wracks sind immer ein Risikofaktor“, sagt Dennis Rösinger von der Wasserschutzpolizei direktion Bruchsal. Seine Abteilung ist für polizeiliche Taucheinsätze in ganz Baden-Württemberg verantwortlich. „Es ist vorstellbar, dass jemand über der Suche nach dem Schiff die Zeit aus den Augen verliert.“Bei einer Tauchtiefe von rund 40 Metern habe man vom Eintritt ins Wasser bis zum Beginn des Aufstiegs sieben Minuten Zeit. „Wird das überschritten, wird es gefährlich.“In solche Tiefen sollten laut Rösinger nur sehr erfahrene Taucher vordringen.
Eine Einschätzung, die Marcel Kuhn, Einsatzleiter und erfahrener Taucher der Kantonspolizei Thurgau, teilt. Beim Tauchgang zur „Jura“sei speziell, dass der Auf- und Abstieg jeweils im Freiwasser erfolge. Es gebe keine Fixpunkte wie ein nahes Ufer oder Ähnliches. Das sei aber nicht der einzige Grund für die vielen Vorfälle: „Rein statistisch gesehen geschehen da, wo viel getaucht wird, einfach mehr Unfälle.“
Der neuerliche Fall zeigt, dass auch Routiniers vor tödlichen Unglücken nicht gefeit sind. „Todesursache Nummer eins ist die Panik“, sagt Rösinger. Rund 80 Prozent aller Tauchunglücke seien darauf zurückzuführen. „Es reicht schon, dass eine Flosse nicht richtig sitzt oder eine andere Kleinigkeit stört. Wenn dazu die Sicht schlecht ist, die Kälte lähmt oder Sand aufgewirbelt wird, kann schnell die Orientierung verloren gehen. Gerade wenn man hektisch auf der Suche ist.“Dann setze ein „Teufelskreis“ein. In Panik erhöhe sich der Herzschlag und die Atemfrequenz.
Der Betroffene atme nicht mehr richtig aus. „Das führt dazu, dass verbrauchte Luft wieder eingeatmet wird. Die Kohlendioxidkonzentration im Blut nimmt zu, die des Sauerstoffs ab.“Es komme zur Ohnmacht. „Der bewusstlose Taucher verliert das Mundstück und atmet deshalb Wasser ein, sobald der Atemreflex einsetzt“, erläutert Rösinger.
Ganz zu vermeiden seien solche Unfälle nicht. Allerdings empfiehlt der Experte, Tauchgänge dieser Dimension nie allein anzutreten. „Ein Kollege kann immer helfen wenn sich jemand an einem Wrack verklemmt.“Mindestens aber könne er früh einen Notruf absetzen.
Gerammt vom „Teufelsschiff“
Der Schaufelraddampfer „Jura“wurde 1854 in der Züricher Maschinenfabrik Escher-Wyss gebaut. Er sank zehn Jahre später auf dem Weg von Konstanz nach Lindau bei einer Kollision mit der „Stadt Zürich“.
Am Bodensee war die „Jura“nur kurz im Einsatz, als Nachfolger der ebenfalls gesunkenen „Ludwig“. Kurioses Detail: Die „Ludwig“war auch von der „Stadt Zürich“auf den Grund befördert worden. Die erhielt darauf den wenig schmeichelhaften Spitznamen „Teufelsschiff“.
Bis zur ersten Entdeckung des „Jura“-Wracks vergingen beinahe 100 Jahre. 1953 fanden Taucher auf der Suche nach abgestürzten Weltkriegsflugzeugen die Überreste. Der Fund geriet allerdings in Vergessenheit, bis Hans Gerber die Stelle 1976 wiederentdeckte. Seither ist die „Jura“beliebtes Ziel bei Sporttauchern. Tauchcenter rund um den See bieten regelmäßig Touren zum versunkenen Raddampfer an.