Schwäbische Zeitung (Biberach)
Experten nennen Rentenpläne unbezahlbar
Versprechen der Regierung bringt laut Ökonomen Dutzende Milliarden Euro Zusatzkosten
BERLIN - Die Große Koalition hat sich auf die Stabilisierung von Rentenniveau und Beiträgen geeinigt, um steigende Altersarmut und die Überforderung der Arbeitnehmer zu verhindern. Experten vom MaxPlanck-Institut haben die Pläne durchgerechnet und kommen zum Ergebnis: Unbezahlbar! Sollten die beiden „Haltelinien“für Niveau und Beiträge wie geplant eingezogen werden, müssten bis 2035 schon 45 Milliarden Euro jährlich vom Steuerzahler zugeschossen werden, Tendenz dramatisch steigend. Sind stabile Renten unfinanzierbar? Hintergründe zu den Kosten der Alterssicherung und den Renten-Vorhaben der Großen Koalition.
Wie sehen die „Haltelinien“der GroKo bei der Rente aus?
Das Niveau der gesetzlichen Rente soll bis 2025 bei 48 Prozent gehalten werden. Das heißt, Rentner würden nach Abzug der Sozialabgaben 48 Prozent ihres Arbeitnehmerlohnes erhalten. Zugleich wird der Beitragssatz nicht über 20 Prozent steigen. Weil immer weniger Arbeitnehmer mehr Rentner finanzieren müssen, werden die Beiträge nicht ausreichen, die Lücke soll „mit Steuergeld“geschlossen werden. Ohne Eingriff ins System würde das Rentenniveau im Jahr 2023 unter 48 Prozent absinken. Bei den Beiträgen würde die Grenze von 20 Prozent zwei Jahre später gerissen.
Was würde die Stabilisierung des Rentenniveaus kosten?
Der führende Münchner Rentenexperte Axel Börsch-Supan hat es berechnet: Schon 2025 müssten elf Milliarden Euro zugeschossen werden. Fünf Jahre später läge die Lücke bei 45 Milliarden Euro. 2035 wären es 80 Milliarden Euro, 2048 dann 125 Milliarden Euro – pro Jahr. „Die Kosten sind unbezahlbar“, resümiert Börsch-Supan. Würde die doppelte Haltelinie etwa durch die Mehrwertsteuer finanziert, müsste diese von 19 auf 26 Prozent steigen, so die Experten vom Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik.
Wie reagiert die Große Koalition auf die Zahlen?
Die SPD will Kurs halten. Die neue Parteivorsitzende und Bundestagsfraktionschefin Andrea Nahles verteidigt das Vorhaben der doppelten Haltelinie. „Es ist etwas wert, stabile Renten zu sichern“, sagte sie. Deutschland sei stark genug, dies zu leisten. Der rentenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Ralf Kapschak, ergänzt: „Wenn Durchschnittsverdiener bei sinkendem Rentenniveau immer länger arbeiten müssen, um eine Rente oberhalb der Grundsicherung zu bekommen, schürt das Abstiegsängste.“Um dem zu begegnen, „ist es richtig, das Rentenniveau bei 48 Prozent zu stabilisieren“. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) kritisierte die Berechnungen
Börsch-Supans scharf. „Die genannten Zahlen stehen im luftleeren Raum und dienen dazu, Versicherte und Rentner gleichermaßen zu verunsichern“, sagte ein Sprecher Heils auf Nachfrage.
Berechnungen bis zum Jahr 2048 „entbehren jeglicher Grundlage“.
Unterstützt die Union die Haltelinien?
Obwohl im Koalitionsvertrag vereinbart, bahnt sich GroKo-Zoff über die
Stabilisierung des Rentenniveaus an. Die Haushaltspolitiker der Union sperren sich gegen Steuerzuschüsse. „Die vereinbarten neuen Rentenleistungen können nicht aus dem Bundeshaushalt über Steuermittel finanziert werden“, sagte Eckardt Rehberg (CDU), haushaltspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Um Steuererhöhungen oder Kürzungen im Bundeshaushalt zu vermeiden, müsse die Finanzierung der Rentenleistungen aus den Beiträgen der Rentenversicherung erfolgen. „Ich erwarte, dass sich Finanzminister Scholz und Sozialminister Heil entsprechend verständigen“, forderte Rehberg. Im Bundeshaushalt gebe es „keinen Spielraum“.
Wie wirkt sich die Ausweitung der Mütterrente aus?
Anders als die Haltelinien bei Niveau und Beiträgen würde die Ausweitung der Mütterrente schon in dieser Legislaturperiode 3,5 Milliarden Euro jährlich kosten Auch dafür sind keine Steuergelder im Koalitionsvertrag vorgesehen, sodass wohl die Beitragszahler einspringen müssen.
Wie geht es weiter?
Noch in diesem Frühjahr wird eine Rentenkommission unter Einbeziehung von Sozialpartnern, Wissenschaft und Politik eingesetzt, die für die Zeit nach 2025 die Grundlagen für einen „erneuerten, verlässlichen und tragfähigen Generationenvertrag“erarbeiten soll.