Schwäbische Zeitung (Biberach)
Zur Halbzeit ist die Stimmung im Keller
Nach zwei Jahren Grün-Schwarz denken manche Koalitionäre über Alternativen nach
STUTTGART - Frühling und Familienfeiern: Der Mai könnte so schön werden in der Landeshauptstadt Stuttgart. Doch kurz vor dem 70. Geburtstag des Landesvaters Winfried Kretschmann (Grüne) und dem zweiten Jahrestag der grün-schwarzen Regierung herrscht Katerstimmung in der Koalition. Das nutzen Opposition und CDU-interne Gegner des Bündnisses, um laut über Alternativen nachzudenken. Eine ernsthafte Option ist eine Koalition aus CDU, SPD und FDP aber aktuell wohl nicht.
Diese „Deutschland-Koalition“hätte derzeit im Landtag eine hauchdünne Mehrheit von zwei Stimmen. Ansonsten wäre abseits der aktuellen Regierung nur noch ein Dreierbündnis aus Grünen, SPD und FDP möglich, weil mit der AfD niemand koalieren will.
Seit Langem ist es ein offenes Geheimnis, dass sich die Fraktionschefs Wolfgang Reinhart (CDU), Andreas Stoch (SPD) und Hans-Ulrich Rülke (FDP) gut verstehen und regelmäßig gemeinsam essen. Doch öffentliche Flirts mit der CDU sind bislang ausgeblieben.
Laune des Terminkalenders
Nun aber ist die Stimmung zwischen Grünen und CDU auf ihrem bisherigen Tiefpunkt angelangt. Zunächst war da die kompromisslose Haltung der CDU-Fraktion beim Landtagswahlrecht, die sich gegen ihren eigenen Parteichef und stellvertretenden Regierungschef Thomas Strobl (CDU) stellte. Am Dienstag beerdigte man eine Reform endgültig, sehr zum Unmut vieler Grüner. Nur einen Tag später stand die Wahl einer neuen Landtagsvizepräsidentin für die CDU an. Eine reine Laune des Terminkalenders, die jedoch ihren Anteil am derzeitigen Streit hat.
Die Kandidatin Sabine Kurtz hatte sich mit ihrer scharfen Kritik am Bildungsplan der damaligen grünroten Regierung keine Freunde gemacht. Sie stellte sich zwar der Grünen-Fraktion vor, dort aber vermissten viele eine klare Distanzierung zu homophoben Kreisen. Damit nahm ein unglücklicher Tag weiter seinen Lauf. Kurtz brauchte bekanntlich zwei Wahlgänge und erreichte im zweiten gegen den AfD-Kandidaten Heiner Merz nur 71 Stimmen, dabei haben Grüne und CDU zusammen 86 Abgeordnete.
Die CDU wertet das als Affront, die Grünen als Gewissensentscheidung einiger Parlamentarier. Wichtig in der aktuellen Debatte ist aber das Wörtchen „einiger“. Denn obwohl dank geheimer Wahlen niemand sicher weiß, wessen Stimmen an Kurtz gingen: Aus Grünen-Kreisen wird kolportiert, „höchstens sechs Parlamentarier“hätten gegen Kurtz gestimmt. Das hieße, dass einige CDUler gegen die eigene Kandidatin gestimmt hätten. Davon gehen sogar viele CDU-Abgeordnete aus. Einerseits, weil Kurtz nicht sehr beliebt ist, andererseits, um den Konflikt mit den Grünen zu schüren. Die Rechnung „Je weniger Stimmen für die CDU-Kandidatin, desto größer der Streit“wäre damit aufgegangen.
Denn zum ersten Mal hatte das grün-schwarze Regierungsbündnis keine eigene Mehrheit. Anlass genug für FDP-Chef Hans-Ulrich Rülke, öffentlich seine Bereitschaft zu verkünden, über eine Regierungsbeteiligung zu verhandeln. Er habe den Eindruck, eine Mehrheit der CDUAbgeordneten sei für eine Regierung mit SPD und FDP. Auch der SPDFraktionsvorsitzende Andreas Stoch wollte eine solche Konstellation nicht ausschließen: „Wenn diese Regierung platzt, gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten: entweder Neuwahlen oder ein Dreierbündnis. Die SPD wird dann zu entscheiden haben, welche Lösung die beste für Baden-Württemberg ist“, sagte er. Seine Landeschefin Leni Breymaier ließ am Freitag direkt verlauten, was sie davon hält: „Die ,Deutschland-Koalition‘ ist eine Schnapsidee.“
Offizielle Treuebekundungen
Öffentlich steht die CDU-Fraktion weiter an der Seite der Grünen. „Wir stehen zu dieser Koalition. Die aktuell schwierige Situation muss überwunden werden. Wir müssen uns um die Probleme kümmern, die den Menschen unter den Nägeln brennen“, sagte etwa Fraktionsvize Winfried Mack am Freitag der „Schwäbischen Zeitung“. Allerdings schließen immer mehr CDU-Parlamentarier das Platzen der Koalition mit den Grünen nicht mehr aus. CDU-Regierungsmitglieder sprechen von „Führungskrise“in der eigenen Partei, andere Parlamentarier der Union haben bereits Pläne für den Fall, dass sich eine Mehrheit für den Putsch gegen Kretschmann findet. „Dann gehen mehrere von uns an die Öffentlichkeit und sagen, dass sie keinesfalls für ein neues Bündnis zur Verfügung stehen“, sagt einer. Damit wäre klar: Ein neuer CDU-Ministerpräsident könnte allenfalls mit Stimmen der AfD gewählt werden.
Als möglicher Kandidat für ein solches Manöver gilt der jetzige Fraktionschef Wolfgang Reinhart. Unklar ist, wie viel Unterstützung er hätte. Viele der jungen Abgeordneten würden ihm wohl nicht folgen, der Strobl-Vertraute Manuel Hagel gehört mit Sicherheit zu ihnen. Auch von mehreren CDU-Ministern weiß man, dass sie diesen Weg nicht mittragen. Damit fehlt einer „Deutschland-Koalition“aktuell eine Mehrheit. Dennoch: Von Frühlingsgefühlen ist Grün-Schwarz im Mai 2018 weit entfernt.