Schwäbische Zeitung (Biberach)
Die 800 Kilometer lange Fahrt zum Ich
Holger Schmidt fährt 30 Stunden am Stück Fahrrad und verbraucht dabei 25 000 Kalorien
KRAUCHENWIES - Holger Schmidt aus Krauchenwies steht vor dem härtesten Radrennen seines Lebens: Der 40-jährige Extremsportler möchte in Italien an diesem Wochenende beim „Race across italy“nicht nur 800 Kilometer am Stück bewältigen, auf ihn warten zusätzlich noch rund 10 000 Höhenmeter. Wie bereitet sich Holger Schmidt vor? Wie viel muss er während des Rennens essen? Und wie bewältigt er das Rennen mental? Holger Schmidt hat Michael Hescheler Antworten auf diese Fragen gegeben.
Die Sportlerkarriere:
Holger Schmidt kommt aus dem Ultra-Running. Das heißt: Er hängte schon mehrfach mehrere Marathons hintereinander und das mit Vorliebe im Gebirge. Sein bislang anspruchsvollstes Rennen: 128 Kilometer und dazu 7500 Meter Anstieg. „Das muss man mögen“, sagt der Extremsportler, der ein Rennen nie zweimal läuft oder fährt. Seines Hobbys wegen hat der Technische Redakteur Krauchenwies 2006 verlassen. „Ich wollte immer in die Berge.“Zwischenzeitlich lebt er in der Nähe von Zürich.
Die Vorbereitung:
In den vergangenen Monaten ist Holger Schmidt oft morgens über weite Umwege (40 Kilometer) ins Büro gefahren und abends über noch weitere Umwege zurück. Dazu natürlich die langen Trainings am Wochenende. „Ich habe meinen Körper an kurze Regenerationszeiten gewöhnt“, sagt er. Der Trainingsumfang pro Woche: rund 250 Kilometer, dazu 6000 bis 8000 Höhenmeter. Da die Alpenkette und das Appenzeller Land quasi vor Schmidts Haustür liegen, eignet sich das Gebiet zu Klettertouren mit dem Fahrrad. Dazu macht Schmidt Kraftund Fitnesstraining sowie Yoga. Schmidt fährt nicht zum ersten Mal ein Rennen in derartigen Schwierigkeitsgraden: 2017 waren das der „Glocknerman“in Österreich mit 450 Kilometern und 8000 Höhenmetern (vierter Platz), „Ultra3Confini“in Italien mit 345 Kilometern und 6800 Höhenmetern (Gewinner), „Tortour“in der Schweiz mit 1001 Kilometern und 13 000 Höhenmetern im Viererteam (sein Anteil waren dabei 425 Kilometer).
Der Rennverlauf:
Start ist an der Ostküste, über die Abruzzen geht es an die Westküste und über eine Schleife und die Abruzzen zurück an den Startort. Start und Ziel ist in der Nähe von Pescara. Die Fahrer sind auf sich allein gestellt: Im Windschatten zu fahren, zieht eine Disqualifikation nach sich. Angemeldet sind knapp 100 Fahrer. Die Ausfallquote ist erfahrungsgemäß sehr hoch, etwa die Hälfte der Fahrer wird wohl aufgeben.
Die Begleiter:
Ein dreiköpfiges Team begleitet Holger Schmidt. „Ein Teammitglied schaut danach, dass ich genügend esse und trinke.“Während des Rennens verbrennt er etwa 25 000 Kalorien, die in überlegter Form wieder zugeführt werden müssen. Dies geschieht neben der üblichen Sportlernahrung über Pasta, Pizza, Sandwiches und andere kohlenhydrathaltige Nahrung. Doch Nahrung ist längst nicht alles: Pannen müssen eingeplant werden, die nötigen Ersatzteile, schlechtes Wetter und so weiter.
Zum Begleittross zählen: seine Freundin, die Triathletin auf der Langdistanz ist, und seine Schwester Rebecca Gerrer aus Krauchenwies sowie ein weiterer Freund aus Baden-Baden.
Die Emotionen:
Holger Schmidt spricht von einem „Kampf gegen sich selbst – eine Reise ins Ich“, was er in jedem Rennen aufs Neue auf sich nimmt. „Dies braucht eine enorme Fokussierung.“Was ein Extremsportler während des Rennens durchmacht, lässt sich kaum beschreiben. Er habe gelernt, die Tiefen zu managen, um sich wieder neu fokussieren zu können, so Schmidt. Nach einem Tief folgt immer ein Hoch. „Da kann es durchaus passieren, dass man anfängt zu heulen, weil es so schön ist“, sagt der Sportler.
Das Ziel:
Holger Schmidt geht es nicht allein darum, das Ziel zu erreichen: Er hat ein anspruchsvolles Ziel: Die 800 Kilometer will er in 30 bis 32 Stunden schaffen. „Vieles hängt von der Tagesform ab.“Sollte er sein Ziel erreichen, käme er unter die Top Fünf. Der Zieleinlauf schließt nach 42 Stunden, das ist das Limit, das die Teilnehmer beim „Race across Italy“schaffen müssen.
Nach dem Rennen:
„Es gibt schon noch Herausforderungen“, sagt Holger Schmidt. Das „Race around Austria“, Dolomiten-Extreme, eine Island-Umrundung oder das Rennen „Race Across America“, das von der West- zur Ostküste verläuft und knapp 4800 Kilometer lang ist. Die Zahl der Höhenmeter: 52 000. Da die Startgebühren allerdings bei knapp 100 000 Dollar liegen, kommt das heftigste Rennen der Welt für den Extremsportler nicht infrage.