Schwäbische Zeitung (Biberach)
Mehr digitalen Mut wagen
Wenn dieser Tage auf den Gängen und in den Büros von Behörden, Unternehmen und Organisationen von Datenschutz die Rede ist, dann geht es höchstwahrscheinlich um ein Gesetz namens Europäische Datenschutzgrundverordnung, kurz EU-DSGVO. Ein Gesetz, das ab 25. Mai europaweit neu regelt, wie und unter welchen Bedingungen die Daten von Bürgern gespeichert und verarbeitet werden dürfen. Die EU-DSGVO sorgt für viel Arbeit, weil sie hohe Anforderungen an Unternehmen stellt. Sie löst deshalb viel Kopfschütteln aus, mancherorts gar Panik. Fraglos, diese Verordnung ist nicht perfekt. Doch sie ist ein Gesetz, das in den 28 EUStaaten dieselben hohen Datenschutzstandards etabliert. Und sie kann, wenn die maßgeblichen Politiker es klug anstellen, ein Meilenstein sein – auf dem Weg zu einer digitalen europäischen Grundrechtecharta.
Eine solche Charta liegt schon bereit. Eine Gruppe digitaler Vordenker hat sie 2016 formuliert, 2018 wurde die Charta ergänzt. Ihre 18 Artikel beinhalten die unverbrüchlichen Rechte, auf die jeder Mensch im digitalen Zeitalter Anspruch haben soll: vom Recht auf Menschenwürde, die von keiner technischen Entwicklung beeinträchtigt werden darf – bis zum Recht darauf, dass über Leben und Tod letztlich immer Menschen entscheiden müssen, nie Algorithmen.
Das EU-Parlament und Europas Regierungen sollten die Charta baldmöglichst aufgreifen, intensiv und mit starker Beteiligung der Bürger diskutieren – und sie dann als völkerrechtlichen Vertrag verabschieden. Dann könnte sich jeder EU-Bürger vor Gericht darauf berufen.
Eine digitale Grundrechtecharta wäre der Schutzanzug, den Europas Bürger im digitalen Zeitalter brauchen. Der sie schützt vor Konzernen, die ihm die Privatsphäre rauben möchten; vor Staaten, die Freiheitsrechte kastrieren, um absolute Sicherheit vorzugaukeln; vor CyberKriminellen, die Strom- oder Wasserversorgung sabotieren. Sie kann den Bürgern Europas viel Angst vor der Zukunft nehmen – und ihnen dabei helfen, mehr digitalen Mut zu wagen.