Schwäbische Zeitung (Biberach)
Alle wollen den Star aus dem Nichts
Bayern macht offenbar Ernst im Poker um Stuttgarts Benjamin Pavard – dort könnte er einen Weltmeister ersetzen
SAMARA (SID/zak) - Benjamin Pavard kann die Tränen kaum zurückhalten. Immer wieder reibt er sich die Augen und beißt auf die Unterlippe. Die warmen und stolzen Worte seiner Eltern in ihrer Video-Grußbotschaft nach seinem Traumtor gegen Argentinien bringen den Verteidiger im TV-Studio ins Wanken. Der Abwehrchef des VfB Stuttgart ist noch nicht so abgebrüht wie andere, aber genau das macht ihn zum neuen Liebling der Franzosen.
Auch der FC Bayern ist offenbar ganz vernarrt in „Benji“. Laut „SportBild“soll der 22-Jährige im Sommer 2019 zum Rekordmeister nach München wechseln. Derzeit würde der Club den Transfer vorbereiten, für 35 Millionen Euro könne Pavard in einem Jahr aus dem bis 2021 laufenden Vertrag beim VfB herausgekauft werden – wegen einer Ausstiegsklausel. Um mehr als einen ersten Versuch dürfte es sich dabei aber nicht handeln, obschon die Bayern offenbar auf der Suche nach Ersatz für ihren deutschen Nationalspieler Jérôme Boateng sind. Der 29-Jährige will und soll offenbar gehen, Karl-Heinz Rummenigge deutete an, man lege dem Weltmeister keine Steine in den Weg. Angeblich buhlen nicht nur diverse englische Clubs, sondern auch Juventus Turin um den Deutschen. Der Weg für Pavard könnte also frei werden – allerdings dürfte auch sein Berater derzeit zahllose Telefonate mit Premier-League-Clubs führen.
In Stuttgart wissen sie längst, dass ihr Juwel durch die famosen WMAuftritte höchstens noch eine Saison zu halten ist, zumal der polyvalente, vielfach einsetzbare Pavard zeigte, dass er nicht nur innen, sondern auch rechts spielen kann. In Stuttgart hat er auch schon im defensiven Mittelfeld überzeugt. Einen Wechsel in der laufenden Transferperiode schließt VfB-Sportchef Michael Reschke aber bislang aus: „Wir verzichten gerne auf sehr viel Geld, wenn er dafür noch ein weiteres Jahr bei uns spielt.“Man wolle Benjamin „auch emotional“von dieser Lösung überzeugen.
Das könnte ein schwieriges Unterfangen werden. Nicht, weil es Pavard zuzutrauen wäre, einen Wechsel à la Ousmane Dembele oder Pierre-Emerick Aubameyang notfalls zu erzwingen. Der Franzose, der erst im November sein Debüt für die Equipe Tricolore gegeben hat, spürt in Russland, dass die WM-Bühne eben keineswegs zu groß für ihn ist. Dass er einen Giganten wie Lionel Messi auf seiner Abwehrseite in Schach halten kann. Zudem hat er gegen Argentinien vielleicht das bis dato schönste Tor des Turniers geschossen.
Schon vor der WM hatte Pavard mit einem Wechsel geliebäugelt. „Ich will Champions League spielen, ganz klar“, sagte er: „Wenn ich verspreche, dass ich in Stuttgart bleibe und es dann nicht tue, werden mich die Fans auf dieser Welt nicht mehr mögen.“
Wie dem auch sei: Der VfB hat alle Trümpfe in der Hand. Gut möglich, dass nach der WM ein 60-MillionenAngebot aus England hereinflattert, Bayern müsste dann nachziehen und Reschke genau abwägen, ob er die Differenz von 25 Millionen wegen eines Jahres verlieren will. Zumal sich Pavard natürlich wie jeder Fußballer noch schwer verletzen könnte.
Auf Thurams Spuren
Der Aufstieg des Franzosen, der vor zwei Jahren für 4,5 Millionen Euro aus Lille zum VfB kam, verblüfft. „Er kommt aus dem Nichts“, sagt Starstürmer Antoine Griezmann über den Kollegen. Weil Djibril Sidibe, der eigentlich Frankreichs rechte Seite beackert, nach einer Verletzung lange ausfiel, hatte Nationaltrainer Didier Deschamps den Plan mit Pavard ausgetüftelt. Er ging mehr als auf. Auch im Viertelfinale am Freitag (16 Uhr/ZDF) in Nischni Nowgorod gegen Uruguay ist Pavard gesetzt.
Deschamps habe ihm gesagt, „dass ich ihn an Lilian Thuram erinnert habe“, sagte Pavard: „Ich hoffe, ich kann es ihm gleichtun.“Thuram hatte vor Pavard das letzte Tor eines französischen Verteidigers bei einer WM (1998) erzielt – und ist anschließend Weltmeister geworden.
Von der WM-Krone träumt natürlich auch Benjamin Pavard. Dann wird er die Freudentränen sicher nicht mehr zurückhalten können.