Schwäbische Zeitung (Biberach)
In den großen Ferien ...
„In den kommenden großen Ferien haben wir unnachahmliche Dinge vor. Wir möchten einige Dinge unternehmen, die wir bis jetzt noch nie unternommen haben. Wir wollen uns zum Beispiel von unserem Land und unserer Zeit verabschieden. Wir stimmen mit beiden nicht mehr so ganz überein. Es tut uns leid, aber die Jahre sind dahin. Gut. In den großen Ferien werden wir natürlich auch einen alten Wald bewundern und uns vorsichtig einem dunklen See nähern. Und endlich ein dickes Buch, das wir schon immer zu Ende lesen wollten, zu Ende lesen. Niemand soll uns erreichen, wir haben uns vorgenommen, Haken zu schlagen und wollen ständig unsere Spuren verwischen. Und eine Sprache sprechen, die uns nicht verrät, nicht mal eine weiße Fahne werden wir mitführen. In den großen Ferien wollen wir ein Narrenschiff stehlen. Natürlich ein lächerliches Ruderboot und werden so weit aufs Meer hinausfahren, dass niemand unser Weinen hört. Manchmal nachts, wenn wir der Widersprüche nicht Herr werden in den großen Ferien, wollen wir einen Segelflieger bitten, uns hinaufzufliegen, dass wir einmal die Erde ohne uns sehen. In den großen Ferien werden wir natürlich auch eine Eisdiele besuchen. Einen Zoo, eine alte gemütliche Kirche und eine Tropfsteinhöhle wie das so üblich ist. Aber wer uns nach Land und Zeit fragt, nach Antworten und Lösungen, nach Vergangenheit und Zukunft, dem wollen wir in den großen Ferien einen Kuß auf die Stirn geben, denn so heilig und so fehlerlos wollen wir in den großen Ferien nicht sein. In den großen Ferien möchten wir fröhlich sein und eine Geschichte der Gleichgültigkeit schreiben. Und wenn wir nach wenigen Wochen zurückkehren müssen, wird es, denken wir, früh genug sein, sich dann den staatlichen Aufsichtsbehörden und einer vernunftbegabten Gesellschaft wieder zu stellen.
Wenn nichts dazwischenkommt.“Der große Kabarettist und leider schon verstorbene Theopoet Hanns Dieter Hüsch malt mit diesen Worten ein schönes Bild von den Ferien und der Urlaubszeit.
In der Ferienzeit spüren wir die Sehnsucht in uns besonders stark, die unsere Aufmerksamkeit weglenkt vom Alltäglichen an andere Orte und Plätze. Wir wollen Abstand gewinnen von dem, was uns täglich umgibt und umtreibt.
Der Sehnsucht wegen brechen wir immer wieder auf zu neuen Ufern, geben uns nicht zufrieden mit dem, was ist, verlassen eingefahrene Gleise und probieren Neues aus.
Andere Plätze, andere Luft, ein anderer Zungenschlag, Essen, das anders schmeckt, als wir es gewohnt sind, üben eine große Faszination auf uns aus.
Doch fühlen wir uns von dieser Sehnsucht, einmal anderes zu erleben, auch getrieben. Sie ist Last und Lust zugleich.
Denn auch im Urlaub bleibt ein Rest dieser Sehnsucht nach Ruhe, Freiheit und einfach nur Menschsein ungestillt – nicht nur, weil wir wissen, dass wir wieder zurückgehen müssen und uns wieder der Verantwortung bei der Arbeit oder in der Familie oder wo auch immer stellen müssen, sondern, weil wir auch spüren, dass wir diese innere Unruhe nie ganz loswerden.
Der Kirchenvater Augustinus hat diesen Zustand in diesem Satz zusammengefasst: „Unruhig ist mein Herz, bis es ruht in dir, mein Gott.“
Der Blick im Urlaub über die unendliche Weite, die wärmenden Sonnenstrahlen auf der Haut und das wohlige Gefühl im Bauch lassen uns dennoch ahnen, dass es einen Ort gibt, an dem unsere Unruhe ein Ziel findet, an dem unsere Sehnsucht für immer gestillt ist und wirklich nichts mehr dazwischenkommt.