Schwäbische Zeitung (Biberach)
Ein „klarer Charakter“im Kampf gegen die Nazis
Bischof Joannes Baptista Sproll aus Schweinhausen bei Biberach musste 1938 seine Diözese Rottenburg verlassen und ins Exil gehen
Mit der Verbannung eines ihrer heftigsten und wortmächtigsten Gegner, des Bischofs von Rottenburg, Joannes Baptista Sproll, erreichen die Nationalsozialisten im August 1938, vor genau 80 Jahren, ihr Ziel: Der beliebte Oberhirte muss seine Diözese verlassen. Eine Odyssee über 30 Stationen in Süddeutschland beginnt. Als Sproll nach Ende des Krieges nach Rottenburg heimkehren kann, ist er von schwerer Krankheit gezeichnet und stirbt vier Jahre später. Heute ist Sproll, der „schwäbische Bekennerbischof“, deutlich weniger bekannt als Clemens August Graf von Galen, der damalige Bischof von Münster und spätere Kardinal. Sprolls Nachfolger im Amt als Diözesanbischof von Rottenburg-Stuttgart, Gebhard Fürst, will Sproll stärker ins Licht der Öffentlichkeit rücken. Und Fürst forciert den Seligsprechungsprozess für Sproll.
Der aus dem Ostalbkreis stammende und jetzt an der Universität Münster lehrende Kirchenhistoriker Hubert Wolf attestiert Sproll einen „klaren Charakter“: „Diesen klaren Charakter hat er auch in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus gezeigt.“Allerdings nicht sofort. Wolf: „ Sproll war 1933 durchaus der Meinung, dass man die Nationalsozialisten irgendwie katholisch einbinden könnte, vielleicht könnte man sie taufen, vielleicht könnte man gemeinsam mit den Nazis gegen Kommunisten und Sozialisten arbeiten. Vielleicht könnte man den besseren Teil des Nationalsozialismus unterstützen und den schlechten Teil, also Rosenberg und andere Ideologen, bekämpfen.“
Doch schnell erkennt Sproll, dass sich die Ziele des Nationalsozialismus nicht mit christlichen Werten vereinbaren lassen: Mutig und offen predigt er daher gegen die Nationalsozialisten an – und bezeichnet die NS-Ideologie als eine „Religion des Blutes und der Rasse“, in deren Angesicht man keineswegs schweigen dürfe: „Täten wir das, dann wären wir keine wachsamen Hirten, sondern schlafende Wächter.“Sproll kritisiert Euthanasieprogramme, Rassenwahn und die Kirchen- und Religionsfeindlichkeit des Regimes.
Zehntausende hören Sproll bei Jugendtagen
Der Kirchenhistoriker Wolf erklärt Sprolls Strategie: „Nun benutzt er, relativ modern, sowohl die Presse als auch vor allem Veranstaltungen, um seine Position deutlich zu machen. Er lädt ein zu Jugendtagen, in Weingarten, Ellwangen und Rottweil, jeweils 20 000 bis 30 000 junge Leute kommen dort zusammen. Denen sagte er in ganz klaren Worten, dass das Christentum mit dieser ,Blutreligion’, dieser arischen Ersatzreligion nichts gemein haben könne.“
Schon im März 1935 ruft Sproll in einer Predigt in Weingarten aus: „Die heftigsten Gegner des Christentums dürfen in aller Öffentlichkeit reden; die Verteidiger werden in ihrer Redefreiheit beschränkt. (…) Da kann für uns nur die Parole gelten: Gott und Christus und Kirche! Wir stehen in Treue fest zu dem, was wir unser Leben lang geglaubt und bekannt haben. Und wo wir den Geist des Antichristentums verspüren, da sind wir nicht dabei.“
Als Sproll bei der Volksabstimmung zur Angliederung Österreichs und gleichzeitiger Zustimmung zum „Großdeutschen Reichstag“mit der „Liste unseres Führers“am 10. April 1938 die Stimmabgabe verweigert, ist das Maß voll. In Rottenburg werden am 18. April 1938 die ersten Fenster am Bischofspalais eingeworfen. Am 23. Juli 1938 zieht die Partei aus dem Umkreis von 50 Kilometern 3000 Nazis zusammen. Es wird ein Feuer vor dem Gebäude entfacht, Feuerwerkskörper werden gezündet. Dazu werden Sprechchöre skandiert: „Schwarzer Zigeuner! Volksverräter! Heraus mit dem Lumpen!“Anschließend stemmt der Mob Fensterläden auf und sprengt Türfüllungen. Einige Personen dringen in die Kapelle ein, wo Bischof Sproll mit Erzbischof Conrad Gröber aus Freiburg vor dem Allerheiligsten betet. 20 Personen halten sich etwa eine Viertelstunde lang in der Kapelle auf, zum Teil mit brennenden Zigaretten im Mund und Mütze auf dem Kopf.
Am 24. August 1938 weist die Gestapo Sproll aus
Am 19. August 1938 teilt Reichskirchenminister Hanns Kerrl über den Vorsitzenden der Bischofskonferenz Joannes Baptista Sproll das Aufenthaltsverbot für Württemberg mit. Am 24. August 1938 weist die Gestapo Sproll aus dem Gebiet Rottenburg und Hohenzollern aus. Stationen seiner Flucht sind unter anderem Freiburg, Bad Dürrheim, Donaueschingen, Konstanz, Lindau, München, Bad Wörishofen, St. Ottilien (zwei Jahre) und Krumbad (vier Jahre).
Dem aus Schweinhausen bei Biberach aus ärmlichen Verhältnissen stammenden, am 2. Oktober 1870 geborenen Sproll – der Vater war Straßenwärter, die Familie hatte 14 Kinder – wurde der Weg ins Bischofsamt nicht an der Wiege gesungen. Nach der Lateinschule in Biberach und dem Gymnasium in Ehingen folgte das Theologiestudium in Tübingen. In der Diözese Rottenburg erkannten die Vorgesetzten schnell die Begabungen Sprolls. Am 16. Juli 1895 wurde er zum Priester geweiht, die Promotion folgte. Nach nur drei Jahren als Pfarrer in Kirchen bei Ehingen wurde Sproll 1912 ins Domkapitel berufen. Das Amt des Generalvikars der Diözese übernahm er ein
Jahr später. Am 18. Juni 1916 zum Weihbischof geweiht, gehörte Sproll nach der Revolution von 1918 in den Jahren 1919/1920 der verfassungsgebenden Landesversammlung Württembergs an. Anders als viele Mitbrüder im Oberklerus war er Demokrat. 1927 wurde er zum siebten Bischof der Diözese Rottenburg ernannt und wählte den Wahlspruch „Fortiter in fide – Tapfer im Glauben“.
Zeit seines Lebens bleibt Sproll seiner schwäbischen
Heimat verbunden, gilt als volkstümlicher Seelsorger. Und er bleibt dem Schwäbischen auch in seiner Sprache treu. Einem Priester, der sich rühmt, keine Feinde zu haben, sagt Bischof Sproll: „Wenn Se ema Johr koine Feind hend, miesset Se an a andere Stell“. Einem anderen, der jammert, dass seine Pfarrei geradezu ein Martyrium sei, gibt er mit auf den Weg: „Gott sei Dank, noach krieget mr en Märtyrer, mir hand sowieso no koin en onserer Diözese.“
Kardinal Walter Kasper, Nachfolger Sprolls von 1989 bis 1999, sagte schon 2005 dem kritisch-katholischen Magazin „Publik Forum“, Sproll habe „in klarer Erkenntnis des antichristlichen Charakters des Regimes sich so früh und so beharrlich wie kein anderer deutscher Bischof gegen die kirchenfeindliche Agitation“der Nazis gewehrt. Mit vielen Kundgebungen, auf denen er vor der Christentumsfeindlichkeit, dem Rassismus und Antisemitismus der Machthaber warnte, habe er „die Nazis bis aufs Blut gereizt“. Doch „weder die deutschen Bischöfe noch der Vatikan noch die Mitarbeiter im Domkapitel“hätten den Kurs des politisch erfahrenen Bischofs gestützt.
Zweimal reist der Hitler gegenüber mild eingestellte päpstliche Nuntius Cesare Orsenigo aus Berlin zu dem verbannten Bischof Sproll ins Exil im Krumbad bei Memmingen, um ihn zum Rücktritt zu überreden.
Der Nuntius erlebt zwar einen gesundheitlich stark angeschlagenen Bischof, aber der hält unbeugsam an seinem Amt fest. Der Kirchendiplomat scheitert am eisernen Willen des Bekennerbischofs. Er bleibt erfolglos. Orsenigo sieht es als Niederlage an, Sproll als Glaubensprüfung. „I bleib Bischof in Rottenburg“, entgegnet Sproll, der dickschädelige Oberschwabe.
Und er regiert tatsächlich weiter, aus dem Exil: Der Generalvikar besucht Sproll regelmäßig in Krumbad und holt sich Weisungen. Der Weihbischof vollzieht die Weihehandlungen. Sproll verfasst Hirtenbriefe, in denen er sich an die Gläubigen wendet. Immer wieder suchen ihn Jugendliche mit dem Fahrrad, die teilweise auch als Kuriere fungierten, in Krumbad auf. Von dort kehrte der von einer Nervenerkrankung schwer gezeichnete Bischof nach Kriegsende am 12. Juli 1945 als knapp 75-Jähriger in seine Diözese zurück. Weil er wegen seiner Krankheit nicht mehr gehen kann, muss er auf einem eigens für ihn konstruierten Stuhl in den Rottenburger Dom getragen werden – der Einzug dort gerät zu einem Triumphzug.
Erstaunlicherweise, so sieht es Bischof Gebhard Fürst, seien Sprolls Name und Zeugnis außerhalb der Diözese Rottenburg-Stuttgart bis heute nur wenig im Bewusstsein geblieben. Über Sprolls Leben liege „so etwas wie ein Schatten des Verkanntwerdens und der Einsamkeit“. Dies sei umso bemerkenswerter als Bischof Joannes Baptista Sproll neben dem längst selig gesprochenen Münsteraner Kardinal Clemens August von Galen der Einzige gewesen sei, der den nationalsozialistischen Machthabern öffentlich, eindeutig und entschieden die Stirn geboten habe. Und, erinnert Fürst: „Er war der Einzige, der damals seine Diözese verlassen und ins Exil gehen musste.“
„Wo wir den Geist des Antichristentums verspüren, da sind wir nicht dabei.“Bischof Joannes Baptista Sproll zur Ideologie der Nazis
„Über seinem Leben liegt ein Schatten des Verkanntwerdens und der Einsamkeit.“Der Rottenburger Bischof Gebhard Fürst über seinen Vorgänger