Schwäbische Zeitung (Biberach)
Sprachakrobaten
Es kommt nicht oft vor, dass wir uns nicht mehr anders zu helfen wissen, als uns auf die Heilige Schrift zu berufen. Im MatthäusEvangelium heißt es unter Punkt 5, 37 ausdrücklich: „Eure Rede aber sei: ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Übel.“Diese Aussage stammt von keinem Geringeren als Jesus. In seiner berühmten Bergpredigt hat er damit deutlich gemacht, dass er klare Ansagen bevorzugt. Was daran ist so schwer zu verstehen?
Wir wissen nicht, wer mit dem Unsinn angefangen hat, aber seit längerer Zeit werden die Dinge nicht mehr bei ihren Namen genannt, sondern durch hanebüchene Umschreibungen unkenntlich gemacht. Es handelt sich hier um heimtückische Attacken auf die Umgangssprache.
Aus der fruchtlosen Diskussion, ob wir es in Chemnitz mit einer „Hetzjagd“oder nur mit „Jagdszenen“zu tun hatten, ist überraschend ein Dresdner Politologe namens Werner Patzelt als Sieger hervorgegangen. Der Mann hat dem Neonazi, der in einem bundesweit bekannt gewordenen Video auf einen vermeintlichen Ausländer zustürmt, „Nacheileverhalten“ bescheinigt. Das legt die Vermutung nahe, dass Patzelt Brandanschläge als „Aufwärmübungen“bezeichnen würde. Als um die deutsche Sprache besorgte Bürger fordern wir ein neues Gesetz: Wer Wörter verbiegt, Sätze verhunzt und Sprache vergewaltigt, wird mit dem täglichen Verzehr von Buchstabensuppe nicht unter vier Monaten bestraft. Als Sofortmaßnahme soll Patzelt Schillers „Glocke“auswendig lernen und fehlerfrei in voller Länge in der Tagesschau vortragen. (hü)