Schwäbische Zeitung (Biberach)
„Seehofer stärkt das rechte Spektrum“
Fall Maaßen hat nach Ansicht der Ulmer SPD-Politikerin Hilde Mattheis Schäden hinterlassen
RAVENSBURG - Die Entscheidung der Bundesregierung, die Beförderung von Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen zurückzunehmen, sei zwar gut – doch so lange Horst Seehofer (CSU) Innenminister ist, sei Regierungsarbeit für die Große Koalition nur schwer möglich. Das sagte die Ulmer SPD-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende der Demokratischen Linken 21, Hilde Mattheis, im Gespräch mit Daniel Hadrys.
Frau Mattheis, die Große Koalition hat sich im Fall Maaßen geeinigt, die Bundeskanzlerin hat sich entschuldigt. Sind Sie zufrieden?
Es ist sehr gut, dass eine politische Entscheidung korrigiert wurde: Jemand, der Fehler gemacht hat, sollte nicht zwei Gehaltsstufen herauffallen. Das Thema Maaßen ist nun nicht mehr vorrangig. Einige finden zwar, er hätte sofort den Dienst quittieren müssen. Dann hätte er allerdings weiter Bezüge bekommen. Insofern ist diese Lösung die bestmögliche in der jetzigen Situation.
Gehen Sie davon aus, dass die Bundesregierung nun anfängt zu regieren anstatt zu streiten?
Ich glaube, die SPD regiert und Innenminister Seehofer versucht bei jeder Gelegenheit, zu zündeln. Er hat nicht begriffen, dass er damit die gesamte Große Koalition gefährdet. Meine Bedenken sind daher nicht kleiner geworden, sondern eher größer. Seehofer hat sich für dieses Amt nicht als tauglich erwiesen.
Wie sollte die Bundeskanzlerin mit Horst Seehofer umgehen?
Ein Minister, der so hochgradig die Koalitionsparteien immer wieder vom Arbeiten abhält und im politischen Koordinatensystem immer weiter nach rechts zieht, ist eine Zumutung. Die CSU muss sich intensiv etwas überlegen, aber auch die Schwesterpartei CDU. Auch für die SPD wird irgendwann die Schmerzgrenze erreicht sein – für mich ist sie das bereits. Jemand, der den rechten Rand bedient, ist in meinen Augen als Innenminister nicht geeignet. Seehofer sollte den Staat schützen, stärkt aber das rechte Spektrum. Das macht mir große Sorgen.
Wie wollen Sie nach diesem Streit bei der nächsten Wahl die Bürger davon überzeugen, SPD zu wählen, und nicht eine der Protestparteien?
Wir als SPD müssen uns strategisch neu aufstellen. Das ist auch Aufgabe für die führenden Köpfe meiner Partei. Meine These war bereits nach der Bundestagswahl 2017 und ist es immer noch, dass Erneuerung nicht sehr gut in einer neuen Großen Koalition funktioniert, sondern besser in der Opposition. Wenn wir ständig von Herrn Seehofer durch einen Flaschenhals gezogen werden, werden unsere Erfolgswerte und unsere Darstellung nach Außen immer schwie
riger. Nach der Bayernwahl braucht auch die Koalition eine andere Aufstellung. Die C-Parteien müssen sich viele Gedanken machen, ob sie mit dem Personal wirklich noch nach
vorne arbeiten können.
Wie kann es gelingen, den Bürgern zu zeigen, dass dieses Bündnis auch zur Sacharbeit fähig ist?
ist eine Entscheidung für das Spitzenpersonal der SPD. Ich hätte mir an vielen Stellen eine klare sozialdemokratische Botschaft gewünscht. Ein Bewegen von Kompromiss zu Kompromiss gibt uns nicht das Profil, das wir brauchen.
Kommen andere Themen überhaupt noch bei den Bürgern an? Oder überstrahlt dieser Streit alles?
Nach solchen Geschichten, wie wir sie letzte Woche erlebt haben, wird es immer schwieriger, mit Sachthemen durchzudringen. Alle Appelle, zur Sacharbeit zurückzukehren, scheitern an einem Innenminister Seehofer, der uns auch die Asyldebatte beschert hat. Wir sind weit entfernt von den Zahlen an Asylbewerbern, wie wir sie 2015 hatten. Uns dann so eine Debatte aufzudrängen, nur um politisch punkten zu wollen, ist ein Irrwitz. Schlimmer geht es nicht.
Beim Asylstreit vor wenigen Monaten stand die Große Koalition vor dem Ende. Jetzt war sie erneut kurz davor. Hält das Bündnis Ihrer Einschätzung nach die kommenden drei Jahre?
Ich schaue nicht in die Glaskugel, die wird mir nichts sagen. Ich befürchte, dass die Chancen mit diesem Innenminister schrumpfen.
Welche Konstellationen können Sie sich stattdessen vorstellen?
Man darf vor neuen Konstellationen keine Angst haben. Die Große Koalition hätte laut neuesten Umfragen nicht einmal eine Mehrheit. Man braucht daher ein Ausstiegsszenario. Ich habe schon damals für eine Minderheitsregierung plädiert, in der Frau Merkel sich Mehrheiten suchen muss. Nach all dem, was in einem Jahr passiert ist, wird auch die AfD immer stärker. Wir als SPD stehen am Abgrund – oder sind sogar schon einen Schritt weiter. Als SPD brauchen wir daher eine klare Vision davon, dass es in anderen Konstellationen eine bessere Politik für die Menschen geben kann. Diese Alternative ist für mich nach wie vor RotRot-Grün. Dieses Bündnis könnte wieder eine Perspektive für linke Politik in diesem Land geben.