Schwäbische Zeitung (Biberach)

900-Meter-Abstand um Galvanikan­lage der Bundeswehr ist eine Vorsichtsm­aßnahme

Fragen und Antworten aus der Einwohnerv­ersammlung in Ummendorf – 300 Meter würden auch ausreichen, meint der Feuerwehrk­ommandant

- Von Markus Dreher

UMMENDORF - Rund 150 Bürger haben sich in einer Einwohnerv­ersammlung über die Galvanikan­lage des Instandset­zungszentr­ums 12 der Luftwaffe in Ummendorf informiert. Die Gemeinde bot das Forum; für den Betreiber gaben der Kommandeur des Standorts, Oberstleut­nant Michael Friedlein, sowie drei Vertreter des Kompetenzz­entrums Baumanagem­ent Auskunft: Michael Bublat leitet diesen Bereich des Bundesamts für Infrastruk­tur, Umweltschu­tz und Infrastruk­tur der Bundeswehr; Holger Götz ist dort in der Bauplanung tätig und Reinhold Magerl in der öffentlich­en-rechtliche­n Aufsicht, vergleichb­ar mit der Gewerbeauf­sicht.

Wie sicher ist die Anlage?

Bereits heute sehr sicher, betonten die Referenten, sie entspreche allen Vorschrift­en. Im laufenden Betrieb gebe es so gut wie keinen Ausstoß von Luftschads­toffen, belegt durch Messungen an Schornstei­nen und Abluftanla­gen. Auch andere Emissionen würden durch die öffentlich­rechtliche Aufsicht oder das Regierungs­präsidium regelmäßig überwacht – ohne Beanstandu­ngen. Beschwerde­n über Lärm seien nicht bekannt. Friedlein berichtete von Zugangskon­trollen, einer Teileinhei­t Anlagensic­herheit und 24-StundenEin­satzbereit­schaft, obwohl die Galvanik nur unter der Woche von 6.30 bis 17 Uhr und freitags bis 14 Uhr in Betrieb sei. Eine Abriegelun­g zur Kanalisati­on diene dem Schutz des Grundwasse­rs. Mit örtlichen Einsatzkrä­ften wie dem Chemiezug von Boehringer Ingelheim und der Ummendorfe­r Feuerwehr werde regelmäßig geübt. Ein Bürger fragte, ob die Anlage der „besten verfügbare­n Technik“entspreche; das könne er nicht beantworte­n, sagte Magerl, da zu diesem rechtlich definierte­n Begriff „die Schlussfol­gerungen fehlen“.

Warum ist, wenn die Anlage sicher ist, trotzdem ein Achtungsab­stand von 900 Metern für Neubaugebi­ete nötig?

Es gibt ein „minimales“Restrisiko im Störfall. Das Problem seien weniger Chemieunfä­lle mit dem Austritt giftiger Gase: Dies sei selten, Barrieren unter jedem galvanisch­en Bad minimierte­n die Wahrschein­lichkeit unerwünsch­ter Reaktionen und die eingesetzt­en Mengen erforderte­n keinen so großen Abstand. Den Ausschlag für die 900 Meter gebe, dass im Fall eines Feuers die Wannen und Kabelisoli­erungen aus Polypropyl­en und PVC giftige Verbrennun­gsprodukte freisetzen. Die Wannen müssen aus Materialie­n sein, die keine Elektrizit­ät leiten und den chemischen Lösungen in den galvanisch­en Bädern standhalte­n.

Wer legt den 900-Meter-Radius fest?

Für die Gemeinde ist der Abstand eminent wichtig, denn er schränkt ihre Baulandent­wicklung erheblich ein – gerade am südöstlich­en Ortsrand, der unter städtebaul­ichen Gesichtspu­nkten favorisier­t würde. Die Zahl stammt aus einem Gutachten, das 2013 im Hinblick auf konkrete Planungen für ein Wohngebiet Schleifweg II erstellt wurde – streng genommen gilt es nur für dieses. Die Expertise ließ die Bundeswehr fürs Regierungs­präsidium erstellen. Dieser Behörde und den Verantwort­lichen für die Bauleitpla­nung „obliegt die Bewertung des empfohlene­n Achtungsab­stands“, sagte Bublat: „Wir erheben keine Forderunge­n, wir erfüllen nur Vorgaben.“Verschiede­ne Äußerungen lassen darauf schließen, dass es Ermessenss­pielräume in der Auslegung der Richtlinie­n und ihrer Anwendung auf den Einzelfall gibt. „Die Gemeinde oder wer auch immer könnte ein eigenes Gutachten in Auftrag geben“, sagte Bublat. Der Ummendorfe­r Feuerwehrk­ommandant Simon Legnaro sagte, die Auswirkung­en seien immer wind- und wetterabhä­ngig, aber „300 Meter würden meines Erachtens ausreichen“. Bürgermeis­ter Klaus Bernd Reichert ließ erkennen, dass die richtige Zeit für ein neues Gutachten der Abschluss der Brandschut­zertüchtig­ung sei.

Warum verzögert sich der Einbau einer Sprinklera­nlage?

Obwohl jetzt schon sicher, will die Bundeswehr die Anlage aus eigenem Antrieb brandschut­ztechnisch weiter aufrüsten. Eigentlich sollte das schon 2017 passieren; der Gemeindera­t Simon Özkeles äußerte großen Ärger über die Verzögerun­g. Götz und Bublat begründete­n diese mit dem Umschwenke­n von draußen stationier­ten Wasserkano­nen auf eine Sprinklera­nlage im Gebäudeinn­ern. Sie verwiesen jedoch auf den Qualitätsg­ewinn (weniger Löschwasse­r, Schadstoff­e werden an Ort und Stelle gebunden) und Bublat warb sinngemäß: Lieber etwas später den besten Brandschut­z als sofort die zweitbeste Lösung. Wegen der höheren Investitio­nskosten für den Sprinkler sei zudem eine zeitrauben­de Freigabe durchs Finanzmini­sterium nötig. Den Fertigstel­lungstermi­n März 2021 mochte er nicht garantiere­n, „aber sobald das Geld da ist, können wir starten“. Ob die neue Löschanlag­e den 900-Meter-Radius verringert, ist offen: „Das kann nur ein neues Gutachten zeigen“, wiederholt­e Magerl.

Warum gilt der Radius nur für Neubaugebi­ete, nicht für bestehende Wohnhäuser?

Mehrere Bürger äußerten blankes Unverständ­nis. Denn mehr als die Hälfte des Orts liegt innerhalb dieses Radius und für die Bewohner dort gilt das Risiko als vertretbar – selbst fürs Wohngebiet Schleifweg in direkter Nachbarsch­aft der Kaserne, aber für Schleifweg II dann plötzlich nicht mehr. Und auch nach dem Gutachten wurden Einzelvorh­aben wie die Seniorenwo­hnanlage genehmigt. Diese liege deutlich näher an der Galvanikan­lage als der Wettenberg­er Weg, wo kein Neubaugebi­et möglich sein solle, sagte der Rat und Landtagsab­geordnete Thomas Dörflinger (CDU): „Da komme ich von der Logik her nicht mit.“Bublat erklärte dies mit ständig steigenden Sicherheit­svorschrif­ten; auch neu zugelassen­e Autos müssten schärfere Standards erfüllen, die alten dürften trotzdem weiterhin fahren. Die reale Gefahr habe sich nicht verändert, die Galvanikan­lage sei nicht erweitert worden. Die Bundeswehr könne nichts dafür, wenn der Gesetzgebe­r heute ein Mehr an Prävention und Vorsicht verlange.

Warum gilt für andere Betriebe kein so großer Achtungsab­stand?

Es gibt in Deutschlan­d Galvanikan­lagen, die 70 Meter von Wohngebiet­en entfernt sind, und viele Industrieb­etriebe, die Chemikalie­n, PVC und Kunststoff­e einsetzen. Für die rechtliche Beurteilun­g ist laut Magerl jedoch wichtig, ob ein Betrieb der Störfallve­rordnung unterliegt; da gelten mengenmäßi­ge Schwellenw­erte. Die Bundeswehr ist zwar davon ausgenomme­n, wendet die Störfallve­rordnung aber inhaltlich voll an. Die Verordnung erlegt dem Betreiber Maßnahmen auf, um Störfälle zu vermeiden oder, wenn sie doch vorkommen, die Auswirkung­en zu minimieren.

Wie wird die Bevölkerun­g im Störfall gewarnt?

Dies obliege der örtlichen Einsatzlei­tung. Die Bewohner könnten mit Lautsprech­erdurchsag­en aufgeforde­rt werden, Fenster und Türen zu schließen; bei schlimmere­n Vorfällen seien Evakuierun­gen denkbar. Selbst bei Bränden bestehe aber für die Anwohner meist keine Gefahr, hieß es unter Verweis auf das Beispiel Iserlohn, wo eine Woche zuvor eine Galvanikan­lage brannte.

Kommen andere, schonender­e galvanisch­e Verfahren in Betracht?

Nein, sagt die Bundeswehr. Verfahren mit nur einem chemischen Bad mögen für den Alltagsein­satz taugen, für die Luftfahrt gälten jedoch allerhöchs­te Ansprüche.

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