Schwäbische Zeitung (Biberach)
Konfetti und Euphorie nach historischem Wahlergebnis für die Grünen
Erstmals erreicht die Ökopartei in Bayern ein zweistelliges Ergebnis – Zum Regieren werden sie aber wohl trotzdem nicht gebraucht
MÜNCHEN (dpa) - Um drei Sekunden nach 18 Uhr knallt es laut im bayerischen Landtag. Im Saal der Grünen-Fraktion explodieren Konfetti-Kanonen. Grüner Glitzerregen rieselt herab, Jubel brandet auf. Aus Musikboxen erklingt laut Queens „Don’t Stop Me Now“– auf Deutsch: Halte mch jetzt nicht auf. Die Grünen haben bei der Landtagswahl ein historisches Ergebnis eingefahren. Knapp 18 Prozent sind es laut den ersten Hochrechnungen – so viel, wie die aus Sicht der Partei optimistischsten Umfragen vorausgesagt haben und so viel, wie die Grünen im Freistaat noch nie hatten. Die Partei ist im neuen Landtag zweitstärkste Kraft hinter der CSU und weit vor Freien Wählern, AfD und SPD.
„Mein Herz hat gehüpft“, beschreibt Spitzenkandidatin Katharina Schulze den Moment, als sie die erste Hochrechnung sieht. In Dunkelgrün gekleidet strahlt sie mit den Sonnenblumen in ihrem Blumenstrauß um die Wette. Wenn jemand im bayerischen Landtagswahlkampf so etwas wie die personifizierte Anti-CSU war, der Gegenentwurf zu Söder und Seehofer, dann war das Katharina Schulze. Die erst 33 Jahre alte Fraktionschefin der Grünen hat ihre Partei zum bislang größten Erfolg ihrer Geschichte im Freistaat geführt, zusammen mit ihrem Co-Fraktionschef Ludwig Hartmann (40). „Die beiden haben nicht geschlafen“, sagt Parteichef Robert Habeck über ihr überaus erfolgreiches WahlkampfEngagement. Kurz vor der Wahl kürte sie der Redenschreiber-Verband VRdS zur besten Rednerin im bayerischen Wahlkampf – frech, mit den Bürgern auf Augenhöhe und mit einem klaren roten Faden in ihrer Argumentation.
Ein grüner Traum wird wahr
Von einem historischen Wahlsieg sprechen sie alle an diesem Abend – von Schulze über Bundeschef Robert Habeck bis hin zu Cem Özdemir und Claudia Roth: Endlich zweistellig zu werden in Bayern, das sei zwar das erklärte Ziel gewesen, sagt Roth. „Aber dass wir es so deutlich schaffen würden, hätte ich mir gar nicht erträumen können.“
In der Berliner Parteizentrale gibt es kein Konfetti, dafür aber weißblaue Servietten und strahlende Gesichter – vor allem Parteichefin Annalena Baerbock ist glücklich, ist es doch die erste Wahl, seit sie und ihr Kollege Habeck an die Grünen-Spitze gerückt sind. Bundesfraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sieht den Erfolg auch als Bestätigung für den Kurs im Bund, über die ÖkoKernklientel hinaus auf die Breite der Gesellschaft abzuzielen und sich bereit zu zeigen, Verantwortung zu übernehmen.
Der bisherige Spitzenwert der Grünen bei einer Bayern-Wahl lag bei 9,4 Prozent im Jahr 2008. Vor fünf Jahren hatten sie 8,6 Prozent erreicht, wurden nur viertstärkste Kraft. „Mut besiegt Angst, gemeinsames Europa statt Bavaria First, Lebensgrundlagen erhalten statt Flächen versiegeln. Mit Inhalten gegen Populisten streiten“, schreibt Özdemir via Twitter.
„Wir haben den Wahlkampf unseres Lebens geführt. Wir haben heute eine Zeitenwende für Bayern eingeleitet“, sagt der zweite Spitzenkandidat, Ludwig Hartmann. Endlich sei die Partei zweistellig. „Nächstes Mal dreistellig“, ruft jemand aus der Menge dazwischen.
Diese Menge ist in diesem Jahr so groß wie noch nie. Sepp Dürr ist seit zwei Jahrzehnten Mitglied des bayerischen Landtags. Ob es noch einmal klappt, ist fraglich. In diesem Jahr startete er von Listenplatz 42, so weit hinten wie noch nie. So viel Andrang bei den Grünen habe er an einem Wahlabend in Bayern auch noch nie erlebt, sagt er. „Aber das ist ja das, was wir auch jahrelang leidvoll erfahren mussten: Alle wollen bei den Siegern sein.“
Doch in die Feierstimmung mischen sich ganz schnell die Fragen, wie es denn nun weitergeht. Die CSU hat die absolute Mehrheit verloren, braucht einen Koalitionspartner. Die Grünen haben immer wieder betont, Regierungsverantwortung übernehmen zu wollen. „Natürlich wollen wir Verantwortung für dieses schöne Land übernehmen“, sagt Schulze auch am Wahlabend.
Nicht jeder will mitregieren
In der Berliner Zentrale sagt eine Grüne, fürs Mitregieren werde es ja „leider“nicht reichen – andere sind sichtlich erleichtert, dass die CSU nach den Hochrechnungen nicht unbedingt die Grünen braucht, es stattdessen für eine Koalition mit den Freien Wählern reichen wird. Schwarz-Grün fällt sowieso vielen schwer, und dann auch noch mit dem Lieblingsfeind CSU? Irgendwie reizvoll, irgendwie gruselig.
„Um die Uhrzeit kann man das überhaupt noch nicht sagen“, sagt Claudia Roth. Zunächst wolle man feiern, morgen dann weitersehen. Ähnlich äußert sich Schulze: „Mit uns kann man immer über eine gerechte und ökologische Politik reden. Nicht aber über eine antieuropäische und autoritäre Politik“, sagt sie – den Spruch hat sie schon im Wahlkampf immer wieder aufgesagt. „Aber wir freuen uns jetzt erstmal.“Sie werde jetzt vier Spezi trinken.