Schwäbische Zeitung (Biberach)
Die Zehn-Pfennig-Fähre steht wieder zum Verkauf
Über mehrere Jahrzehnte wurde das Passagierschiff für die Bodenseeschifffahrt eingesetzt – Für 12 500 Euro ist sie zu haben
„Am Anfang war uns das gar nicht klar, was für eine Arbeit das alles sein würde.“
Zwischenbesitzer Karlheinz David über seine Restaurierung
ÜBERLINGEN/ KONSTANZ
- Irgendwie wirkt das fast 15 Meter lange Schiff, das auf dem asphaltierten Areal des Überlinger Yachtclubs auf einem Hänger steht, fehl am Platz. Mit roten Spanngurten festgezurrt, wartet es, auf dem engen Stellplatz zwischen andere Boote und gestapelte Masten gezwängt, auf einen Käufer. Der Unterboden des Schiffes offenbart den schwarzen, porös gewordenen Lack. Zahlreiche orangefarbene Stellen stechen einem dort ins Auge, wo er aufgeplatzt und abgebröckelt ist. Hier und da ein Stück der Holzverkleidung an der Reling.
Aber selbst diese kleinen Mängel lassen nicht auf das hohe Alter des Bootes schließen. Darauf, dass es 105 Jahre alt ist und ein Stück Konstanzer Geschichte. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts war das Schiff unter dem Namen MS Deutschland Teil des Linienverkehrs in der Konstanzer Bucht. Weil eine Fahrt mit dem kleinen Passagierschiff anfänglich zehn Pfennig kostete, nannten die Konstanzer das Boot meist nur noch die „Zehn-Pfennig-Fähre“.
Als der Geschäftsführer des Yachtzentrums Überlingen, Norbert Gleichauf, das Boot vor drei Jahren im Internet zum Verkauf entdeckte, spielte die Vergangenheit der MS Deutschland für ihn keine große Rolle. „Ich habe das Boot gekauft, weil es schön ist. Die Geschichte habe ich schon im Hinterkopf gehabt, aber erst einmal gar nicht so wahrgenommen“, sagt der 54-Jährige. Eigentlich wollte Gleichauf das Boot selbst nutzen. Nach dem Kauf stellte sich aber heraus, dass es etwa eineinhalb Meter zu lang für seinen Liegeplatz war. Aus Platzmangel bleibt dem 54-Jährigen nichts anderes übrig, als es erneut im Internet zu inserieren.
Von aufgeplatztem Lack oder fehlender Verkleidung ist auf alten Schwarz-Weiß-Fotos der MS Deutschland nichts zu sehen. In einer Hamburger Reederei gebaut, startete das Schiff seinen Einsatz im Motorboot-Linienverkehr der Konstanzer Bucht im Jahr 1912 und brachte die Passagiere quer durch die westliche Bodenseebucht. Neben der ZehnPfennig-Fähre setzten die Stadtwerke weitere Schiffe im Linienverkehr ein, die die Landestellen Hafen, Seestraße (nahe der Rheinbrücke), Sanatorium Büdingen, Waldhaus Jakob, Pulverturm und Spanierstraße ansteuerten.
Einst Verkehrsmittel für jeden Tag
Mit Beginn des Ersten Weltkrieges wurden die Passagierfahrten jedoch ausgesetzt. Als im Sommer 1914 die Fahrgastzahlen zunächst schlagartig zurückgingen, musste das Unternehmen einer von ihm herausgegebenen Broschüre zufolge kurz darauf seine besten Boote an die neu gebildete Deutsch-Österreichische BodenseeFlottille, die sogenannte Seewache, abgeben. Auch die MS Deutschland. Die Boote wurden – besetzt mit bewaffneten Soldaten – dazu eingesetzt, Schmuggler und Deserteure auf dem Bodensee zu jagen, schreiben die Stadtwerke. Die Strecke zwischen dem Hafen und der Seestraße, die die MS Deutschland zuvor bedient hatte, wurde solange stillgelegt.
Nach dem Krieg nahm der lokale Motorbootverkehr wieder Fahrt auf. „Nie sollte er so erfolgreich wie in den Zwanzigerjahren sein“, steht in der 1991 herausgegebenen Broschüre. Die städtische Flotte wuchs daraufhin auf zwölf Boote an. Doch auch im Zweiten Weltkrieg musste das Unternehmen seine Schiffe wieder zur militärischen Überwachung des Bodensees bereitstellen. Für jegliche Ausflugsfahrten fehlte es an Treibstoff. Nach Kriegsende verfügten die Stadtwerke nur noch über fünf Motorboote. Unter ihnen auch die MS Deutschland, die die Stadtwerke künftig für die sogenannte Bäderlinie vom Hafen zum damaligen Strandbad Jakob einsetzten.
Wie bereits in den Vorkriegsjahren waren auch in den 50er- und 60erJahren viele Konstanzer auf den Schiffs-Linienverkehr angewiesen – unter ihnen Rosmarie Fischer. „Das hat damals einfach dazugehört“, erinnert sich die 74-Jährige. Autos hätten damals noch nicht viele Leute gehabt. Als 20-Jährige nutzte sie vor allem die MS Niederburg, auch Rheinfähre genannt, täglich. Die kleine Fähre fuhr mehrmals am Tag vom Stadtteil Petershausen, wo Fischer wohnte, ans gegenüberliegende Rheinufer und zurück. Häufig mit Fischer an Bord, die in der Laube in der Stadt als Sachbearbeiterin beschäftigt war. Die Fertigstellung der Rheinbrücke läutet schließlich das Ende des MotorbootLinienverkehrs der Stadtwerke Konstanz ein. 1991 wurde die MS Niederburg als letztes Schiff ausgemustert. Die Zehn-Pfennig-Fähre ereilte dieses Schicksal bereits früher. 1969 beendeten die Stadtwerke den Einsatz des Schiffes für die Bäderlinie und verkauften es.
Rund zehn Jahre sollte die MS Deutschland stillliegen, bevor Karlheinz David, ein junger Ingenieur, das Boot kaufte. David wohnte und studierte in Friedrichshafen und Ravensburg. „Dadurch hatte ich einen Hang zum Bodensee und zum Wasser“, begründet er seine Kaufentscheidung. Dass diese ausgerechnet auf die MS Deutschland fiel, war weniger ihrer Geschichte, sondern eher dem Zufall geschuldet: „Sie stand eben gerade zum Verkauf.“Die Jahre des Stillstands hatten jedoch ihre Spuren an dem Boot hinterlassen. „Es lag schon ein bisschen schief und setzte beinahe auf dem Grund auf“, beschreibt David seinen ersten Eindruck des Bootes. „Am Anfang war uns das gar nicht klar, was für eine Arbeit das alles sein würde.“
Etwa fünf Jahre arbeitete der heute 70-Jährige gemeinsam mit seinem Schwager Heinrich Roßkothen und seinem Neffen Klaus Roßkothen an dem Boot. „Ich habe mein Herzblut in diesem Boot vergossen“, blickt er ein wenig wehmütig zurück. Stundenlang könne er vom Umbau und den Erlebnissen, die er mit Familie und Freunden auf dem Boot hatte, erzählen. Von der schweren Montur, in der er das Boot selbst sandstrahlte. Von dem kalten Winter 1982, in dem er mit seinem Neffen und Schwager draußen an dem Boot Schweißerarbeiten erledigte. Von der Überholung des Motors und schließlich, als sie es 1983 gemeinsam zu Wasser ließen.
Nach dem Umbau verfügte die einstige Fähre über eine Schlafkabine, ein Bad, eine Küche und einen Essbereich. An unzähligen Wochenenden fuhren sie gemeinsam mit dem Boot auf den See zum Baden oder zum Feiern. Bis David 1990 schließlich nach Stuttgart zog und geschäftlich viel im Ausland unterwegs war. „Das hat mich damals sehr von dem Boot entfernt“, sagt er. In dieser Zeit nutzte sein Neffe, Klaus Roßkothen das Boot hauptsächlich, bis er schwer erkrankte. „Da hatte er wohl andere Sorgen, als sich um das Boot zu kümmern. Auch ich selbst habe es stark vernachlässigt“, sagt David. Erneut steht die MS Deutschland beinah still, bis 2015 die Bodensee-Schiffsbetriebe (BSB) Karlheinz David den Liegeplatz des Schiffes in Dingelsdorf kündigen.
Noch heute erweckt dieses Ereignis blankes Unverständnis bei dem einstigen Besitzer: „Wir haben uns nie etwas mit dem Boot zuschulden kommen lassen.“Um die Kündigung abzuwenden, schrieb er mehrere Briefe an die BSB und den Konstanzer Bürgermeister. Selbst mit einer Klage gegen die BSB konnte er den Verlust des Liegeplatzes nicht abwenden und war letztendlich gezwungen, das Boot zu verkaufen. „Unser Herz ist an dem Boot gehangen. Es war ein Tiefschlag für mich“, sagt David.
Heute blättert nicht nur äußerlich der Lack des Schiffes. Die roten Gardinen im Innenraum sind ausgeblichen, der blaue Filzteppichboden an vielen Stellen zerrissen, überall hängen Spinnweben und Staub. Fahrtüchtig sei es allerdings: „Je nachdem, was man erwartet, kann man sofort in dem Boot wohnen. Man muss ein wenig aufräumen und reinigen“, erklärt Gleichauf. Und es müssten nochmal einige Tausend Euro in Farbe und Technik investiert werden.
Wohnung statt Fährbetrieb
Schon mehrere Interessenten habe es für das Boot gegeben, vor allem aus Berlin oder Hamburg. „Bis jetzt hat es aber noch niemand gekauft“, sagt der Geschäftsführer. Sorgen, auf dem Boot sitzen zu bleiben, macht er sich nicht. „Meiner Erfahrung nach braucht es immer ungefähr zwei bis drei Jahre ein Boot zu verkaufen.“Bis es so weit ist, wird es wohl weiterhin in der engen Nische auf dem asphaltierten Platz des Überlinger Yachtclubs im Trockenen stehen.
Einen 360-Grad-Rundgang auf der Fähre sehen Sie unter www.schwäbische.de/ 10pfennigfaehre