Schwäbische Zeitung (Biberach)
Studiengebühren machen Probleme
Ravensburg/Weingarten gehen Studenten verloren – Bewerbereinbruch in Reutlingen
STUTTGART - Bildungseinrichtungen im Südwesten, die sich international aufgestellt haben, klagen über die Studiengebühren im Land. Deren Auswirkungen zeigten sich auch aktuell beim Start des Wintersemesters – das ergab eine Umfrage der „Schwäbischen Zeitung“unter Universitäten und Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (HAW), den früheren Fachhochschulen. Das Wissenschaftsministerium warnt indes vor vorschnellen Schlüssen.
Erst Anfang Dezember ist klar, wie viele Studierende aus dem Nicht-EUAusland sich an den Unis und Hochschulen im Land neu eingeschrieben haben. Im vergangenen Wintersemester, dem ersten Semester mit Gebühren, sank deren Zahl laut Ministerium um etwa 20 Prozent. „Aus den internationalen Erfahrungen wissen wir, dass bei einer Einführung von Studiengebühren zunächst die Nachfrage um rund 20 Prozent zurückgeht, der Effekt sich aber nach ein paar Jahren wieder ausgeglichen hat“, erklärt eine Sprecherin von Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne).
Bastian Kaiser hat einen Trend indes erkannt. „Besonders betroffen sind Hochschulen, die stark auf Internationalisierung setzen“, sagt der Rektor der HAW Rottenburg, der zugleich Vorsitzender der Hochschulrektorenkonferenz ist. Zu den Betroffenen gehört die HAW Ravensburg/ Weingarten. „Studiengebühren sind für uns ein Problem“, sagt Sprecher Christoph Oldenkotte. Die Zahl der Bewerber aus Nicht-EU-Staaten des etablierten Studiengangs „Electrical Engineering and Information Technology“sei von 235 im Sommersemester 2016 auf 90 im Sommersemester 2018 gesunken. Von den 30 Studenten, die den Studiengang begannen, sei ein Viertel abgesprungen und habe in einem anderen Bundesland weiterstudiert. „Da ist es naheliegend, dass die Studiengebühren ein Grund sind“, sagt Oldenkotte.
Zahl der Nationen halbiert
Die HAW in Reutlingen sei ebenfalls heftig betroffen, sagt Baldur Veit, Leiter der internationalen Abteilung. Die Bewerbungen aus dem Nicht-EUAusland seien um ein Drittel zurückgegangen. „Wir sehen es auch an der Diversität der Nationen am Campus, gerade im Bereich International Business“, sagt er. „Da haben wir einen gewaltigen Einbruch an Bewerbern, gerade aus Afrika. Die Zahl der Nationen hat sich halbiert, von 30 auf 15.“Um den Prozentsatz an internationalen Studierenden bei 20 Prozent halten zu können, kämen mehr junge Menschen aus dem EU-Ausland zum Zug. „Wir hatten pro Semester für diesen spezifischen Studiengang etwa 400 Bewerbungen aus dem Nicht-EU-Ausland. Bei letzten beiden Ausschreibungen waren es noch 70.“
300 der 1500 Euro Studiengebühren kommen den Hochschulen zugute. Für Veit ist das kein Trost. Ein Großteil des Geldes fließe in den zusätzlichen Aufwand. „Im Wintersemester 2017/2018 hatten wir 89 Fälle, bei denen wir im Einzelfall prüfen mussten, ob sie zahlen müssen oder nicht.“Das liege an den vielen Ausnahmen, die es gibt.
Für allgemeine Aussagen zu den Auswirkungen sei es zu früh, sagt eine Ministeriumssprecherin. Ein Beirat, der dies analysieren soll, nehme gerade seine Arbeit auf. „Was sich allerdings bereits heute konstatieren lässt, ist, dass die Einführung unseren bisherigen Erwartungen hinsichtlich der Einnahmen und der Entwicklung der Studierendenzahlen weitgehend entspricht.“Allein durch internationale Studierende, die im Wintersemester 2017/2018 begonnen haben, erwartet das Ministerium Einnahmen in Höhe von 21,3 Millionen Euro bis zu deren Studienende.
Die Sprecherin verweist zudem auf Stipendien der Baden-WürttembergStiftung. Das Budget hierfür stieg zuletzt auf 7,5 Millionen Euro. Laut einer Sprecherin der Stiftung plant der Aufsichtsrat, die Summe in seiner nächsten Sitzung Ende November auf acht Millionen Euro zu steigern. „Das ist blanke Theorie“, entgegnet Veit. Die Stipendien richteten sich nämlich an Studenten ab dem dritten Semester – es ist zudem auf zwei Semester beschränkt. Ob sich an diesen Bedingungen etwas ändern wird, soll der Beirat ebenfalls prüfen, so das Ministerium.
Standortnachteil beklagt
Für Regula Rapp wäre das eine gute Nachricht, wie sie sagt. „Die Stipendien, die wir haben, reichen nicht aus – weder inhaltlich noch strukturell“, sagt die Rektorin der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart und Vorsitzende der Landesrektorenkonferenz der Musikhochschulen. An ihrer Hochschule verzeichne sie einen massiven Rücklauf bei Bewerbungen für den Masterstudiengang Gesang und für den Studiengang Figurentheater. Insgesamt ist die Zahl der internationalen Bewerber an der Hochschule gesunken – von 864 im Wintersemester 2016/2017 auf 80.
Von einem Standortnachteil sprechen Ravensburg/Weingarten und Reutlingen. „Ich würde mir wünschen für Baden-Württemberg, dass man eine einheitliche Linie mit anderen Bundesländern findet“, betont Veit. „Das ist unlauterer Wettbewerb.“